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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ihre Besorgnis und ihren Wunsch aus, eine Coalition gegen Frankreich zu
Stande zu bringen. Leidenschaften sind dock, immer mächtige Triebfedern
der Politik, und wenn der Kaiser Napoleon jetzt eine Leidenschaft hegt, so ist
diese wohl gegen Preußen gerichtet wegen seiner Haltung in den letzten
Monaten.

Man verzeihe uns noch eine triviale Bemerkung,

Eine Bundesgenossenschaft ist nur unter zwei Umständen denkbar. Ent¬
weder wollen beide Theile dasselbe, oder der eine leistet dem andern etwas,
um von ihm eine Gegenleistung zu empfangen. Ein drittes gibt es nicht.

Was Preußen von den andern Mächten zu begehren hat, liegt auf der
Hand: Fernhaltung des Auslandes in allen inner" Angelegenheiten Deutsch¬
lands und freies Spiel gegen Dänemark in den Herzogthümern. Es giebt
keine auswärtige Macht, welche dieselbe" Zwecke hätte: aus die erste Art der
Bundesgenossenschaft kann Preußen also unter keinen Umständen rechnen.
Weder Rußland, noch Oestreich, noch Frankreich, noch England ist etwas da¬
ran gelegen, Deutschland und in ihm Preuße" erstarken zu lassen, denn sie
finden ihre Rechnung weit mehr dabei, wenn Deutschland und i" ihm Preußen
schwach bleibt.

Es ist also für Preußen keine andere Bundesgenossenschaft denkbar als
diejenige, in welcher es den Beistand oder die Neutralität andrer Mächte
durch eine Gegenleistung erkauft. Ja erkauft! Das Wort ist sehr kaufmän¬
nisch, sehr wenig heroisch, noch viel weniger romantisch; aber die Kaufleute
haben den Vorzug der Nüchternheit, und neben der Fähigkeit, kühne und
durchgreifende Einschlüsse zu fassen, die freilich auch sehr wesentlich zur Sache
gehört, ist Nüchternheit in der Wahl der Mittel eine der wesentlichsten Be¬
dingungen einer gesunden Politik.

Bon diesem Standpunkt aus ergibt sich auch, was man von der zuwei¬
len auftauchenden Idee eines Bündnisses mit den mittleren Staate" z. B. mit
Schweden zu urtheilen hat. Preußen könnte sein Hab und Gut bis auf den
kleinsten Heller mustern, und es würde nichts finden, was es Schweden als
Gegenleistung bieten könnte.

Ganz anders steht es den Großmächten gegenüber. Es gibt große euro¬
päische oder vielmehr Weltfrage", i" denen Nußland, Frankreich. England,
Oestreich sehr wesentlich betheiligt sind, in denen Preußen selbst nicht das ge¬
ringste Interesse hat. bei deren Entscheidung es aber doch nicht umgangen
werden kann. Die gesunde Politik Preußens scheint uns nun folgende zu
sein: in diesen Fragen sichern wir demjenigen unsern Beistand, der uns sei¬
nen' Beistand oder seine Neutralität in unsern Angelegenheiten zusichert.

Entsetzlich nüchtern! und doch hat diese Politik in frühern Zeiten Preußen
groß gemacht. -- Mit wahrem Leichtsinn hat Preußen 1854 die große oricn-


ihre Besorgnis und ihren Wunsch aus, eine Coalition gegen Frankreich zu
Stande zu bringen. Leidenschaften sind dock, immer mächtige Triebfedern
der Politik, und wenn der Kaiser Napoleon jetzt eine Leidenschaft hegt, so ist
diese wohl gegen Preußen gerichtet wegen seiner Haltung in den letzten
Monaten.

Man verzeihe uns noch eine triviale Bemerkung,

Eine Bundesgenossenschaft ist nur unter zwei Umständen denkbar. Ent¬
weder wollen beide Theile dasselbe, oder der eine leistet dem andern etwas,
um von ihm eine Gegenleistung zu empfangen. Ein drittes gibt es nicht.

Was Preußen von den andern Mächten zu begehren hat, liegt auf der
Hand: Fernhaltung des Auslandes in allen inner» Angelegenheiten Deutsch¬
lands und freies Spiel gegen Dänemark in den Herzogthümern. Es giebt
keine auswärtige Macht, welche dieselbe« Zwecke hätte: aus die erste Art der
Bundesgenossenschaft kann Preußen also unter keinen Umständen rechnen.
Weder Rußland, noch Oestreich, noch Frankreich, noch England ist etwas da¬
ran gelegen, Deutschland und in ihm Preuße» erstarken zu lassen, denn sie
finden ihre Rechnung weit mehr dabei, wenn Deutschland und i» ihm Preußen
schwach bleibt.

Es ist also für Preußen keine andere Bundesgenossenschaft denkbar als
diejenige, in welcher es den Beistand oder die Neutralität andrer Mächte
durch eine Gegenleistung erkauft. Ja erkauft! Das Wort ist sehr kaufmän¬
nisch, sehr wenig heroisch, noch viel weniger romantisch; aber die Kaufleute
haben den Vorzug der Nüchternheit, und neben der Fähigkeit, kühne und
durchgreifende Einschlüsse zu fassen, die freilich auch sehr wesentlich zur Sache
gehört, ist Nüchternheit in der Wahl der Mittel eine der wesentlichsten Be¬
dingungen einer gesunden Politik.

Bon diesem Standpunkt aus ergibt sich auch, was man von der zuwei¬
len auftauchenden Idee eines Bündnisses mit den mittleren Staate» z. B. mit
Schweden zu urtheilen hat. Preußen könnte sein Hab und Gut bis auf den
kleinsten Heller mustern, und es würde nichts finden, was es Schweden als
Gegenleistung bieten könnte.

Ganz anders steht es den Großmächten gegenüber. Es gibt große euro¬
päische oder vielmehr Weltfrage», i» denen Nußland, Frankreich. England,
Oestreich sehr wesentlich betheiligt sind, in denen Preußen selbst nicht das ge¬
ringste Interesse hat. bei deren Entscheidung es aber doch nicht umgangen
werden kann. Die gesunde Politik Preußens scheint uns nun folgende zu
sein: in diesen Fragen sichern wir demjenigen unsern Beistand, der uns sei¬
nen' Beistand oder seine Neutralität in unsern Angelegenheiten zusichert.

Entsetzlich nüchtern! und doch hat diese Politik in frühern Zeiten Preußen
groß gemacht. — Mit wahrem Leichtsinn hat Preußen 1854 die große oricn-


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[0289] ihre Besorgnis und ihren Wunsch aus, eine Coalition gegen Frankreich zu Stande zu bringen. Leidenschaften sind dock, immer mächtige Triebfedern der Politik, und wenn der Kaiser Napoleon jetzt eine Leidenschaft hegt, so ist diese wohl gegen Preußen gerichtet wegen seiner Haltung in den letzten Monaten. Man verzeihe uns noch eine triviale Bemerkung, Eine Bundesgenossenschaft ist nur unter zwei Umständen denkbar. Ent¬ weder wollen beide Theile dasselbe, oder der eine leistet dem andern etwas, um von ihm eine Gegenleistung zu empfangen. Ein drittes gibt es nicht. Was Preußen von den andern Mächten zu begehren hat, liegt auf der Hand: Fernhaltung des Auslandes in allen inner» Angelegenheiten Deutsch¬ lands und freies Spiel gegen Dänemark in den Herzogthümern. Es giebt keine auswärtige Macht, welche dieselbe« Zwecke hätte: aus die erste Art der Bundesgenossenschaft kann Preußen also unter keinen Umständen rechnen. Weder Rußland, noch Oestreich, noch Frankreich, noch England ist etwas da¬ ran gelegen, Deutschland und in ihm Preuße» erstarken zu lassen, denn sie finden ihre Rechnung weit mehr dabei, wenn Deutschland und i» ihm Preußen schwach bleibt. Es ist also für Preußen keine andere Bundesgenossenschaft denkbar als diejenige, in welcher es den Beistand oder die Neutralität andrer Mächte durch eine Gegenleistung erkauft. Ja erkauft! Das Wort ist sehr kaufmän¬ nisch, sehr wenig heroisch, noch viel weniger romantisch; aber die Kaufleute haben den Vorzug der Nüchternheit, und neben der Fähigkeit, kühne und durchgreifende Einschlüsse zu fassen, die freilich auch sehr wesentlich zur Sache gehört, ist Nüchternheit in der Wahl der Mittel eine der wesentlichsten Be¬ dingungen einer gesunden Politik. Bon diesem Standpunkt aus ergibt sich auch, was man von der zuwei¬ len auftauchenden Idee eines Bündnisses mit den mittleren Staate» z. B. mit Schweden zu urtheilen hat. Preußen könnte sein Hab und Gut bis auf den kleinsten Heller mustern, und es würde nichts finden, was es Schweden als Gegenleistung bieten könnte. Ganz anders steht es den Großmächten gegenüber. Es gibt große euro¬ päische oder vielmehr Weltfrage», i» denen Nußland, Frankreich. England, Oestreich sehr wesentlich betheiligt sind, in denen Preußen selbst nicht das ge¬ ringste Interesse hat. bei deren Entscheidung es aber doch nicht umgangen werden kann. Die gesunde Politik Preußens scheint uns nun folgende zu sein: in diesen Fragen sichern wir demjenigen unsern Beistand, der uns sei¬ nen' Beistand oder seine Neutralität in unsern Angelegenheiten zusichert. Entsetzlich nüchtern! und doch hat diese Politik in frühern Zeiten Preußen groß gemacht. — Mit wahrem Leichtsinn hat Preußen 1854 die große oricn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/289>, abgerufen am 15.01.2025.