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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Bon der preußischen Grenze.

Da die spanischen Angelegenheiten in der Regel von den Zeitungslesern
überschlagen werden, so ist es vielleicht nicht unangemessen, hier die Aufmerk¬
samkeit auf eine Aeußerung des Marschall O'Donnell zu lenken, eines der
vernünftigsten Männer, welche die neuere Geschichte Spaniens ans Licht ge¬
zogen hat. Die Ultramontanen haben ihn nümlich heftig angegriffen, weil er
nicht zu Gunsten des heiligen Vaters energischer gegen die piemontesische Re¬
gierung auftritt. Darauf hat der Marschall bemerkt, Spanien habe geschwiegen,
weil man bei der jetzigen Lage Europas nicht wissen könne, ob die Freunde
von heute nicht die Feinde von morgen sein könnten.

Diese Aeußerung verdient auch von andern Staatsmännern sorgfältig er¬
wogen zu werden. Die Art und Weise, wie die piemontesische Regierung
ihre Zwecke durchsetzt, hat mehrfachen Tadel gefunden, und auch wir sind keines¬
wegs gemeint, für die Correctheit derselben einzutreten; es hätte Vieles ar¬
tiger und schicklicher gethan werden können. Aber einen Tadel, den man auch
häusig vernimmt, finden wir bodenlos lächerlich: den Tadel nämlich, daß Sar¬
dinien sich der französischen Politik in die Arme wirft. Wem soll es sich denn
in die Arme werfen? Die Unterwürfigkeit Sardiniens gegen Frankreich wird
einzig und allein durch die Haltung der übrigen Mächte mit Ausnahme
Englands veranlaßt, und Niemand kann sie mit größerer Bitterkeit empfinden,
als die piemontesische Regierung selbst. Nach den Vorfällen vor Gaeta kann
Niemand daran zweifeln, daß wenn es einmal zu einer ernsthaften Koalition
gegen Frankreich kommen soll, das Königreich Italien in derselben eine nicht
unbedeutende Rolle spielen wird.

Ganz Europa hat das dringende Bedürfniß, daß die bisherigen faulen
Zustände in Italien aufhören: denn durch sie wurde Italien ein Heerd der
Revolution und ein Schauplatz der Rivalität zwischen Oestreich und Frankreich.
Ein starkes Königreich Italien ist im mittelländischen Meer der natürliche
Gegner Frankreichs und der natürliche Bundesgenosse Deutschlands; denn
sobald Italien den Umfang erreicht hat, den es wenigstens zu wünschen be¬
rechtigt ist. gibt es keine Veranlassung mehr, welche euren Conflict zwischen
beiden Nationen herbeiführen könnte.

Wo aber ein allgemeines Bedürfniß vorliegt, muß man schon über die
Jncorrectheit des Weges, der zu der Befriedigung derselben führt, ein Auge zu¬
drücken. Wenn diejenigen, welche den lebhaften Wunsch hegen, daß Italien


Grenzl'otcii IV. 1860. 35
Bon der preußischen Grenze.

Da die spanischen Angelegenheiten in der Regel von den Zeitungslesern
überschlagen werden, so ist es vielleicht nicht unangemessen, hier die Aufmerk¬
samkeit auf eine Aeußerung des Marschall O'Donnell zu lenken, eines der
vernünftigsten Männer, welche die neuere Geschichte Spaniens ans Licht ge¬
zogen hat. Die Ultramontanen haben ihn nümlich heftig angegriffen, weil er
nicht zu Gunsten des heiligen Vaters energischer gegen die piemontesische Re¬
gierung auftritt. Darauf hat der Marschall bemerkt, Spanien habe geschwiegen,
weil man bei der jetzigen Lage Europas nicht wissen könne, ob die Freunde
von heute nicht die Feinde von morgen sein könnten.

Diese Aeußerung verdient auch von andern Staatsmännern sorgfältig er¬
wogen zu werden. Die Art und Weise, wie die piemontesische Regierung
ihre Zwecke durchsetzt, hat mehrfachen Tadel gefunden, und auch wir sind keines¬
wegs gemeint, für die Correctheit derselben einzutreten; es hätte Vieles ar¬
tiger und schicklicher gethan werden können. Aber einen Tadel, den man auch
häusig vernimmt, finden wir bodenlos lächerlich: den Tadel nämlich, daß Sar¬
dinien sich der französischen Politik in die Arme wirft. Wem soll es sich denn
in die Arme werfen? Die Unterwürfigkeit Sardiniens gegen Frankreich wird
einzig und allein durch die Haltung der übrigen Mächte mit Ausnahme
Englands veranlaßt, und Niemand kann sie mit größerer Bitterkeit empfinden,
als die piemontesische Regierung selbst. Nach den Vorfällen vor Gaeta kann
Niemand daran zweifeln, daß wenn es einmal zu einer ernsthaften Koalition
gegen Frankreich kommen soll, das Königreich Italien in derselben eine nicht
unbedeutende Rolle spielen wird.

Ganz Europa hat das dringende Bedürfniß, daß die bisherigen faulen
Zustände in Italien aufhören: denn durch sie wurde Italien ein Heerd der
Revolution und ein Schauplatz der Rivalität zwischen Oestreich und Frankreich.
Ein starkes Königreich Italien ist im mittelländischen Meer der natürliche
Gegner Frankreichs und der natürliche Bundesgenosse Deutschlands; denn
sobald Italien den Umfang erreicht hat, den es wenigstens zu wünschen be¬
rechtigt ist. gibt es keine Veranlassung mehr, welche euren Conflict zwischen
beiden Nationen herbeiführen könnte.

Wo aber ein allgemeines Bedürfniß vorliegt, muß man schon über die
Jncorrectheit des Weges, der zu der Befriedigung derselben führt, ein Auge zu¬
drücken. Wenn diejenigen, welche den lebhaften Wunsch hegen, daß Italien


Grenzl'otcii IV. 1860. 35
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[0285] Bon der preußischen Grenze. Da die spanischen Angelegenheiten in der Regel von den Zeitungslesern überschlagen werden, so ist es vielleicht nicht unangemessen, hier die Aufmerk¬ samkeit auf eine Aeußerung des Marschall O'Donnell zu lenken, eines der vernünftigsten Männer, welche die neuere Geschichte Spaniens ans Licht ge¬ zogen hat. Die Ultramontanen haben ihn nümlich heftig angegriffen, weil er nicht zu Gunsten des heiligen Vaters energischer gegen die piemontesische Re¬ gierung auftritt. Darauf hat der Marschall bemerkt, Spanien habe geschwiegen, weil man bei der jetzigen Lage Europas nicht wissen könne, ob die Freunde von heute nicht die Feinde von morgen sein könnten. Diese Aeußerung verdient auch von andern Staatsmännern sorgfältig er¬ wogen zu werden. Die Art und Weise, wie die piemontesische Regierung ihre Zwecke durchsetzt, hat mehrfachen Tadel gefunden, und auch wir sind keines¬ wegs gemeint, für die Correctheit derselben einzutreten; es hätte Vieles ar¬ tiger und schicklicher gethan werden können. Aber einen Tadel, den man auch häusig vernimmt, finden wir bodenlos lächerlich: den Tadel nämlich, daß Sar¬ dinien sich der französischen Politik in die Arme wirft. Wem soll es sich denn in die Arme werfen? Die Unterwürfigkeit Sardiniens gegen Frankreich wird einzig und allein durch die Haltung der übrigen Mächte mit Ausnahme Englands veranlaßt, und Niemand kann sie mit größerer Bitterkeit empfinden, als die piemontesische Regierung selbst. Nach den Vorfällen vor Gaeta kann Niemand daran zweifeln, daß wenn es einmal zu einer ernsthaften Koalition gegen Frankreich kommen soll, das Königreich Italien in derselben eine nicht unbedeutende Rolle spielen wird. Ganz Europa hat das dringende Bedürfniß, daß die bisherigen faulen Zustände in Italien aufhören: denn durch sie wurde Italien ein Heerd der Revolution und ein Schauplatz der Rivalität zwischen Oestreich und Frankreich. Ein starkes Königreich Italien ist im mittelländischen Meer der natürliche Gegner Frankreichs und der natürliche Bundesgenosse Deutschlands; denn sobald Italien den Umfang erreicht hat, den es wenigstens zu wünschen be¬ rechtigt ist. gibt es keine Veranlassung mehr, welche euren Conflict zwischen beiden Nationen herbeiführen könnte. Wo aber ein allgemeines Bedürfniß vorliegt, muß man schon über die Jncorrectheit des Weges, der zu der Befriedigung derselben führt, ein Auge zu¬ drücken. Wenn diejenigen, welche den lebhaften Wunsch hegen, daß Italien Grenzl'otcii IV. 1860. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/285>, abgerufen am 15.01.2025.