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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Ter schon wiederholt erwähnte Zug der Volkssitte, das Geben und
Empfangen von Trinkgeldern in humoristische Verhüllungen zu kleiden, kehrt
wahrend des Schmauses in verschiedenen Formen wieder. Die Musikanten
kommen, um am Brauttisch ein Stück zu blasen, da zeigt sich, das, die In¬
strumente zerbrochen sind, und nicht eher will es gehen, als bis sie auf
einen Teller, auf dein zum Wahrzeichen das Mundstück eines Hornes liegt,
"Flickgeld" eingesammelt haben. Häufig auch erbitten sie sich Kraut auf
einem Teller, wobei es auf die Sechs- oder Zwölftreuzerstückc abgesehen ist,
die man zur Würze dazwischen legt. Dann erscheint die Köchin und sammelt,
indem sie einen zerbrochenen Löffel oder Tiegel vorzeigt, das Macherlohn für
diesen Schaden ein. Endlich werden auch die Spenden, welche die Gäste am
Schluß des Schmauses für denselben zu entrichten haben, bisweilen durch
eine solche heitere Fiction verschleiert, indem der Hochzeitlader in einer Rede
das Mißgeschick beklagt, welches die Einrichtung der Jungfer Braut dadurch
betroffen, daß eine Gluckhenne mit dreißig Küchlein zum Fenster hereingeflogen
und alles Geschirr zerschlagen habe! die Gäste möchten der betrübicn jungen
Braut zur Erneuerung ihrer Einrichtung ihre Spende nicht versagen.

In der Regel aber bleibt diese Verhüllung aus. Mit einem Bückling
tritt der Hochzeitlader in die Mitte der Gäste und hält seinen zierlichen, meist
ganz oder theilweise gereimten ^,Äbdantspruch", was meist sechs Uhr Abends
geschieht. Nach der Rede setzen sich Wirth, Brautpaar und zwei Ehrmütter
zusammen an den Brauttisch, über den ein Teppich gebreitet wird. Auf die¬
sen stellt man eine Zinnschüssel, über die man einen Teller als Deckel stürzt.
Der Hochzeitlader ruft nun sämmtliche Gäste vom Herrn Pfarrer. bis zur
entferntesten Base mit vollem Titulatur zum Schenken auf. Ein schallender
Tusch der Musik begleitet die Schritte jedes Einzelnen an den Tisch, wo ihm
der Bräutigam, Ehrvater oder Hochzeitlader einen Becher Wein, den "Ehr¬
wein", in ärmern Gegenden einen Krug Bier reicht und er seine Spende auf
den Teller legt. Die Summe wird genau von jedem Schenkenden notrrt,
damit man sich bei Gelegenheit gebührend dafür abfinden kann. Sie beträgt
stets das "Mahlgeld", d. h. das Couvert, und noch einen oder einige Gul¬
den oder Thaler darüber. Verwandte entrichten mehr als bloße Bekannte,
Pathen und Geschwister das Drei- und Vierfache. Mancher fügt noch ein
Scherzhaftes Geschenk, ein Muspfännchen, eine Puppe u. a. hinzu. Zulcht
wird für die Armen gesammelt. Wenn endlich aufgebrochen wird, so blasen
die Musikanten das Brautpaar, das oft heimlich zu entwischen versucht, über
die Straße, wobei der Hochzeitlader unter allerhand Späßen mit der Laterne
voraus zu leuchten hat.

Hinsichtlich der Taufgebräuche erwähnen wir nur die wichtige Stellung,
welche der "Gött", d. h. der Gevatter, dem Kinde gegenüber einnimmt. Er
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Grenzboten IV. 1360. 34

Ter schon wiederholt erwähnte Zug der Volkssitte, das Geben und
Empfangen von Trinkgeldern in humoristische Verhüllungen zu kleiden, kehrt
wahrend des Schmauses in verschiedenen Formen wieder. Die Musikanten
kommen, um am Brauttisch ein Stück zu blasen, da zeigt sich, das, die In¬
strumente zerbrochen sind, und nicht eher will es gehen, als bis sie auf
einen Teller, auf dein zum Wahrzeichen das Mundstück eines Hornes liegt,
„Flickgeld" eingesammelt haben. Häufig auch erbitten sie sich Kraut auf
einem Teller, wobei es auf die Sechs- oder Zwölftreuzerstückc abgesehen ist,
die man zur Würze dazwischen legt. Dann erscheint die Köchin und sammelt,
indem sie einen zerbrochenen Löffel oder Tiegel vorzeigt, das Macherlohn für
diesen Schaden ein. Endlich werden auch die Spenden, welche die Gäste am
Schluß des Schmauses für denselben zu entrichten haben, bisweilen durch
eine solche heitere Fiction verschleiert, indem der Hochzeitlader in einer Rede
das Mißgeschick beklagt, welches die Einrichtung der Jungfer Braut dadurch
betroffen, daß eine Gluckhenne mit dreißig Küchlein zum Fenster hereingeflogen
und alles Geschirr zerschlagen habe! die Gäste möchten der betrübicn jungen
Braut zur Erneuerung ihrer Einrichtung ihre Spende nicht versagen.

In der Regel aber bleibt diese Verhüllung aus. Mit einem Bückling
tritt der Hochzeitlader in die Mitte der Gäste und hält seinen zierlichen, meist
ganz oder theilweise gereimten ^,Äbdantspruch", was meist sechs Uhr Abends
geschieht. Nach der Rede setzen sich Wirth, Brautpaar und zwei Ehrmütter
zusammen an den Brauttisch, über den ein Teppich gebreitet wird. Auf die¬
sen stellt man eine Zinnschüssel, über die man einen Teller als Deckel stürzt.
Der Hochzeitlader ruft nun sämmtliche Gäste vom Herrn Pfarrer. bis zur
entferntesten Base mit vollem Titulatur zum Schenken auf. Ein schallender
Tusch der Musik begleitet die Schritte jedes Einzelnen an den Tisch, wo ihm
der Bräutigam, Ehrvater oder Hochzeitlader einen Becher Wein, den „Ehr¬
wein", in ärmern Gegenden einen Krug Bier reicht und er seine Spende auf
den Teller legt. Die Summe wird genau von jedem Schenkenden notrrt,
damit man sich bei Gelegenheit gebührend dafür abfinden kann. Sie beträgt
stets das „Mahlgeld", d. h. das Couvert, und noch einen oder einige Gul¬
den oder Thaler darüber. Verwandte entrichten mehr als bloße Bekannte,
Pathen und Geschwister das Drei- und Vierfache. Mancher fügt noch ein
Scherzhaftes Geschenk, ein Muspfännchen, eine Puppe u. a. hinzu. Zulcht
wird für die Armen gesammelt. Wenn endlich aufgebrochen wird, so blasen
die Musikanten das Brautpaar, das oft heimlich zu entwischen versucht, über
die Straße, wobei der Hochzeitlader unter allerhand Späßen mit der Laterne
voraus zu leuchten hat.

Hinsichtlich der Taufgebräuche erwähnen wir nur die wichtige Stellung,
welche der „Gött", d. h. der Gevatter, dem Kinde gegenüber einnimmt. Er
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[0277] Ter schon wiederholt erwähnte Zug der Volkssitte, das Geben und Empfangen von Trinkgeldern in humoristische Verhüllungen zu kleiden, kehrt wahrend des Schmauses in verschiedenen Formen wieder. Die Musikanten kommen, um am Brauttisch ein Stück zu blasen, da zeigt sich, das, die In¬ strumente zerbrochen sind, und nicht eher will es gehen, als bis sie auf einen Teller, auf dein zum Wahrzeichen das Mundstück eines Hornes liegt, „Flickgeld" eingesammelt haben. Häufig auch erbitten sie sich Kraut auf einem Teller, wobei es auf die Sechs- oder Zwölftreuzerstückc abgesehen ist, die man zur Würze dazwischen legt. Dann erscheint die Köchin und sammelt, indem sie einen zerbrochenen Löffel oder Tiegel vorzeigt, das Macherlohn für diesen Schaden ein. Endlich werden auch die Spenden, welche die Gäste am Schluß des Schmauses für denselben zu entrichten haben, bisweilen durch eine solche heitere Fiction verschleiert, indem der Hochzeitlader in einer Rede das Mißgeschick beklagt, welches die Einrichtung der Jungfer Braut dadurch betroffen, daß eine Gluckhenne mit dreißig Küchlein zum Fenster hereingeflogen und alles Geschirr zerschlagen habe! die Gäste möchten der betrübicn jungen Braut zur Erneuerung ihrer Einrichtung ihre Spende nicht versagen. In der Regel aber bleibt diese Verhüllung aus. Mit einem Bückling tritt der Hochzeitlader in die Mitte der Gäste und hält seinen zierlichen, meist ganz oder theilweise gereimten ^,Äbdantspruch", was meist sechs Uhr Abends geschieht. Nach der Rede setzen sich Wirth, Brautpaar und zwei Ehrmütter zusammen an den Brauttisch, über den ein Teppich gebreitet wird. Auf die¬ sen stellt man eine Zinnschüssel, über die man einen Teller als Deckel stürzt. Der Hochzeitlader ruft nun sämmtliche Gäste vom Herrn Pfarrer. bis zur entferntesten Base mit vollem Titulatur zum Schenken auf. Ein schallender Tusch der Musik begleitet die Schritte jedes Einzelnen an den Tisch, wo ihm der Bräutigam, Ehrvater oder Hochzeitlader einen Becher Wein, den „Ehr¬ wein", in ärmern Gegenden einen Krug Bier reicht und er seine Spende auf den Teller legt. Die Summe wird genau von jedem Schenkenden notrrt, damit man sich bei Gelegenheit gebührend dafür abfinden kann. Sie beträgt stets das „Mahlgeld", d. h. das Couvert, und noch einen oder einige Gul¬ den oder Thaler darüber. Verwandte entrichten mehr als bloße Bekannte, Pathen und Geschwister das Drei- und Vierfache. Mancher fügt noch ein Scherzhaftes Geschenk, ein Muspfännchen, eine Puppe u. a. hinzu. Zulcht wird für die Armen gesammelt. Wenn endlich aufgebrochen wird, so blasen die Musikanten das Brautpaar, das oft heimlich zu entwischen versucht, über die Straße, wobei der Hochzeitlader unter allerhand Späßen mit der Laterne voraus zu leuchten hat. Hinsichtlich der Taufgebräuche erwähnen wir nur die wichtige Stellung, welche der „Gött", d. h. der Gevatter, dem Kinde gegenüber einnimmt. Er " Grenzboten IV. 1360. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/277>, abgerufen am 15.01.2025.