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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Höchst eigenthümlich ist die Art, in welcher der Hochzeitsbote seine La¬
dung vorzubringen und andrerseits der Geladne sie aufzunehmen hat. Im
Traungau, wo zuerst die Braut geladen wird, versteckt sich dieselbe, sobald sie
die Abgesandten kommen siebt, in einen Winkel, in die Gewandtruhe, ja ins
Krautfnß. Der Hochzeitslader sucht sie, in der Weise eines Hühnerhundes
schnobernd, unter oftmaliger Wiederholung der Worte: "Mir scheint, hier ist
eine Braut!" in Küche und Keller, Hof und Stall, entdeckt sie endlich und
zieht sie ans Tageslicht. Sie sträubt sich nach Kräften, antwortet auf seine
Anrede mit allerhand Ausflüchten, wie, daß sie nicht gut höre, daß sie die
Sprache des Ladenden nicht verstehe und wird nur durch langes Parlamentiren
bewogen, sich durch Jawort und Handschlag zum Erscheinen bei der Hochzeit
zu verpflichten. Aehnlich wie das Mädchen aus jungfräulicher Sittsamkeit
haben sich alle andern Gäste aus Bescheidenheit gegen die ihnen zugedachte
Ehre zu wehren. Auch sie verstecken sich vor dem Hochzeitslader, zeigen sich,
wenn es diesem endlich gelingt, seine Rede anzubringen, von der beabsichtigten
Verbindung höchlich überrascht, obwol sie von derselben in der Regel schon
Monate vorher unterrichtet sind, und nehmen die Einladung zur Hochzeit erst
nach möglichst lange fortgesetzter Weigerung an. Dann wird der Hochzcits-
lader mit einer Ehrcnmahlzeit bewirthet, die nach Sitte und Vermögen ver¬
schieden, bei Reichern aber immer sehr reichlich und dann, da an einem Tage
oft gegen zwanzig Einladungen abgethan werden und Hochzeitslader keine
Kostverächter sein dürfen, eine gute Vorübung für das Hochzeitsmahl ist.

Hat der Hochzeitsladcr seinen Umzug beendigt, so gehen die Brautleute
mit ihren nächsten Verwandten "zum Schreiben", d. h. vor Gericht, um dort
ihr Verehelichungsgesuch anzubringen, den Heirathsvertrag aufsetzen und Aehn-
liches vornehmen zu lassen, wobei ihnen der redegewandte Hochzeitslader als
Rechtsfreund oder doch als Mundstück dient. Vom Gericht begibt sich die Ge¬
sellschaft häufig zum Pfarrer, um "das Stuhlfest" zu feiern, d. h. die öffent¬
liche Verlobung vollziehen zu lassen, welchem Akt die Aufsagung der Glau¬
bensartikel und des Vaterunsers vorher zu gehen und ein tüchtiger Schmaus
im Wirthshaus, "das Krautessen" zu folgen pflegt.

Am letzten Sonnabend vor der Hochzeit findet die Absenkung des "Fedel-
wagens", "Kammerwagens" oder "Watsaums", d. h. des Fuhrwerks statt,
welches die Aussteuer der Braut aus dem Hause ihrer Eltern nach dem des
Bräutigams schafft. Der Wagen wird von vier, ja bisweilen von sechs Pfer¬
den oder Ochsen gezogen, die gleich dem Fuhrmann stattlich mit Rosmarin
und Bandschleifen herausgeputzt sind. Aus ihm befinden sich ein Kruzifix, eine
Kommode, zwei Stühle, ein Hängekasten, ein Schrank, in dem Wüsche, Lein¬
wand und Tuch liegen, ein großes zweischläfriges Bett, eine Schaukelwiege
und in einigen Gegenden der Zimmeraltar. Die Spitze des Ganzen bildet


Höchst eigenthümlich ist die Art, in welcher der Hochzeitsbote seine La¬
dung vorzubringen und andrerseits der Geladne sie aufzunehmen hat. Im
Traungau, wo zuerst die Braut geladen wird, versteckt sich dieselbe, sobald sie
die Abgesandten kommen siebt, in einen Winkel, in die Gewandtruhe, ja ins
Krautfnß. Der Hochzeitslader sucht sie, in der Weise eines Hühnerhundes
schnobernd, unter oftmaliger Wiederholung der Worte: „Mir scheint, hier ist
eine Braut!" in Küche und Keller, Hof und Stall, entdeckt sie endlich und
zieht sie ans Tageslicht. Sie sträubt sich nach Kräften, antwortet auf seine
Anrede mit allerhand Ausflüchten, wie, daß sie nicht gut höre, daß sie die
Sprache des Ladenden nicht verstehe und wird nur durch langes Parlamentiren
bewogen, sich durch Jawort und Handschlag zum Erscheinen bei der Hochzeit
zu verpflichten. Aehnlich wie das Mädchen aus jungfräulicher Sittsamkeit
haben sich alle andern Gäste aus Bescheidenheit gegen die ihnen zugedachte
Ehre zu wehren. Auch sie verstecken sich vor dem Hochzeitslader, zeigen sich,
wenn es diesem endlich gelingt, seine Rede anzubringen, von der beabsichtigten
Verbindung höchlich überrascht, obwol sie von derselben in der Regel schon
Monate vorher unterrichtet sind, und nehmen die Einladung zur Hochzeit erst
nach möglichst lange fortgesetzter Weigerung an. Dann wird der Hochzcits-
lader mit einer Ehrcnmahlzeit bewirthet, die nach Sitte und Vermögen ver¬
schieden, bei Reichern aber immer sehr reichlich und dann, da an einem Tage
oft gegen zwanzig Einladungen abgethan werden und Hochzeitslader keine
Kostverächter sein dürfen, eine gute Vorübung für das Hochzeitsmahl ist.

Hat der Hochzeitsladcr seinen Umzug beendigt, so gehen die Brautleute
mit ihren nächsten Verwandten „zum Schreiben", d. h. vor Gericht, um dort
ihr Verehelichungsgesuch anzubringen, den Heirathsvertrag aufsetzen und Aehn-
liches vornehmen zu lassen, wobei ihnen der redegewandte Hochzeitslader als
Rechtsfreund oder doch als Mundstück dient. Vom Gericht begibt sich die Ge¬
sellschaft häufig zum Pfarrer, um „das Stuhlfest" zu feiern, d. h. die öffent¬
liche Verlobung vollziehen zu lassen, welchem Akt die Aufsagung der Glau¬
bensartikel und des Vaterunsers vorher zu gehen und ein tüchtiger Schmaus
im Wirthshaus, „das Krautessen" zu folgen pflegt.

Am letzten Sonnabend vor der Hochzeit findet die Absenkung des „Fedel-
wagens", „Kammerwagens" oder „Watsaums", d. h. des Fuhrwerks statt,
welches die Aussteuer der Braut aus dem Hause ihrer Eltern nach dem des
Bräutigams schafft. Der Wagen wird von vier, ja bisweilen von sechs Pfer¬
den oder Ochsen gezogen, die gleich dem Fuhrmann stattlich mit Rosmarin
und Bandschleifen herausgeputzt sind. Aus ihm befinden sich ein Kruzifix, eine
Kommode, zwei Stühle, ein Hängekasten, ein Schrank, in dem Wüsche, Lein¬
wand und Tuch liegen, ein großes zweischläfriges Bett, eine Schaukelwiege
und in einigen Gegenden der Zimmeraltar. Die Spitze des Ganzen bildet


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[0270] Höchst eigenthümlich ist die Art, in welcher der Hochzeitsbote seine La¬ dung vorzubringen und andrerseits der Geladne sie aufzunehmen hat. Im Traungau, wo zuerst die Braut geladen wird, versteckt sich dieselbe, sobald sie die Abgesandten kommen siebt, in einen Winkel, in die Gewandtruhe, ja ins Krautfnß. Der Hochzeitslader sucht sie, in der Weise eines Hühnerhundes schnobernd, unter oftmaliger Wiederholung der Worte: „Mir scheint, hier ist eine Braut!" in Küche und Keller, Hof und Stall, entdeckt sie endlich und zieht sie ans Tageslicht. Sie sträubt sich nach Kräften, antwortet auf seine Anrede mit allerhand Ausflüchten, wie, daß sie nicht gut höre, daß sie die Sprache des Ladenden nicht verstehe und wird nur durch langes Parlamentiren bewogen, sich durch Jawort und Handschlag zum Erscheinen bei der Hochzeit zu verpflichten. Aehnlich wie das Mädchen aus jungfräulicher Sittsamkeit haben sich alle andern Gäste aus Bescheidenheit gegen die ihnen zugedachte Ehre zu wehren. Auch sie verstecken sich vor dem Hochzeitslader, zeigen sich, wenn es diesem endlich gelingt, seine Rede anzubringen, von der beabsichtigten Verbindung höchlich überrascht, obwol sie von derselben in der Regel schon Monate vorher unterrichtet sind, und nehmen die Einladung zur Hochzeit erst nach möglichst lange fortgesetzter Weigerung an. Dann wird der Hochzcits- lader mit einer Ehrcnmahlzeit bewirthet, die nach Sitte und Vermögen ver¬ schieden, bei Reichern aber immer sehr reichlich und dann, da an einem Tage oft gegen zwanzig Einladungen abgethan werden und Hochzeitslader keine Kostverächter sein dürfen, eine gute Vorübung für das Hochzeitsmahl ist. Hat der Hochzeitsladcr seinen Umzug beendigt, so gehen die Brautleute mit ihren nächsten Verwandten „zum Schreiben", d. h. vor Gericht, um dort ihr Verehelichungsgesuch anzubringen, den Heirathsvertrag aufsetzen und Aehn- liches vornehmen zu lassen, wobei ihnen der redegewandte Hochzeitslader als Rechtsfreund oder doch als Mundstück dient. Vom Gericht begibt sich die Ge¬ sellschaft häufig zum Pfarrer, um „das Stuhlfest" zu feiern, d. h. die öffent¬ liche Verlobung vollziehen zu lassen, welchem Akt die Aufsagung der Glau¬ bensartikel und des Vaterunsers vorher zu gehen und ein tüchtiger Schmaus im Wirthshaus, „das Krautessen" zu folgen pflegt. Am letzten Sonnabend vor der Hochzeit findet die Absenkung des „Fedel- wagens", „Kammerwagens" oder „Watsaums", d. h. des Fuhrwerks statt, welches die Aussteuer der Braut aus dem Hause ihrer Eltern nach dem des Bräutigams schafft. Der Wagen wird von vier, ja bisweilen von sechs Pfer¬ den oder Ochsen gezogen, die gleich dem Fuhrmann stattlich mit Rosmarin und Bandschleifen herausgeputzt sind. Aus ihm befinden sich ein Kruzifix, eine Kommode, zwei Stühle, ein Hängekasten, ein Schrank, in dem Wüsche, Lein¬ wand und Tuch liegen, ein großes zweischläfriges Bett, eine Schaukelwiege und in einigen Gegenden der Zimmeraltar. Die Spitze des Ganzen bildet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/270>, abgerufen am 15.01.2025.