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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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versammelt, mußte aber seinen protestantischen Unterthanen gegenüber doppelt
vorsichtig sein; die Unterhandlungen beschränkten sich zu seiner Zeit fast ganz
auf Gespräche zwischen Leibnitz und Spinola.

Auf der Höhe des Geistes und der Bildung, auf welcher Leibnitz stand,
erregten ihm die Zänkereien der Geistlichen, ungeschlacht und brutal, wie sie
in der Regel waren, nur Ekel. Freilich wußte er als geübter Metaphysiker
für jedes beliebige Dogma eine geistreiche Auslegung zu finden, und die rohen
Naturalisten dadurch in Verlegenheit zu setzen, aber eben darum war er geneigt,
zwischen allen Parteien zu vermitteln. Dem Volk stand er fern, er ging we¬
der in die Kirche noch in die Schenke, sein Haus war der Salon und die
Akademie. Er sah in dem Confefsionsleven nur Streit über nichtige Dinge,
Unheil für das Reich, Schaden für die Wissenschaft: statt über Gnade und
Werke zu disputiren, sollte man lieber eine Kette astronomischer Beobachtungen
durch Europa, Nußland, China einrichten; um das wissenschaftliche Leben zu
organisiren, mußte in der Kirche Friede sein: Friede und Ordnung um jeden
Preis! Wie vortrefflich war die Organisation der Jesuiten! wie schade, daß
sie dieselbe auf theologische Nullitäten wandten, statt auf ernsthafte, wissen¬
schaftliche Untersuchungen! Die Hierarchie konnte man sich wol gefallen lassen,
ja sie war der beste Ausdruck socialer Ordnung; nur mußte der Papst ver¬
nünftig sein, weder die Freiheit der Gewissen, noch die socialen Errungen¬
schaften der Protestanten durften angetastet werden. -- Selbst in seinem kos-
mologischen System lag vieles, was ihn für Rom gewann: Einheit des Men¬
schengeschlechts, der Religion, der Wissenschaft, der Sprache u. f. w.! -- Im
Princip war er entschieden für die Einigung; und darin blieb er unwandel¬
bar, er käm unter den wechselndsten Umständen darauf zurück; nur wenn
man ihn persönlich anging, wenn er seine individuelle Freiheit!, die Ueber¬
zeugungen seines Verstandes und seines Gemüths verleugnen sollte, trat er
schroff zurück. -- Uevrigens eine conciliante. ja schmiegsame Natur, hatte er
bisher stets unter Katholiken gelebt: am Mainzer Hof, in Paris mit Arnauld.
bei Johann Friedrich; außerdem correspondirte er mit namhaften Kirchenlich¬
tern; aber jede Aufforderung, sich zu bekehren, lehnte er ab.

Spinola war ihm in mancher Hinsicht sehr bequem: auch ihm kam es
hauptsächlich auf die Einigung an; was man auf beiden Seiten nachgab, kam
erst in zweiter Linie. Ein eifriger Apostel, aber kein Kirchenlicht; in den For¬
men- sanft und zugänglich: "Der Laune nach, erzählt ein Prediger in Gotha,
Franzose; in den Manieren Italiener; Spanier, sobald er sich ärgert: aber
bei Tafel ein Vollblut-Deutscher!" -- Von derselben Art war Molanus,
protestantischer Abt von Lottum. der erste Geistliche aller braunschweigischen
Lande: aus der Helmstädter Schule, friedliebend, nachgiebig gegen den Hof.
nicht ohne wissenschaftliche Bildung und zu kleinen diplomatischen Intriguen


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versammelt, mußte aber seinen protestantischen Unterthanen gegenüber doppelt
vorsichtig sein; die Unterhandlungen beschränkten sich zu seiner Zeit fast ganz
auf Gespräche zwischen Leibnitz und Spinola.

Auf der Höhe des Geistes und der Bildung, auf welcher Leibnitz stand,
erregten ihm die Zänkereien der Geistlichen, ungeschlacht und brutal, wie sie
in der Regel waren, nur Ekel. Freilich wußte er als geübter Metaphysiker
für jedes beliebige Dogma eine geistreiche Auslegung zu finden, und die rohen
Naturalisten dadurch in Verlegenheit zu setzen, aber eben darum war er geneigt,
zwischen allen Parteien zu vermitteln. Dem Volk stand er fern, er ging we¬
der in die Kirche noch in die Schenke, sein Haus war der Salon und die
Akademie. Er sah in dem Confefsionsleven nur Streit über nichtige Dinge,
Unheil für das Reich, Schaden für die Wissenschaft: statt über Gnade und
Werke zu disputiren, sollte man lieber eine Kette astronomischer Beobachtungen
durch Europa, Nußland, China einrichten; um das wissenschaftliche Leben zu
organisiren, mußte in der Kirche Friede sein: Friede und Ordnung um jeden
Preis! Wie vortrefflich war die Organisation der Jesuiten! wie schade, daß
sie dieselbe auf theologische Nullitäten wandten, statt auf ernsthafte, wissen¬
schaftliche Untersuchungen! Die Hierarchie konnte man sich wol gefallen lassen,
ja sie war der beste Ausdruck socialer Ordnung; nur mußte der Papst ver¬
nünftig sein, weder die Freiheit der Gewissen, noch die socialen Errungen¬
schaften der Protestanten durften angetastet werden. — Selbst in seinem kos-
mologischen System lag vieles, was ihn für Rom gewann: Einheit des Men¬
schengeschlechts, der Religion, der Wissenschaft, der Sprache u. f. w.! — Im
Princip war er entschieden für die Einigung; und darin blieb er unwandel¬
bar, er käm unter den wechselndsten Umständen darauf zurück; nur wenn
man ihn persönlich anging, wenn er seine individuelle Freiheit!, die Ueber¬
zeugungen seines Verstandes und seines Gemüths verleugnen sollte, trat er
schroff zurück. — Uevrigens eine conciliante. ja schmiegsame Natur, hatte er
bisher stets unter Katholiken gelebt: am Mainzer Hof, in Paris mit Arnauld.
bei Johann Friedrich; außerdem correspondirte er mit namhaften Kirchenlich¬
tern; aber jede Aufforderung, sich zu bekehren, lehnte er ab.

Spinola war ihm in mancher Hinsicht sehr bequem: auch ihm kam es
hauptsächlich auf die Einigung an; was man auf beiden Seiten nachgab, kam
erst in zweiter Linie. Ein eifriger Apostel, aber kein Kirchenlicht; in den For¬
men- sanft und zugänglich: „Der Laune nach, erzählt ein Prediger in Gotha,
Franzose; in den Manieren Italiener; Spanier, sobald er sich ärgert: aber
bei Tafel ein Vollblut-Deutscher!" — Von derselben Art war Molanus,
protestantischer Abt von Lottum. der erste Geistliche aller braunschweigischen
Lande: aus der Helmstädter Schule, friedliebend, nachgiebig gegen den Hof.
nicht ohne wissenschaftliche Bildung und zu kleinen diplomatischen Intriguen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/175>, abgerufen am 15.01.2025.