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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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eine neue ketzerische Sekte betrachtet, und ein berliner Prediger donnerte von
der Kanzel: "wir verdammen die Papisten, die Reformirten und auch die
Helmstädter; wer nicht lutherisch ist, ist verflucht!" -- Aber aufgegeben war
das Unternehmen nicht, die Helmstädter blieben ihren Gesinnungen treu, und
die äußeren Umstände waren ganz darnach angethan, die Versuche von Zeit
zu Zeit wieder aufnehmen zu lassen.

Zunächst lag es im Interesse des Kaiser Leopold, was sein Ahn
mit theilweise glücklichem Erfolg durch brutale Gewalt angebahnt, auf dem
Wege friedlicher Verhandlungen fortzusetzen. Persönlich bigott und in seinen
Erbländer gegen die Protestanten gewaltthätig, sah er doch ein, daß er. um
ein so großes Werk durchzusetzen, sich zu Zugeständnissen werde bequemen
müssen. Die Fürsten, obgleich seit dem westphälischen Frieden so gut als
souverän, waren doch durch manche Bande des Vortheils an das Reichs¬
oberhaupt geknüpft: darunter vor allem die braunschweig-lüneburgischen Her¬
zöge, denen seit lange als Ziel des Ehrgeizes der Kurhut vorschwebte.

Unter diesen Umständen fand ein Mann, der aus reinem Eiser und mit
einer wirklich anerkennenswerther Aufopferung sich des schweren Werkes an¬
nahm, der Spanier Spinola, vielseitigen Anklang. Er war als spanischer
Gesandter und Beichtvater der Kaiserin nach Wien gekommen, und hatte schon
1660 eine kaiserliche Vollmacht erlangt; das Jahr darauf betraute ihn der
Kurfürst von Brandenburg mit der Negotiation mit der spanisch-deutschen
Handelsgesellschaft nach Indien; 1671 trat er in Verständniß mit dem Päpst¬
lichen Nuntius in Wien, eröffnete 1675 die Unterhandlungen mit dem kur¬
sächsischen Hofe, die aber durch die Erklärung des letztern, er könne ohne Ein¬
vernehmen mit den übrigen Protestanten sich auf ein so weitläufiges Werk
nicht einlassen, abgebrochen wurden, und nahm sie 1678 von Neuem in grö-
ßerm Maßstab wieder auf: diesmal betheiligten sich 14 regierende Fürsten
(Sachsen, Brandenburg, Pfalz, sämmtliche Braunschweiger u. s. w.) und einige
Reichsstädte daran. Hannover war der Mittelpunkt.

Herzog Johann Friedrich und seine Gemahlin Benedicte, eine
pfälzische Prinzessin,*) waren seit lange katholisch geworden, wie es scheint,
aus Ueberzeugung; er hatte eine große Zahl katholischer Gelehrten um sich




eine neue ketzerische Sekte betrachtet, und ein berliner Prediger donnerte von
der Kanzel: „wir verdammen die Papisten, die Reformirten und auch die
Helmstädter; wer nicht lutherisch ist, ist verflucht!" — Aber aufgegeben war
das Unternehmen nicht, die Helmstädter blieben ihren Gesinnungen treu, und
die äußeren Umstände waren ganz darnach angethan, die Versuche von Zeit
zu Zeit wieder aufnehmen zu lassen.

Zunächst lag es im Interesse des Kaiser Leopold, was sein Ahn
mit theilweise glücklichem Erfolg durch brutale Gewalt angebahnt, auf dem
Wege friedlicher Verhandlungen fortzusetzen. Persönlich bigott und in seinen
Erbländer gegen die Protestanten gewaltthätig, sah er doch ein, daß er. um
ein so großes Werk durchzusetzen, sich zu Zugeständnissen werde bequemen
müssen. Die Fürsten, obgleich seit dem westphälischen Frieden so gut als
souverän, waren doch durch manche Bande des Vortheils an das Reichs¬
oberhaupt geknüpft: darunter vor allem die braunschweig-lüneburgischen Her¬
zöge, denen seit lange als Ziel des Ehrgeizes der Kurhut vorschwebte.

Unter diesen Umständen fand ein Mann, der aus reinem Eiser und mit
einer wirklich anerkennenswerther Aufopferung sich des schweren Werkes an¬
nahm, der Spanier Spinola, vielseitigen Anklang. Er war als spanischer
Gesandter und Beichtvater der Kaiserin nach Wien gekommen, und hatte schon
1660 eine kaiserliche Vollmacht erlangt; das Jahr darauf betraute ihn der
Kurfürst von Brandenburg mit der Negotiation mit der spanisch-deutschen
Handelsgesellschaft nach Indien; 1671 trat er in Verständniß mit dem Päpst¬
lichen Nuntius in Wien, eröffnete 1675 die Unterhandlungen mit dem kur¬
sächsischen Hofe, die aber durch die Erklärung des letztern, er könne ohne Ein¬
vernehmen mit den übrigen Protestanten sich auf ein so weitläufiges Werk
nicht einlassen, abgebrochen wurden, und nahm sie 1678 von Neuem in grö-
ßerm Maßstab wieder auf: diesmal betheiligten sich 14 regierende Fürsten
(Sachsen, Brandenburg, Pfalz, sämmtliche Braunschweiger u. s. w.) und einige
Reichsstädte daran. Hannover war der Mittelpunkt.

Herzog Johann Friedrich und seine Gemahlin Benedicte, eine
pfälzische Prinzessin,*) waren seit lange katholisch geworden, wie es scheint,
aus Ueberzeugung; er hatte eine große Zahl katholischer Gelehrten um sich




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[0174] eine neue ketzerische Sekte betrachtet, und ein berliner Prediger donnerte von der Kanzel: „wir verdammen die Papisten, die Reformirten und auch die Helmstädter; wer nicht lutherisch ist, ist verflucht!" — Aber aufgegeben war das Unternehmen nicht, die Helmstädter blieben ihren Gesinnungen treu, und die äußeren Umstände waren ganz darnach angethan, die Versuche von Zeit zu Zeit wieder aufnehmen zu lassen. Zunächst lag es im Interesse des Kaiser Leopold, was sein Ahn mit theilweise glücklichem Erfolg durch brutale Gewalt angebahnt, auf dem Wege friedlicher Verhandlungen fortzusetzen. Persönlich bigott und in seinen Erbländer gegen die Protestanten gewaltthätig, sah er doch ein, daß er. um ein so großes Werk durchzusetzen, sich zu Zugeständnissen werde bequemen müssen. Die Fürsten, obgleich seit dem westphälischen Frieden so gut als souverän, waren doch durch manche Bande des Vortheils an das Reichs¬ oberhaupt geknüpft: darunter vor allem die braunschweig-lüneburgischen Her¬ zöge, denen seit lange als Ziel des Ehrgeizes der Kurhut vorschwebte. Unter diesen Umständen fand ein Mann, der aus reinem Eiser und mit einer wirklich anerkennenswerther Aufopferung sich des schweren Werkes an¬ nahm, der Spanier Spinola, vielseitigen Anklang. Er war als spanischer Gesandter und Beichtvater der Kaiserin nach Wien gekommen, und hatte schon 1660 eine kaiserliche Vollmacht erlangt; das Jahr darauf betraute ihn der Kurfürst von Brandenburg mit der Negotiation mit der spanisch-deutschen Handelsgesellschaft nach Indien; 1671 trat er in Verständniß mit dem Päpst¬ lichen Nuntius in Wien, eröffnete 1675 die Unterhandlungen mit dem kur¬ sächsischen Hofe, die aber durch die Erklärung des letztern, er könne ohne Ein¬ vernehmen mit den übrigen Protestanten sich auf ein so weitläufiges Werk nicht einlassen, abgebrochen wurden, und nahm sie 1678 von Neuem in grö- ßerm Maßstab wieder auf: diesmal betheiligten sich 14 regierende Fürsten (Sachsen, Brandenburg, Pfalz, sämmtliche Braunschweiger u. s. w.) und einige Reichsstädte daran. Hannover war der Mittelpunkt. Herzog Johann Friedrich und seine Gemahlin Benedicte, eine pfälzische Prinzessin,*) waren seit lange katholisch geworden, wie es scheint, aus Ueberzeugung; er hatte eine große Zahl katholischer Gelehrten um sich -) Friedrich von der Pfalz Elisabeth. Tochter Jacobs von England, -j- 1662 Karl Ludwig Rup-re, Eduard, in Frank- Elisabeth, Si-dtissin Hollandin-, Ael» Sophie, geb, IZ O-t. lvza v. d, Pfalz englischer reich, katholisch von Herford (In- tiisin von Man- 1714 Ernst Angust von ,--"---, Admiral -^'Amm Gom> thcrisch) g-ki, 1I51S hnisson skatho- Hannover Charlotte, >aga >- 1V84 -I- IVS0 tisch) 1709 ,-----"-----. IK7I H-riogtn ,-----'--- Georg I, von Sophie «har. von Orleans. Marien Benedicte und Englands todte 1705 Conto Johann Frt-d- Sophie Do- r>^i Friedrich I rieb von Han- rvthee v. von Preußen mover CelleFriedrich Wik. Georg II. Sophie Dorothee <^> Helm I Friedrich der Große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/174>, abgerufen am 15.01.2025.