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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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daß Italien ein Nest kosmopolitischer Secten wird, die sich dort ein Rendez¬
vous geben, um Plane einer allgemeinen Reaction oder Demagogie anzu-
zetteln!" verdienen die sehr ernste Erwägung des monarchischen Europa.

Aber noch ein zweiter Umstand ist in Erwägung zu zieh": Garivnldi
war militärisch verloren, wenn ihm Victor Emanuel nicht zu Hilfe kam. Wer
diese Behauptung gewagt findet, der lese Rüstoms Briefe in der deutschen
allgemeinen Zeitung. Rüstow hat wahrhaftig keine Vorliebe für Uniformen
im allgemeinen und für die Piemontesen insbesondre, er denkt über die Mög¬
lichkeit, organisirte Armeen durch einen Aufstand zu schlagen, viel sanguinischer
als irgend ein Militär: aber er hat zugleich die Fähigkeit, die Augen aufzu¬
machen. Die Erfolge Ganbaldis, so weit sie nicht aus dem panischen Schreck
einer Regierung, die den Glauben an sich selbst verloren hatte, entsprangen,
sind einzig und allein den Norditalienern und den Fremden zu verdanken;
die Neapolitaner und Sicilianer haben recht laut geschrien, aber das Fechten
war ihre Sache nicht. Der Kern aber seines Heers war furchtbar decimirt
und an eine Ergänzung nicht zu denken. Es war ein großes, kühnes Wort,
daß er die Einheit Italiens vom Quirinal verkündigen wollte, daß er also
Frankreich und Oestreich, d. h. prachtvolle Armeen von ziemlich einer Million
gleichzeitig herausforderte; aber -- vom Erhabnen zum Lächerlichen ist nur
ein Schritt.

Jetzt tritt eine geordnete und organisirte Macht ein, geführt von einem
kühnen König und von einem gewiegten Staatsmann aus der besten Schule
Macchiavells, getragen von der einmüthigen Gesinnung eines Volks, welche
sich in der neulichen Abstimmung (290:6!) glänzend bewährt hat. Wird es
dieser neuen Macht gelingen? Die Chancen stehn ungefähr so wie im Jahre
1756 für Preußen; wenn die Intervention eintritt, so ist die größte Wahr¬
scheinlichkeit vorhanden, daß Italien unterliegt; aber die Möglichkeit des Siegs
ist gegeben und das ganze cimlisirte Europa hat gerechte Veranlassung den
Sieg zu wünschen. -- Denn was soll geschehn, wenn Victor Emanuel besiegt
wird? Sollen die Bourbons und die andern Regierungen, über deren Beschaffen¬
heit Europa jetzt doch vollständig unterrichtet ist. wiederhergestellt und Italien
damit verurtheilt werden, einerseits der Herd der Faulheit und Schlemmerei,
andrerseits der Herd der Revolution und Banditcnwirthschast zu bleiben? oder will
man dieses gesegnete Land einem französischen Prinzen überlassen?

Das schlimmste Vorurtheil, an welchem die öffentliche Meinung in Bezug
auf das neue Königreich Italien krankt, ist. daß sie es für einen stetigen Bun¬
desgenossen Frankreichs nimmt. Aber der Augenschein lehrt das Gegentheil.
Der bekannte Artikel des Constitutionnel weiß sehr wohl, was er will, wenn
er die von Garibaldi geleitete Revolution billigt, die von Victor Emanuel
geleitete Revolution verdammt. Denn jene arbeitete dem Mazzinismus, der


daß Italien ein Nest kosmopolitischer Secten wird, die sich dort ein Rendez¬
vous geben, um Plane einer allgemeinen Reaction oder Demagogie anzu-
zetteln!" verdienen die sehr ernste Erwägung des monarchischen Europa.

Aber noch ein zweiter Umstand ist in Erwägung zu zieh»: Garivnldi
war militärisch verloren, wenn ihm Victor Emanuel nicht zu Hilfe kam. Wer
diese Behauptung gewagt findet, der lese Rüstoms Briefe in der deutschen
allgemeinen Zeitung. Rüstow hat wahrhaftig keine Vorliebe für Uniformen
im allgemeinen und für die Piemontesen insbesondre, er denkt über die Mög¬
lichkeit, organisirte Armeen durch einen Aufstand zu schlagen, viel sanguinischer
als irgend ein Militär: aber er hat zugleich die Fähigkeit, die Augen aufzu¬
machen. Die Erfolge Ganbaldis, so weit sie nicht aus dem panischen Schreck
einer Regierung, die den Glauben an sich selbst verloren hatte, entsprangen,
sind einzig und allein den Norditalienern und den Fremden zu verdanken;
die Neapolitaner und Sicilianer haben recht laut geschrien, aber das Fechten
war ihre Sache nicht. Der Kern aber seines Heers war furchtbar decimirt
und an eine Ergänzung nicht zu denken. Es war ein großes, kühnes Wort,
daß er die Einheit Italiens vom Quirinal verkündigen wollte, daß er also
Frankreich und Oestreich, d. h. prachtvolle Armeen von ziemlich einer Million
gleichzeitig herausforderte; aber — vom Erhabnen zum Lächerlichen ist nur
ein Schritt.

Jetzt tritt eine geordnete und organisirte Macht ein, geführt von einem
kühnen König und von einem gewiegten Staatsmann aus der besten Schule
Macchiavells, getragen von der einmüthigen Gesinnung eines Volks, welche
sich in der neulichen Abstimmung (290:6!) glänzend bewährt hat. Wird es
dieser neuen Macht gelingen? Die Chancen stehn ungefähr so wie im Jahre
1756 für Preußen; wenn die Intervention eintritt, so ist die größte Wahr¬
scheinlichkeit vorhanden, daß Italien unterliegt; aber die Möglichkeit des Siegs
ist gegeben und das ganze cimlisirte Europa hat gerechte Veranlassung den
Sieg zu wünschen. — Denn was soll geschehn, wenn Victor Emanuel besiegt
wird? Sollen die Bourbons und die andern Regierungen, über deren Beschaffen¬
heit Europa jetzt doch vollständig unterrichtet ist. wiederhergestellt und Italien
damit verurtheilt werden, einerseits der Herd der Faulheit und Schlemmerei,
andrerseits der Herd der Revolution und Banditcnwirthschast zu bleiben? oder will
man dieses gesegnete Land einem französischen Prinzen überlassen?

Das schlimmste Vorurtheil, an welchem die öffentliche Meinung in Bezug
auf das neue Königreich Italien krankt, ist. daß sie es für einen stetigen Bun¬
desgenossen Frankreichs nimmt. Aber der Augenschein lehrt das Gegentheil.
Der bekannte Artikel des Constitutionnel weiß sehr wohl, was er will, wenn
er die von Garibaldi geleitete Revolution billigt, die von Victor Emanuel
geleitete Revolution verdammt. Denn jene arbeitete dem Mazzinismus, der


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[0168] daß Italien ein Nest kosmopolitischer Secten wird, die sich dort ein Rendez¬ vous geben, um Plane einer allgemeinen Reaction oder Demagogie anzu- zetteln!" verdienen die sehr ernste Erwägung des monarchischen Europa. Aber noch ein zweiter Umstand ist in Erwägung zu zieh»: Garivnldi war militärisch verloren, wenn ihm Victor Emanuel nicht zu Hilfe kam. Wer diese Behauptung gewagt findet, der lese Rüstoms Briefe in der deutschen allgemeinen Zeitung. Rüstow hat wahrhaftig keine Vorliebe für Uniformen im allgemeinen und für die Piemontesen insbesondre, er denkt über die Mög¬ lichkeit, organisirte Armeen durch einen Aufstand zu schlagen, viel sanguinischer als irgend ein Militär: aber er hat zugleich die Fähigkeit, die Augen aufzu¬ machen. Die Erfolge Ganbaldis, so weit sie nicht aus dem panischen Schreck einer Regierung, die den Glauben an sich selbst verloren hatte, entsprangen, sind einzig und allein den Norditalienern und den Fremden zu verdanken; die Neapolitaner und Sicilianer haben recht laut geschrien, aber das Fechten war ihre Sache nicht. Der Kern aber seines Heers war furchtbar decimirt und an eine Ergänzung nicht zu denken. Es war ein großes, kühnes Wort, daß er die Einheit Italiens vom Quirinal verkündigen wollte, daß er also Frankreich und Oestreich, d. h. prachtvolle Armeen von ziemlich einer Million gleichzeitig herausforderte; aber — vom Erhabnen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Jetzt tritt eine geordnete und organisirte Macht ein, geführt von einem kühnen König und von einem gewiegten Staatsmann aus der besten Schule Macchiavells, getragen von der einmüthigen Gesinnung eines Volks, welche sich in der neulichen Abstimmung (290:6!) glänzend bewährt hat. Wird es dieser neuen Macht gelingen? Die Chancen stehn ungefähr so wie im Jahre 1756 für Preußen; wenn die Intervention eintritt, so ist die größte Wahr¬ scheinlichkeit vorhanden, daß Italien unterliegt; aber die Möglichkeit des Siegs ist gegeben und das ganze cimlisirte Europa hat gerechte Veranlassung den Sieg zu wünschen. — Denn was soll geschehn, wenn Victor Emanuel besiegt wird? Sollen die Bourbons und die andern Regierungen, über deren Beschaffen¬ heit Europa jetzt doch vollständig unterrichtet ist. wiederhergestellt und Italien damit verurtheilt werden, einerseits der Herd der Faulheit und Schlemmerei, andrerseits der Herd der Revolution und Banditcnwirthschast zu bleiben? oder will man dieses gesegnete Land einem französischen Prinzen überlassen? Das schlimmste Vorurtheil, an welchem die öffentliche Meinung in Bezug auf das neue Königreich Italien krankt, ist. daß sie es für einen stetigen Bun¬ desgenossen Frankreichs nimmt. Aber der Augenschein lehrt das Gegentheil. Der bekannte Artikel des Constitutionnel weiß sehr wohl, was er will, wenn er die von Garibaldi geleitete Revolution billigt, die von Victor Emanuel geleitete Revolution verdammt. Denn jene arbeitete dem Mazzinismus, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/168>, abgerufen am 15.01.2025.