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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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ist ein Factum, über das es nutzlos wäre, hier weitere Worte verlieren zu
wollen. Ebenso wenig möchte ich hier den alten Streit aufnehmen, ob es für
eine Zeitung gerathener und ehrenhafter sei, ein Princip in aller Intaktheit
aufrecht zu erhalten, oder ob es sie besser kleide und ihr mehr zum Verdienst ge¬
reiche, sich den unerbittlichen Thatsachen gegenüber zu accommodiren. Diese
Frage mag immerhin in suspenso bleiben; ihre allgemeine Beantwortung, so
oder so. würde doch keinen Maßstab für die Beurtheilung der Times ab¬
geben. Die Times sind nun mal kein Blatt wie andere Blätter. Wie es
eine Zeit gab, wo man von "Ausnahmemenschen" zu sprechen liebte, so sind sie
das Ausnahmeblatt. Sie haben Anspruch darauf, mit ihrer eignen Elle gemessen
zu werden. Ob ihr Ruf und Ruhm ein künstlich unterhaltener ist. ist gleich-
giltig; so lange er da ist. ist er ein Factum und hat genau so viel Macht und
Stärke, wie der Glaube stark ist, der freiwillig eine räthselhafte Machtfülle auf
sie überträgt. Diese Machtfülle erhebt die Times nicht nur weit über andere
Blätter, sondern schafft einen andern Sittencodex für dieselben. Sie hat die
Macht, den Einfluß, die Bedeutung eines Staats, und jede Art freier Action.
die Staaten für sich in Anspruch nehmen, bildet ebenso ein natürliches Vor¬
recht der Times. Das Blatt fühlt seine Kraft und handelt danach. Einer
Redaction, um deren Gunst und Bündniß sich die größten Staaten beworben
haben, wie man sich seiner Zeit um die Gunst des ersten Napoleon bewarb,
ist kein Vorwurf daraus zu machen, wenn sie sich schließlich selber als Gro߬
macht fühlen lernt und Politik macht nicht nach einem Parteiprogramm, nicht
diesem oder jenem Princip zu Liebe, sondern mit alleiniger Rücksicht auf das.
was sie als ihr eignes und als das allgemeine Wohl zu erkennen glaubt.
Daher die immer wieder und wieder gerügten Inconsequenzen. daher das im
Stichelassen alter Freunde, um sich im selben Augenblicke mit denen zu ver¬
binden, die sie noch eben auf's Bielersee bekämpfte. Jeder, der die Times
liest, wird bemerkt haben, daß sich ihre Leitartikel nicht die geringste Mühe
geben, solche Uebergänge aus einem Lager in das andere zu vermitteln. Man
will nichts cachiren und operirt prunkhaft und rücksichtslos, weil man das
Recht in sich fühlt, so zu thun. ' Wer Anstoß daran nimmt, hat sich nie klar
gemacht, was die Times sind und nicht sind. Gemäß ihrer Machtstellung
schließen sie Allianzen und lösen sie; politische Raison ist ihr Gesetz und ihre
Moral. Wenn man diesem allem gegenüber hervorheben will, daß jeder Staat,
aller freien Wahl und Bewegung zum Trotz, doch schließlich instinctiv ein be¬
stimmtes Princip vertreten muß, wenn er nicht über kurz oder lang zu Grunde
gehn will, so darf man mit gutem Gewissen behaupten, daß es an einem sol¬
chen letzten unverrückbaren Fundament auch den Times nicht gebricht. Man
hat von ihnen gesagt: "sie glauben an gar nichts, als an die Macht des Geldes."
Das ist einfach nicht wahr, weil es nicht wahr sein kann. Jedermann weiß


ist ein Factum, über das es nutzlos wäre, hier weitere Worte verlieren zu
wollen. Ebenso wenig möchte ich hier den alten Streit aufnehmen, ob es für
eine Zeitung gerathener und ehrenhafter sei, ein Princip in aller Intaktheit
aufrecht zu erhalten, oder ob es sie besser kleide und ihr mehr zum Verdienst ge¬
reiche, sich den unerbittlichen Thatsachen gegenüber zu accommodiren. Diese
Frage mag immerhin in suspenso bleiben; ihre allgemeine Beantwortung, so
oder so. würde doch keinen Maßstab für die Beurtheilung der Times ab¬
geben. Die Times sind nun mal kein Blatt wie andere Blätter. Wie es
eine Zeit gab, wo man von „Ausnahmemenschen" zu sprechen liebte, so sind sie
das Ausnahmeblatt. Sie haben Anspruch darauf, mit ihrer eignen Elle gemessen
zu werden. Ob ihr Ruf und Ruhm ein künstlich unterhaltener ist. ist gleich-
giltig; so lange er da ist. ist er ein Factum und hat genau so viel Macht und
Stärke, wie der Glaube stark ist, der freiwillig eine räthselhafte Machtfülle auf
sie überträgt. Diese Machtfülle erhebt die Times nicht nur weit über andere
Blätter, sondern schafft einen andern Sittencodex für dieselben. Sie hat die
Macht, den Einfluß, die Bedeutung eines Staats, und jede Art freier Action.
die Staaten für sich in Anspruch nehmen, bildet ebenso ein natürliches Vor¬
recht der Times. Das Blatt fühlt seine Kraft und handelt danach. Einer
Redaction, um deren Gunst und Bündniß sich die größten Staaten beworben
haben, wie man sich seiner Zeit um die Gunst des ersten Napoleon bewarb,
ist kein Vorwurf daraus zu machen, wenn sie sich schließlich selber als Gro߬
macht fühlen lernt und Politik macht nicht nach einem Parteiprogramm, nicht
diesem oder jenem Princip zu Liebe, sondern mit alleiniger Rücksicht auf das.
was sie als ihr eignes und als das allgemeine Wohl zu erkennen glaubt.
Daher die immer wieder und wieder gerügten Inconsequenzen. daher das im
Stichelassen alter Freunde, um sich im selben Augenblicke mit denen zu ver¬
binden, die sie noch eben auf's Bielersee bekämpfte. Jeder, der die Times
liest, wird bemerkt haben, daß sich ihre Leitartikel nicht die geringste Mühe
geben, solche Uebergänge aus einem Lager in das andere zu vermitteln. Man
will nichts cachiren und operirt prunkhaft und rücksichtslos, weil man das
Recht in sich fühlt, so zu thun. ' Wer Anstoß daran nimmt, hat sich nie klar
gemacht, was die Times sind und nicht sind. Gemäß ihrer Machtstellung
schließen sie Allianzen und lösen sie; politische Raison ist ihr Gesetz und ihre
Moral. Wenn man diesem allem gegenüber hervorheben will, daß jeder Staat,
aller freien Wahl und Bewegung zum Trotz, doch schließlich instinctiv ein be¬
stimmtes Princip vertreten muß, wenn er nicht über kurz oder lang zu Grunde
gehn will, so darf man mit gutem Gewissen behaupten, daß es an einem sol¬
chen letzten unverrückbaren Fundament auch den Times nicht gebricht. Man
hat von ihnen gesagt: „sie glauben an gar nichts, als an die Macht des Geldes."
Das ist einfach nicht wahr, weil es nicht wahr sein kann. Jedermann weiß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/161>, abgerufen am 15.01.2025.