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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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gebrochen, und diesen hier" -- und dabei zeigte er auf den ersten, den drit¬
ten, den siebenten Artikel.

"Er hat sie Alle gebrochen, nicht Einen hat er gehalten!" rief ein Mann
mit dickem braunen Bart, ein herkulischer Mann, ziemlich anständig gekleidet
und nicht ohne Anschein von Bildung. "Ihr wollt wissen," sagte er, an die
Wand gelehnt, "was jener Stein bedeute? Er ist ein ewiges Denkmal für
englischen Treubruch und irische Tapferkeit!" Ein Mann mit weißem Haar
und blöden Augen, aber ein pfiffiger Mann und von großer Geltung unter
seinen Genossen, der auf einer umgestürzten Tonne saß, sagte, daß er die Eng¬
länder hasse und daß er die Franzosen liebe, und daß die Iren und die
Franzosen Verwandte und Brüder seien im Glauben und im Blute, und daß
die Franzosen noch einmal kommen würden, um ihnen ans dem Elend zu
helfen; und wenn sie kommen", schloß er, "so sollen sie die besten Salme
aus dem Shannon und den besten Whiskey aus M'Donalds Keller haben
-- und weil Ihr ein französischer Mann seid, so heißt Euch O'Laery von
Limcrick willkommen und reicht Euch sein Glas, um mit ihm auf das Wohl
von Irland zu trinken!"

Ich wagte nicht zu widersprechen, noch den Trunk abzulehnen. Aber mir
ward bang zu Muthe. Denn es war eine schwüle Luft, zum Ersticken, in
dem aller Ausdünstungen vollen Raum, und die vom Spiritus entflammten
Gemüther der Männer fingen l an auf unheimliche Weise zu phosphores-
ciren.

"Heida! und wenn die Franzosen kommen, so will ich mit ihnen gegen
die Engländer stehn," rief mit einem plötzlichen Ansbach der kleine Corpo¬
ra! im rothen Rock der Königin, der bisher nur geraucht, zugehört und ge¬
schwiegen hatte. "Heida! ich bin auch kein schlechterer Jrishmann, als Ihr
Andern, und ich trinke mit Allen auf das Heil unseres Landes und unseres
Volkes!"

"Es wird blutige Arbeit in Irland noch geben," sprach ein steinalter
Mann, der in einem Winkel zusammengekauert auf einem niedrigen Schemel
saß. Sein Auge hatte den kalten Glanz des Alters, welches am Grabe steht,
und seine Stimme, indem er sich erhob, hatte etwas prophctenhaft Tiefes, das
mich erschütterte. "Blutige Arbeit," wiederholte er, "und Schlachten auf
Schlachten. Ein Weib wird stehn auf dem höchsten Graben im Lande, drei
Tage lang, ohne einen einzigen Mann noch erblicken zu können. Die Kühe
werden dastehn und niemand wird sie melken; der Herbst wird verloren sein,
weil niemand da ist. um zu erndten, und die Geister aller Ermordeten werden
durch das Land gehn, um die Mitte des Tages. Am Ende wird die letzte
Schlacht geschlagen werden an den Ufern des Loughail, welcher genannt ist
"See der Sorgen". Drei Tage lang wird eine Mühle rund gehn von dem


gebrochen, und diesen hier" — und dabei zeigte er auf den ersten, den drit¬
ten, den siebenten Artikel.

„Er hat sie Alle gebrochen, nicht Einen hat er gehalten!" rief ein Mann
mit dickem braunen Bart, ein herkulischer Mann, ziemlich anständig gekleidet
und nicht ohne Anschein von Bildung. „Ihr wollt wissen," sagte er, an die
Wand gelehnt, „was jener Stein bedeute? Er ist ein ewiges Denkmal für
englischen Treubruch und irische Tapferkeit!" Ein Mann mit weißem Haar
und blöden Augen, aber ein pfiffiger Mann und von großer Geltung unter
seinen Genossen, der auf einer umgestürzten Tonne saß, sagte, daß er die Eng¬
länder hasse und daß er die Franzosen liebe, und daß die Iren und die
Franzosen Verwandte und Brüder seien im Glauben und im Blute, und daß
die Franzosen noch einmal kommen würden, um ihnen ans dem Elend zu
helfen; und wenn sie kommen", schloß er, „so sollen sie die besten Salme
aus dem Shannon und den besten Whiskey aus M'Donalds Keller haben
— und weil Ihr ein französischer Mann seid, so heißt Euch O'Laery von
Limcrick willkommen und reicht Euch sein Glas, um mit ihm auf das Wohl
von Irland zu trinken!"

Ich wagte nicht zu widersprechen, noch den Trunk abzulehnen. Aber mir
ward bang zu Muthe. Denn es war eine schwüle Luft, zum Ersticken, in
dem aller Ausdünstungen vollen Raum, und die vom Spiritus entflammten
Gemüther der Männer fingen l an auf unheimliche Weise zu phosphores-
ciren.

„Heida! und wenn die Franzosen kommen, so will ich mit ihnen gegen
die Engländer stehn," rief mit einem plötzlichen Ansbach der kleine Corpo¬
ra! im rothen Rock der Königin, der bisher nur geraucht, zugehört und ge¬
schwiegen hatte. „Heida! ich bin auch kein schlechterer Jrishmann, als Ihr
Andern, und ich trinke mit Allen auf das Heil unseres Landes und unseres
Volkes!"

„Es wird blutige Arbeit in Irland noch geben," sprach ein steinalter
Mann, der in einem Winkel zusammengekauert auf einem niedrigen Schemel
saß. Sein Auge hatte den kalten Glanz des Alters, welches am Grabe steht,
und seine Stimme, indem er sich erhob, hatte etwas prophctenhaft Tiefes, das
mich erschütterte. „Blutige Arbeit," wiederholte er, „und Schlachten auf
Schlachten. Ein Weib wird stehn auf dem höchsten Graben im Lande, drei
Tage lang, ohne einen einzigen Mann noch erblicken zu können. Die Kühe
werden dastehn und niemand wird sie melken; der Herbst wird verloren sein,
weil niemand da ist. um zu erndten, und die Geister aller Ermordeten werden
durch das Land gehn, um die Mitte des Tages. Am Ende wird die letzte
Schlacht geschlagen werden an den Ufern des Loughail, welcher genannt ist
„See der Sorgen". Drei Tage lang wird eine Mühle rund gehn von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/153>, abgerufen am 15.01.2025.