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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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der Färber auch die Genossen jenes Handwerks umfaßte, ja durch sie erst ihre
Bedeutung gewann.

Besondrer Erwähnung haben wir noch zu thun der Bartscheerer und Haar¬
künstler. Zur Zeit des Lucius Quinctius, der von seinen Locken den Beinamen
Cincinnatus erhalten haben soll, fiel unter dem Scheermesser das Barthaar
wol nie, das Haupthaar wenigstens bei den Freien nur selten. Als aber etwa
um das Jahr 450 der Stadt Barbiere aus Sicilien nach Italien gebracht
wurden, ward die Sitte bald allgemein, das Kinn dem Messer preis zu geben,
wenn auch noch nicht jeder so sorgsam war wie Scipio Aemilianus, der sich
den Bart täglich scheeren ließ. Daß der Tag, an welchem der junge Römer
des kaum eutsproßnen Flaums von kunstgerechter Hand sich beraubt sah. in
spätrer Zeit die ganze Familie zu einem frohen Feste vereinigte, ist bekannt,
und Ccissius Dio berichtet uns, daß Octavian diesen Tag durch eine glänzende
Bemirthung des Volks weihte. Seitdem nun vollends galante Männer, wie
Hortensins, Gabinius, Dolabella und selbst Cäsar, ein wohlgeordnetes und
künstlich gelocktes Haupthaar für ein wesentliches Erfordernis) eines anständigen
Mannes ansahen, und Clodia, die Schwester des Publius Clodius, nebst an¬
dern Damen gleichen Schlags erklärt hatte, daß sie ein kleines zierliches Bärt¬
chen, oardulam, an den Männern liebe, da brach für die Genossenschaften der
Barbiere und Friseure eine goldne Zeit an. Und wenn auch die Vornehmen
eigne Bartscheerer und Haarkräusler unter ihren Sklaven hatten, so waren
doch die Tonstrincn oder Scheerstuben nicht nur von den minder Begüterten,
sondern gar häusig auch von jungen Leuten aus den höhern Ständen besucht,
die hier in ähnlicher Weise wie die Griechen Unterhaltung fanden, nur mit dem
Unterschiede, daß diese in den Barbierladcn wol auch über höhere Angelegen¬
heiten, selbst über philosophische Probleme verhandelten, während die hoff¬
nungsvolle Jugend Roms sich ausschließlich darauf beschränkt haben wird,
von den Tonsoren, die wegen ihrer Redseligkeit nicht minder verrufen waren
als heutzutage, sich allerhand Neuigkeiten und Skandalgeschichten aus der
Stadt zuführen zu lassen. Der Hinblick auf die Toilettenbedürfnissc der Da¬
men, in welche uns ein freundliches Geschick eine weit genauere und tiefere
Einsicht gestattet hat als in manche der wichtigsten Staatsactionen des alten
Rom, sowie die sichre Kunde, daß das entnervte Geschlecht den Schmuck des
Hauptes, den es vermuthlich frühe verlor, durch künstliche Mittel zu ersetzen
suchte, berechtigen uns zu der Annahme, daß die Perrückenmacher und deren
Zunftverwandte, überhaupt alle die sich auf falsches Haar, falsche Zähne,
Schminke, Schönheitspflästerchen und ähnliche Nachhilfen der Natur verstan¬
den, kurz vor und während der Kaiserzeit als höchst wichtige Persönlichkeiten,
als eine Art Retter der Gesellschaft, wenn auch nicht angesehn, so doch reich-
ich beschäftigt und bezahlt worden sind.


der Färber auch die Genossen jenes Handwerks umfaßte, ja durch sie erst ihre
Bedeutung gewann.

Besondrer Erwähnung haben wir noch zu thun der Bartscheerer und Haar¬
künstler. Zur Zeit des Lucius Quinctius, der von seinen Locken den Beinamen
Cincinnatus erhalten haben soll, fiel unter dem Scheermesser das Barthaar
wol nie, das Haupthaar wenigstens bei den Freien nur selten. Als aber etwa
um das Jahr 450 der Stadt Barbiere aus Sicilien nach Italien gebracht
wurden, ward die Sitte bald allgemein, das Kinn dem Messer preis zu geben,
wenn auch noch nicht jeder so sorgsam war wie Scipio Aemilianus, der sich
den Bart täglich scheeren ließ. Daß der Tag, an welchem der junge Römer
des kaum eutsproßnen Flaums von kunstgerechter Hand sich beraubt sah. in
spätrer Zeit die ganze Familie zu einem frohen Feste vereinigte, ist bekannt,
und Ccissius Dio berichtet uns, daß Octavian diesen Tag durch eine glänzende
Bemirthung des Volks weihte. Seitdem nun vollends galante Männer, wie
Hortensins, Gabinius, Dolabella und selbst Cäsar, ein wohlgeordnetes und
künstlich gelocktes Haupthaar für ein wesentliches Erfordernis) eines anständigen
Mannes ansahen, und Clodia, die Schwester des Publius Clodius, nebst an¬
dern Damen gleichen Schlags erklärt hatte, daß sie ein kleines zierliches Bärt¬
chen, oardulam, an den Männern liebe, da brach für die Genossenschaften der
Barbiere und Friseure eine goldne Zeit an. Und wenn auch die Vornehmen
eigne Bartscheerer und Haarkräusler unter ihren Sklaven hatten, so waren
doch die Tonstrincn oder Scheerstuben nicht nur von den minder Begüterten,
sondern gar häusig auch von jungen Leuten aus den höhern Ständen besucht,
die hier in ähnlicher Weise wie die Griechen Unterhaltung fanden, nur mit dem
Unterschiede, daß diese in den Barbierladcn wol auch über höhere Angelegen¬
heiten, selbst über philosophische Probleme verhandelten, während die hoff¬
nungsvolle Jugend Roms sich ausschließlich darauf beschränkt haben wird,
von den Tonsoren, die wegen ihrer Redseligkeit nicht minder verrufen waren
als heutzutage, sich allerhand Neuigkeiten und Skandalgeschichten aus der
Stadt zuführen zu lassen. Der Hinblick auf die Toilettenbedürfnissc der Da¬
men, in welche uns ein freundliches Geschick eine weit genauere und tiefere
Einsicht gestattet hat als in manche der wichtigsten Staatsactionen des alten
Rom, sowie die sichre Kunde, daß das entnervte Geschlecht den Schmuck des
Hauptes, den es vermuthlich frühe verlor, durch künstliche Mittel zu ersetzen
suchte, berechtigen uns zu der Annahme, daß die Perrückenmacher und deren
Zunftverwandte, überhaupt alle die sich auf falsches Haar, falsche Zähne,
Schminke, Schönheitspflästerchen und ähnliche Nachhilfen der Natur verstan¬
den, kurz vor und während der Kaiserzeit als höchst wichtige Persönlichkeiten,
als eine Art Retter der Gesellschaft, wenn auch nicht angesehn, so doch reich-
ich beschäftigt und bezahlt worden sind.


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[0148] der Färber auch die Genossen jenes Handwerks umfaßte, ja durch sie erst ihre Bedeutung gewann. Besondrer Erwähnung haben wir noch zu thun der Bartscheerer und Haar¬ künstler. Zur Zeit des Lucius Quinctius, der von seinen Locken den Beinamen Cincinnatus erhalten haben soll, fiel unter dem Scheermesser das Barthaar wol nie, das Haupthaar wenigstens bei den Freien nur selten. Als aber etwa um das Jahr 450 der Stadt Barbiere aus Sicilien nach Italien gebracht wurden, ward die Sitte bald allgemein, das Kinn dem Messer preis zu geben, wenn auch noch nicht jeder so sorgsam war wie Scipio Aemilianus, der sich den Bart täglich scheeren ließ. Daß der Tag, an welchem der junge Römer des kaum eutsproßnen Flaums von kunstgerechter Hand sich beraubt sah. in spätrer Zeit die ganze Familie zu einem frohen Feste vereinigte, ist bekannt, und Ccissius Dio berichtet uns, daß Octavian diesen Tag durch eine glänzende Bemirthung des Volks weihte. Seitdem nun vollends galante Männer, wie Hortensins, Gabinius, Dolabella und selbst Cäsar, ein wohlgeordnetes und künstlich gelocktes Haupthaar für ein wesentliches Erfordernis) eines anständigen Mannes ansahen, und Clodia, die Schwester des Publius Clodius, nebst an¬ dern Damen gleichen Schlags erklärt hatte, daß sie ein kleines zierliches Bärt¬ chen, oardulam, an den Männern liebe, da brach für die Genossenschaften der Barbiere und Friseure eine goldne Zeit an. Und wenn auch die Vornehmen eigne Bartscheerer und Haarkräusler unter ihren Sklaven hatten, so waren doch die Tonstrincn oder Scheerstuben nicht nur von den minder Begüterten, sondern gar häusig auch von jungen Leuten aus den höhern Ständen besucht, die hier in ähnlicher Weise wie die Griechen Unterhaltung fanden, nur mit dem Unterschiede, daß diese in den Barbierladcn wol auch über höhere Angelegen¬ heiten, selbst über philosophische Probleme verhandelten, während die hoff¬ nungsvolle Jugend Roms sich ausschließlich darauf beschränkt haben wird, von den Tonsoren, die wegen ihrer Redseligkeit nicht minder verrufen waren als heutzutage, sich allerhand Neuigkeiten und Skandalgeschichten aus der Stadt zuführen zu lassen. Der Hinblick auf die Toilettenbedürfnissc der Da¬ men, in welche uns ein freundliches Geschick eine weit genauere und tiefere Einsicht gestattet hat als in manche der wichtigsten Staatsactionen des alten Rom, sowie die sichre Kunde, daß das entnervte Geschlecht den Schmuck des Hauptes, den es vermuthlich frühe verlor, durch künstliche Mittel zu ersetzen suchte, berechtigen uns zu der Annahme, daß die Perrückenmacher und deren Zunftverwandte, überhaupt alle die sich auf falsches Haar, falsche Zähne, Schminke, Schönheitspflästerchen und ähnliche Nachhilfen der Natur verstan¬ den, kurz vor und während der Kaiserzeit als höchst wichtige Persönlichkeiten, als eine Art Retter der Gesellschaft, wenn auch nicht angesehn, so doch reich- ich beschäftigt und bezahlt worden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/148>, abgerufen am 15.01.2025.