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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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derliche Aeußerungen vernommen werden, z. B. daß durch einen Kampf zwi¬
schen der Krone und der Aristokratie nicht die letztere, sondern die erstere ge¬
fährdet werde, so wird man bei ruhiger Ueberlegung sich sagen, daß aller
Wahrscheinlichkeit nach die in diesem Augenblick erfolgte Ernennung nichts
anders bedeutet, als daß vorläufig keine weitern Ernennungen folgen sollen,
daß also für diese Saison die Majorität des Herrenhauses unverändert bleibt.
Wir hören, daß einige Männer, die recht eigentlich ins Herrenhaus gehörten,
ihre Ernennung abgelehnt haben, und wir können uns das vollkommen er¬
klären, da sie unter diesen Umständen eine unklare Stellung fürchten müssen.
Jedenfalls muß, wenn Preußen wirklich vorwärts schreiten will, eine viel durch¬
greifendere Reform des Herrenhauses erfolgen.

Wir lassen die Rechtsfrage, die mit vielen andern heiklen Fragen zusam¬
menhängt, vollständig bei Seite. Es genügt, daß die Krone die Macht besitzt,
auf verfassungsmäßigen Wege im Einverständniß mit der Landesvertretung
die Reform durchzusetzen. Der Grundsatz mancher Doctrinairs. daß der con-
stitutionelle Staat die Aufgabe habe, entgegengesetzte Kräfte gleichmäßig zur
Geltung zu bringen, um eine durch die ciudrc aufzuheben, ist zu sinnlos, als
daß wir uns bei demselben aushalten sollten. Der einzige Sinn des Zwei¬
kammersystems kann nur der sein, übereilten Beschlüssen der Abgeordneten einen
Hemmschuh anzulegen, ohne daß die Negierung immer in den Vordergrund
gestellt wird, und den Wünschen und Forderungen des Volks die gereifte Ein¬
sicht der traditionellen Staatsbildung entgegenzusetzen. Diese traditionelle
Bildung liegt bei uns nicht in der Aristokratie. Die höchste Aristokratie hat
durch ihr Nichterscheinen bereits ein befriedigendes Gutachten erstattet, und
was den Landadel betrifft, so gehört er nicht in die erste, sondern in die zweite
Kammer, d. h. er hat nur soweit Recht, seine Ansichten im Stnatsleben gel¬
tend zu machen, als es ihm durch seinen Stand, dnrch seinen Reichthum, durch
seine wohlthätigen Einflüsse auf die Umgebung gelingt, das Vertrauen des
Volks zu erwerben. Haben wir eine wirkliche Aristokratie, so wird dieselbe
durch einen naturgemäßen Proceß im Hause der Abgeordneten in gebührendem
Maaße vertreten sein.

Für Preußen kann die Vertretung der traditionellen Staatsbildung nur
einer Körperschaft anvertraut sein, die in der Weise des Staatsraths zu¬
sammengesetzt ist: diese Idee haben wir seit zwölf Jahren vertreten und sie
wird sich endlich durchsetzen.

Bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Herrnhauses ist das
Schlimmste, daß der Landadel noch durch Ernennungen verstärkt ist, die sich
aus der unglücklichsten Zeit unseres Staatslebens - herschreiben; einer Zeit, in
der es für die wahre Staatsweisheit galt, einen Ausrottungskrieg gegen die
Demokratie zu führen, und den bei weitem größern Theil des Bürgerstandes


derliche Aeußerungen vernommen werden, z. B. daß durch einen Kampf zwi¬
schen der Krone und der Aristokratie nicht die letztere, sondern die erstere ge¬
fährdet werde, so wird man bei ruhiger Ueberlegung sich sagen, daß aller
Wahrscheinlichkeit nach die in diesem Augenblick erfolgte Ernennung nichts
anders bedeutet, als daß vorläufig keine weitern Ernennungen folgen sollen,
daß also für diese Saison die Majorität des Herrenhauses unverändert bleibt.
Wir hören, daß einige Männer, die recht eigentlich ins Herrenhaus gehörten,
ihre Ernennung abgelehnt haben, und wir können uns das vollkommen er¬
klären, da sie unter diesen Umständen eine unklare Stellung fürchten müssen.
Jedenfalls muß, wenn Preußen wirklich vorwärts schreiten will, eine viel durch¬
greifendere Reform des Herrenhauses erfolgen.

Wir lassen die Rechtsfrage, die mit vielen andern heiklen Fragen zusam¬
menhängt, vollständig bei Seite. Es genügt, daß die Krone die Macht besitzt,
auf verfassungsmäßigen Wege im Einverständniß mit der Landesvertretung
die Reform durchzusetzen. Der Grundsatz mancher Doctrinairs. daß der con-
stitutionelle Staat die Aufgabe habe, entgegengesetzte Kräfte gleichmäßig zur
Geltung zu bringen, um eine durch die ciudrc aufzuheben, ist zu sinnlos, als
daß wir uns bei demselben aushalten sollten. Der einzige Sinn des Zwei¬
kammersystems kann nur der sein, übereilten Beschlüssen der Abgeordneten einen
Hemmschuh anzulegen, ohne daß die Negierung immer in den Vordergrund
gestellt wird, und den Wünschen und Forderungen des Volks die gereifte Ein¬
sicht der traditionellen Staatsbildung entgegenzusetzen. Diese traditionelle
Bildung liegt bei uns nicht in der Aristokratie. Die höchste Aristokratie hat
durch ihr Nichterscheinen bereits ein befriedigendes Gutachten erstattet, und
was den Landadel betrifft, so gehört er nicht in die erste, sondern in die zweite
Kammer, d. h. er hat nur soweit Recht, seine Ansichten im Stnatsleben gel¬
tend zu machen, als es ihm durch seinen Stand, dnrch seinen Reichthum, durch
seine wohlthätigen Einflüsse auf die Umgebung gelingt, das Vertrauen des
Volks zu erwerben. Haben wir eine wirkliche Aristokratie, so wird dieselbe
durch einen naturgemäßen Proceß im Hause der Abgeordneten in gebührendem
Maaße vertreten sein.

Für Preußen kann die Vertretung der traditionellen Staatsbildung nur
einer Körperschaft anvertraut sein, die in der Weise des Staatsraths zu¬
sammengesetzt ist: diese Idee haben wir seit zwölf Jahren vertreten und sie
wird sich endlich durchsetzen.

Bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Herrnhauses ist das
Schlimmste, daß der Landadel noch durch Ernennungen verstärkt ist, die sich
aus der unglücklichsten Zeit unseres Staatslebens - herschreiben; einer Zeit, in
der es für die wahre Staatsweisheit galt, einen Ausrottungskrieg gegen die
Demokratie zu führen, und den bei weitem größern Theil des Bürgerstandes


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[0137] derliche Aeußerungen vernommen werden, z. B. daß durch einen Kampf zwi¬ schen der Krone und der Aristokratie nicht die letztere, sondern die erstere ge¬ fährdet werde, so wird man bei ruhiger Ueberlegung sich sagen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die in diesem Augenblick erfolgte Ernennung nichts anders bedeutet, als daß vorläufig keine weitern Ernennungen folgen sollen, daß also für diese Saison die Majorität des Herrenhauses unverändert bleibt. Wir hören, daß einige Männer, die recht eigentlich ins Herrenhaus gehörten, ihre Ernennung abgelehnt haben, und wir können uns das vollkommen er¬ klären, da sie unter diesen Umständen eine unklare Stellung fürchten müssen. Jedenfalls muß, wenn Preußen wirklich vorwärts schreiten will, eine viel durch¬ greifendere Reform des Herrenhauses erfolgen. Wir lassen die Rechtsfrage, die mit vielen andern heiklen Fragen zusam¬ menhängt, vollständig bei Seite. Es genügt, daß die Krone die Macht besitzt, auf verfassungsmäßigen Wege im Einverständniß mit der Landesvertretung die Reform durchzusetzen. Der Grundsatz mancher Doctrinairs. daß der con- stitutionelle Staat die Aufgabe habe, entgegengesetzte Kräfte gleichmäßig zur Geltung zu bringen, um eine durch die ciudrc aufzuheben, ist zu sinnlos, als daß wir uns bei demselben aushalten sollten. Der einzige Sinn des Zwei¬ kammersystems kann nur der sein, übereilten Beschlüssen der Abgeordneten einen Hemmschuh anzulegen, ohne daß die Negierung immer in den Vordergrund gestellt wird, und den Wünschen und Forderungen des Volks die gereifte Ein¬ sicht der traditionellen Staatsbildung entgegenzusetzen. Diese traditionelle Bildung liegt bei uns nicht in der Aristokratie. Die höchste Aristokratie hat durch ihr Nichterscheinen bereits ein befriedigendes Gutachten erstattet, und was den Landadel betrifft, so gehört er nicht in die erste, sondern in die zweite Kammer, d. h. er hat nur soweit Recht, seine Ansichten im Stnatsleben gel¬ tend zu machen, als es ihm durch seinen Stand, dnrch seinen Reichthum, durch seine wohlthätigen Einflüsse auf die Umgebung gelingt, das Vertrauen des Volks zu erwerben. Haben wir eine wirkliche Aristokratie, so wird dieselbe durch einen naturgemäßen Proceß im Hause der Abgeordneten in gebührendem Maaße vertreten sein. Für Preußen kann die Vertretung der traditionellen Staatsbildung nur einer Körperschaft anvertraut sein, die in der Weise des Staatsraths zu¬ sammengesetzt ist: diese Idee haben wir seit zwölf Jahren vertreten und sie wird sich endlich durchsetzen. Bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Herrnhauses ist das Schlimmste, daß der Landadel noch durch Ernennungen verstärkt ist, die sich aus der unglücklichsten Zeit unseres Staatslebens - herschreiben; einer Zeit, in der es für die wahre Staatsweisheit galt, einen Ausrottungskrieg gegen die Demokratie zu führen, und den bei weitem größern Theil des Bürgerstandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/137>, abgerufen am 15.01.2025.