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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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zuschreiten und die geistige Führung zu übernehmen, die uns zukommt. Nicht
unser Hochmuth und unsere Einbildung wird uns diese erringen, sondern nur
das energische Zusammenraffen aller unsrer Kräfte, die sich in der todten Ruhe
verzehren.

Blicken wir noch einmal auf diesen Wendepunkt zweier so entgegenge¬
setzter Perioden zurück.

Die Schlacht bei Jena war ein großes Unglück, aber sie war nicht das
schlimmste. Die Uebergabe von Magdeburg, die Proclamation des allmäch¬
tigen Schulenburg-Kehnert: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! das stille Behagen
der Berliner über die Demüthigung der hochmüthigen Junker, das waren
viel ärgere Zeichen für die Fäulnis des Staats. Die alte überweise Diplo¬
matie, die alten Exercitienmeister hatten den schmählichsten Bankrott gemacht;
wer damals im Ausland an Preußen verzweifelte, hatte wol Grund dazu.
Dennoch erkannte man nicht, daß die Fäulniß nur die Oberfläche des Staats
angefressen, das edle Mark des Volkslebens aber nicht berührt hatte. Die
Regierung war über alle Begriffe erbärmlich gewesen, aber der Staat an sich
war gesund. Die alten Diplomaten und Excrcitienmeister verschwanden, das
Heer wurde mit dem Boll versöhnt, das Bürgerthum, indem man ihm Frei¬
heit gab, dem Staatsleben wieder gewonnen, das Königthum durch einen
engen Bund mit der Nation gerettet. Den siebenjährigen Krieg hat der
eiserne Wille eines großen Mannes geführt, durch ihn erzogen und vorgebil¬
det schlug den Freiheitskrieg das preußische Volk.

Die Früchte der großen Zeit sind nicht so ausgefallen wie man es zu
hoffen berechtigt war. Daß Preußen 1814 und 1815 wie immer schwache Di¬
plomaten hatte, daß es im Frieden schlechter bedacht wurde als jeder andere
Staat, war noch der geringste Schade; aber die alten Diplomaten und Exer-
citienmcistcr stellten sich wieder an die Spitze, das schöne Selbstvertrauen, Deutsch¬
lands Führung zu übernehmen, schwand dahin, alle politische Idee schrumpfte
vor der einen, Angst vor der Revolution, zusammen, und so blieb der Staat
Friedrich des Großen in schmählicher Abbhängigkcit von dem großen wiener
Diplomaten, bis 1848 eine neue Probe kam, auch diese schlecht bestanden
wurde und die ganze Entwicklung mit einer Reaction schloß, die uns nahe
an östreichische Zustände brachte. Es gehörte ein starker Glaube an Preußens
Stern dazu, daß Deutschland den alten Führer nicht völlig aufgab.

Wem erzählen wir das Alles? Hundertmal ist es erzählt worden und
Jeder weiß es. -- Es kommt aber nicht auf das Wissen an, sondern auf das
Handeln; und auch heute noch, da seit einigen Jahren der Weg allmälig ver¬
lassen ist, der uns zum Abgrund führen mußte, fehlt noch sehr viel daran,
daß Preußen seine Kraft und seine Schwäche richtig erkenne.

Man fordert von Preußen vielerlei: es soll die Hegemonie in Deutsch-


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zuschreiten und die geistige Führung zu übernehmen, die uns zukommt. Nicht
unser Hochmuth und unsere Einbildung wird uns diese erringen, sondern nur
das energische Zusammenraffen aller unsrer Kräfte, die sich in der todten Ruhe
verzehren.

Blicken wir noch einmal auf diesen Wendepunkt zweier so entgegenge¬
setzter Perioden zurück.

Die Schlacht bei Jena war ein großes Unglück, aber sie war nicht das
schlimmste. Die Uebergabe von Magdeburg, die Proclamation des allmäch¬
tigen Schulenburg-Kehnert: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! das stille Behagen
der Berliner über die Demüthigung der hochmüthigen Junker, das waren
viel ärgere Zeichen für die Fäulnis des Staats. Die alte überweise Diplo¬
matie, die alten Exercitienmeister hatten den schmählichsten Bankrott gemacht;
wer damals im Ausland an Preußen verzweifelte, hatte wol Grund dazu.
Dennoch erkannte man nicht, daß die Fäulniß nur die Oberfläche des Staats
angefressen, das edle Mark des Volkslebens aber nicht berührt hatte. Die
Regierung war über alle Begriffe erbärmlich gewesen, aber der Staat an sich
war gesund. Die alten Diplomaten und Excrcitienmeister verschwanden, das
Heer wurde mit dem Boll versöhnt, das Bürgerthum, indem man ihm Frei¬
heit gab, dem Staatsleben wieder gewonnen, das Königthum durch einen
engen Bund mit der Nation gerettet. Den siebenjährigen Krieg hat der
eiserne Wille eines großen Mannes geführt, durch ihn erzogen und vorgebil¬
det schlug den Freiheitskrieg das preußische Volk.

Die Früchte der großen Zeit sind nicht so ausgefallen wie man es zu
hoffen berechtigt war. Daß Preußen 1814 und 1815 wie immer schwache Di¬
plomaten hatte, daß es im Frieden schlechter bedacht wurde als jeder andere
Staat, war noch der geringste Schade; aber die alten Diplomaten und Exer-
citienmcistcr stellten sich wieder an die Spitze, das schöne Selbstvertrauen, Deutsch¬
lands Führung zu übernehmen, schwand dahin, alle politische Idee schrumpfte
vor der einen, Angst vor der Revolution, zusammen, und so blieb der Staat
Friedrich des Großen in schmählicher Abbhängigkcit von dem großen wiener
Diplomaten, bis 1848 eine neue Probe kam, auch diese schlecht bestanden
wurde und die ganze Entwicklung mit einer Reaction schloß, die uns nahe
an östreichische Zustände brachte. Es gehörte ein starker Glaube an Preußens
Stern dazu, daß Deutschland den alten Führer nicht völlig aufgab.

Wem erzählen wir das Alles? Hundertmal ist es erzählt worden und
Jeder weiß es. — Es kommt aber nicht auf das Wissen an, sondern auf das
Handeln; und auch heute noch, da seit einigen Jahren der Weg allmälig ver¬
lassen ist, der uns zum Abgrund führen mußte, fehlt noch sehr viel daran,
daß Preußen seine Kraft und seine Schwäche richtig erkenne.

Man fordert von Preußen vielerlei: es soll die Hegemonie in Deutsch-


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[0135] zuschreiten und die geistige Führung zu übernehmen, die uns zukommt. Nicht unser Hochmuth und unsere Einbildung wird uns diese erringen, sondern nur das energische Zusammenraffen aller unsrer Kräfte, die sich in der todten Ruhe verzehren. Blicken wir noch einmal auf diesen Wendepunkt zweier so entgegenge¬ setzter Perioden zurück. Die Schlacht bei Jena war ein großes Unglück, aber sie war nicht das schlimmste. Die Uebergabe von Magdeburg, die Proclamation des allmäch¬ tigen Schulenburg-Kehnert: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! das stille Behagen der Berliner über die Demüthigung der hochmüthigen Junker, das waren viel ärgere Zeichen für die Fäulnis des Staats. Die alte überweise Diplo¬ matie, die alten Exercitienmeister hatten den schmählichsten Bankrott gemacht; wer damals im Ausland an Preußen verzweifelte, hatte wol Grund dazu. Dennoch erkannte man nicht, daß die Fäulniß nur die Oberfläche des Staats angefressen, das edle Mark des Volkslebens aber nicht berührt hatte. Die Regierung war über alle Begriffe erbärmlich gewesen, aber der Staat an sich war gesund. Die alten Diplomaten und Excrcitienmeister verschwanden, das Heer wurde mit dem Boll versöhnt, das Bürgerthum, indem man ihm Frei¬ heit gab, dem Staatsleben wieder gewonnen, das Königthum durch einen engen Bund mit der Nation gerettet. Den siebenjährigen Krieg hat der eiserne Wille eines großen Mannes geführt, durch ihn erzogen und vorgebil¬ det schlug den Freiheitskrieg das preußische Volk. Die Früchte der großen Zeit sind nicht so ausgefallen wie man es zu hoffen berechtigt war. Daß Preußen 1814 und 1815 wie immer schwache Di¬ plomaten hatte, daß es im Frieden schlechter bedacht wurde als jeder andere Staat, war noch der geringste Schade; aber die alten Diplomaten und Exer- citienmcistcr stellten sich wieder an die Spitze, das schöne Selbstvertrauen, Deutsch¬ lands Führung zu übernehmen, schwand dahin, alle politische Idee schrumpfte vor der einen, Angst vor der Revolution, zusammen, und so blieb der Staat Friedrich des Großen in schmählicher Abbhängigkcit von dem großen wiener Diplomaten, bis 1848 eine neue Probe kam, auch diese schlecht bestanden wurde und die ganze Entwicklung mit einer Reaction schloß, die uns nahe an östreichische Zustände brachte. Es gehörte ein starker Glaube an Preußens Stern dazu, daß Deutschland den alten Führer nicht völlig aufgab. Wem erzählen wir das Alles? Hundertmal ist es erzählt worden und Jeder weiß es. — Es kommt aber nicht auf das Wissen an, sondern auf das Handeln; und auch heute noch, da seit einigen Jahren der Weg allmälig ver¬ lassen ist, der uns zum Abgrund führen mußte, fehlt noch sehr viel daran, daß Preußen seine Kraft und seine Schwäche richtig erkenne. Man fordert von Preußen vielerlei: es soll die Hegemonie in Deutsch- '16 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/135>, abgerufen am 15.01.2025.