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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Mitte der dreißiger Jahre, wo die immer mehr um sich greifende Reaction
auch dem wissenschaftlichen Leben den Nerv abschnitt. Denn mit einer Aus¬
wahl auch noch so würdiger Gelehrten ist es nicht gethan: wo die wissen¬
schaftlichen Anstalten von dem allgemeinen geistigen Leben der Nation gelöst
werden, hört ihre höhere Bedeutung auf, Eine Stadt wie Berlin, wo in
jenen Jahren die Censur blinder und sinnloser wüthete als irgendwo anders,
konnte auch in Beziehung auf die Universität ihren Beruf nur sehr theilweise
erfüllen. Es ist jetzt in vieler Beziehung besser geworden, aber noch bleibt
sehr viel zu thun, damit Berlin die Stellung, zu der es berufen ist. und die
es in der ersten Hälfte der verfloßnen Periode wirklich eingenommen hat. in
dem gebührenden Maß wieder ausfülle.

Es werden in diesen Tagen so viel Worte des Jubels erschallen, daß
auch wol ein ernstes, mahnendes Wort dazwischen Raum finden mag. Preußen
hat vollkommen Recht, mit Stolz ans die Gründung der Universität hin zu
blicken, aber das ist nicht genug, es hat auch eine Lehre daraus zu ziehen,
die sehr ernst erwogen sein will.

Mit Stolz kann Preußen daran zurückdenken, daß es in einer Zeit, wo
es, von einem fürchterlichen Sturm erschüttert, mit einem Fuß bereits im Ab¬
grund stand und sich nur noch krampfhaft an den alten Stamm seines gesun¬
den Volksthums klammerte; in eurer Zeit, wo der übermüthige Eroberer noch
mit beständigem Raub und Plünderung den zerrütteten Staat heimsuchte, daß
es in dieser Zeit noch so viel Lebenskraft besaß, ein Werk zu Stande zu bringen,
welches nicht in unmittelbarer Beziehung zur augenblicklichen Noth stand und
doch weise darauf berechnet war, dem wahren Kern seines Lebens neue
Nahrung zu geben. Friedrich der Große baute nach dem siebenjährigen Kriege,
um seinen Feinden zu zeigen, daß er noch immer Geld in der Tasche habe,
das neue Palais von Sanssouci: ein prächtiges königliches Werk, aber doch
sehr klein und armselig gegen den stolzen Bau, den Preußen 1810 aufführte;
Preußen nicht siegreich wie im Jahr 1763, sondern schimpflich geschlagen,
gedemüthigt, auseinandergerissen, verrathen und verkauft, ein Spott seiner
Gegner, ein Gegenstand des Mitleids für seine angeblichen Freunde. Mit.
Erstaunen sah man, daß Preußen nicht blos aus windigen Diplomaten und
hochmüthigen Kamaschenhclden bestand: die Stein, die Humboldt, die Schön,
die Scharnhorst, die Niebuhr u. s. w. traten hervor, und noch unter dem
Fuße des Siegers erregte Preußen dem gesammten deutschen Volk das Gefühl,
daß in ihm und nicht in den abtrünnigen Rheinbuudsiaaten, auch nicht in
Oestreich der Kern der Zukunft liege.

Es ist eine stolze, glorreiche Erinnerung, aber sie soll uns zugleich warnen,
nicht zu sorglos auf die alten Namen, auf die alten Künste zu vertrauen, die
sich damals so schlecht bewährten, sondern heute wie damals mit der Zeit fort-


Mitte der dreißiger Jahre, wo die immer mehr um sich greifende Reaction
auch dem wissenschaftlichen Leben den Nerv abschnitt. Denn mit einer Aus¬
wahl auch noch so würdiger Gelehrten ist es nicht gethan: wo die wissen¬
schaftlichen Anstalten von dem allgemeinen geistigen Leben der Nation gelöst
werden, hört ihre höhere Bedeutung auf, Eine Stadt wie Berlin, wo in
jenen Jahren die Censur blinder und sinnloser wüthete als irgendwo anders,
konnte auch in Beziehung auf die Universität ihren Beruf nur sehr theilweise
erfüllen. Es ist jetzt in vieler Beziehung besser geworden, aber noch bleibt
sehr viel zu thun, damit Berlin die Stellung, zu der es berufen ist. und die
es in der ersten Hälfte der verfloßnen Periode wirklich eingenommen hat. in
dem gebührenden Maß wieder ausfülle.

Es werden in diesen Tagen so viel Worte des Jubels erschallen, daß
auch wol ein ernstes, mahnendes Wort dazwischen Raum finden mag. Preußen
hat vollkommen Recht, mit Stolz ans die Gründung der Universität hin zu
blicken, aber das ist nicht genug, es hat auch eine Lehre daraus zu ziehen,
die sehr ernst erwogen sein will.

Mit Stolz kann Preußen daran zurückdenken, daß es in einer Zeit, wo
es, von einem fürchterlichen Sturm erschüttert, mit einem Fuß bereits im Ab¬
grund stand und sich nur noch krampfhaft an den alten Stamm seines gesun¬
den Volksthums klammerte; in eurer Zeit, wo der übermüthige Eroberer noch
mit beständigem Raub und Plünderung den zerrütteten Staat heimsuchte, daß
es in dieser Zeit noch so viel Lebenskraft besaß, ein Werk zu Stande zu bringen,
welches nicht in unmittelbarer Beziehung zur augenblicklichen Noth stand und
doch weise darauf berechnet war, dem wahren Kern seines Lebens neue
Nahrung zu geben. Friedrich der Große baute nach dem siebenjährigen Kriege,
um seinen Feinden zu zeigen, daß er noch immer Geld in der Tasche habe,
das neue Palais von Sanssouci: ein prächtiges königliches Werk, aber doch
sehr klein und armselig gegen den stolzen Bau, den Preußen 1810 aufführte;
Preußen nicht siegreich wie im Jahr 1763, sondern schimpflich geschlagen,
gedemüthigt, auseinandergerissen, verrathen und verkauft, ein Spott seiner
Gegner, ein Gegenstand des Mitleids für seine angeblichen Freunde. Mit.
Erstaunen sah man, daß Preußen nicht blos aus windigen Diplomaten und
hochmüthigen Kamaschenhclden bestand: die Stein, die Humboldt, die Schön,
die Scharnhorst, die Niebuhr u. s. w. traten hervor, und noch unter dem
Fuße des Siegers erregte Preußen dem gesammten deutschen Volk das Gefühl,
daß in ihm und nicht in den abtrünnigen Rheinbuudsiaaten, auch nicht in
Oestreich der Kern der Zukunft liege.

Es ist eine stolze, glorreiche Erinnerung, aber sie soll uns zugleich warnen,
nicht zu sorglos auf die alten Namen, auf die alten Künste zu vertrauen, die
sich damals so schlecht bewährten, sondern heute wie damals mit der Zeit fort-


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[0134] Mitte der dreißiger Jahre, wo die immer mehr um sich greifende Reaction auch dem wissenschaftlichen Leben den Nerv abschnitt. Denn mit einer Aus¬ wahl auch noch so würdiger Gelehrten ist es nicht gethan: wo die wissen¬ schaftlichen Anstalten von dem allgemeinen geistigen Leben der Nation gelöst werden, hört ihre höhere Bedeutung auf, Eine Stadt wie Berlin, wo in jenen Jahren die Censur blinder und sinnloser wüthete als irgendwo anders, konnte auch in Beziehung auf die Universität ihren Beruf nur sehr theilweise erfüllen. Es ist jetzt in vieler Beziehung besser geworden, aber noch bleibt sehr viel zu thun, damit Berlin die Stellung, zu der es berufen ist. und die es in der ersten Hälfte der verfloßnen Periode wirklich eingenommen hat. in dem gebührenden Maß wieder ausfülle. Es werden in diesen Tagen so viel Worte des Jubels erschallen, daß auch wol ein ernstes, mahnendes Wort dazwischen Raum finden mag. Preußen hat vollkommen Recht, mit Stolz ans die Gründung der Universität hin zu blicken, aber das ist nicht genug, es hat auch eine Lehre daraus zu ziehen, die sehr ernst erwogen sein will. Mit Stolz kann Preußen daran zurückdenken, daß es in einer Zeit, wo es, von einem fürchterlichen Sturm erschüttert, mit einem Fuß bereits im Ab¬ grund stand und sich nur noch krampfhaft an den alten Stamm seines gesun¬ den Volksthums klammerte; in eurer Zeit, wo der übermüthige Eroberer noch mit beständigem Raub und Plünderung den zerrütteten Staat heimsuchte, daß es in dieser Zeit noch so viel Lebenskraft besaß, ein Werk zu Stande zu bringen, welches nicht in unmittelbarer Beziehung zur augenblicklichen Noth stand und doch weise darauf berechnet war, dem wahren Kern seines Lebens neue Nahrung zu geben. Friedrich der Große baute nach dem siebenjährigen Kriege, um seinen Feinden zu zeigen, daß er noch immer Geld in der Tasche habe, das neue Palais von Sanssouci: ein prächtiges königliches Werk, aber doch sehr klein und armselig gegen den stolzen Bau, den Preußen 1810 aufführte; Preußen nicht siegreich wie im Jahr 1763, sondern schimpflich geschlagen, gedemüthigt, auseinandergerissen, verrathen und verkauft, ein Spott seiner Gegner, ein Gegenstand des Mitleids für seine angeblichen Freunde. Mit. Erstaunen sah man, daß Preußen nicht blos aus windigen Diplomaten und hochmüthigen Kamaschenhclden bestand: die Stein, die Humboldt, die Schön, die Scharnhorst, die Niebuhr u. s. w. traten hervor, und noch unter dem Fuße des Siegers erregte Preußen dem gesammten deutschen Volk das Gefühl, daß in ihm und nicht in den abtrünnigen Rheinbuudsiaaten, auch nicht in Oestreich der Kern der Zukunft liege. Es ist eine stolze, glorreiche Erinnerung, aber sie soll uns zugleich warnen, nicht zu sorglos auf die alten Namen, auf die alten Künste zu vertrauen, die sich damals so schlecht bewährten, sondern heute wie damals mit der Zeit fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/134>, abgerufen am 15.01.2025.