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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Folge davon das Nichtvorhandensein eines freien, starken und geachteten
Mittelstandes, dessen Kraft auf der Arbeit beruhte, als der Grund anzusehn,
weshalb der griechische Geist zu einer gedeihlichen und maßgebenden Wirksam
keit in socialen Fragen unfähig, dagegen auf eine Lösung der ästhetischen
Aufgabe des Menschengeschlechts hingewiesen und zu dieser ganz besonders
befähigt war. Wir haben schon früher bemerkt, wie die Hdee der Kaloka-
gaihie den leitenden Grundgedanken für die Bestrebungen des Hellenenthum
bildete.

Wesentlich verschieden hiervon treten uns sogleich in ihren Anfängen die
Bestrebungen des italienischen Schwestervolkes entgegen, welche zu ihrem
Mittelpunkte die Rechtsidee haben. Die Richtung des Nationalcharakters ist
hier eine centripetale: selbst als zur Zeit des zweiten finnischen Krieges die
Römer ansingen, ihre Macht über die Grenzen Italiens hinaus zu erweitern,
ja noch als ein halbes Jahrtausend später an den Ufern des Euphrat wie
an denen der Donau und am Isthmus zwischen Clyde und Forth von römi¬
schen Tribunalen herab römisches Recht gesprochen wurde, da >war Rom das
Centrum, wo alle Strahlen der Macht, des Gewinnes und des Glanzes
convcrgirten. Selbst der Name Italiens ging unter in dem Alles verzehren,
den, glorreichen Namen Roms, und erst Konstantin der Große brach durch Ver¬
legung der kaiserlichen Residenz nach Byzanz das centripetale Princip und
erleichterte dadurch die Auflösung des Weltreichs.

Ein Staat, der einer so großen Machtentfaltung sähig war wie der rö¬
mische, der trotz aller Entwicklung seiner Kraft nach Außen doch nur in lang¬
samer ruhiger Stetigkeit vorwärts schritt und dabei stets in seinen Mittelpunkt
zurückging, ein solcher Staat, sollte man meinen, müßte auf einer Grundlage
beruht haben, welche die Frucht harter Arbeit, unmüdlicher Ausdauer und
weißer Müßigung war. Und in der That mag es ein harter Kampf gewe¬
sen sein. den die alten patricischen Geschlechter um die Selbständigkeit und
Gleichberechtigung ihrer Stadt mit den übrigen ladinischen Städten gekämpft
haben. Sauer wird es den Plebejern geworden sein bei ihrem Ringen mit dem
alten Adel, als sie unverdrossen den fast zweihundertjährigen Rechtsstreit strit¬
ten und nicht eher davon ließen als bis das Licinische Gesetz die Vorrechte
der Aristokratie gebrochen hatte. Mühevoll war die Unterwerfung Italiens,
mühevoll der große Kampf mit Karthogo, mühevoll endlich die Besiegung der
celtischen Völker und das Zurückdrängen der germanischen und pannonischen
Nachbarn. Und als der Ehrgeiz über Blut und Gewalt, über Rechtsbruch und
Verrath hinwegschreitend sich den Weg bahnte vom curulischen Stuhle zum
Kaiserthrone, da erlagen Tausende von Bürgern den Anstrengungen, zu
denen das angestammte Rechtsgefühl oder der Glaube an die Nothwendig¬
keit einer neuen Ordnung der Dinge sie begeisterte. Die Macht Roms beruhte


Folge davon das Nichtvorhandensein eines freien, starken und geachteten
Mittelstandes, dessen Kraft auf der Arbeit beruhte, als der Grund anzusehn,
weshalb der griechische Geist zu einer gedeihlichen und maßgebenden Wirksam
keit in socialen Fragen unfähig, dagegen auf eine Lösung der ästhetischen
Aufgabe des Menschengeschlechts hingewiesen und zu dieser ganz besonders
befähigt war. Wir haben schon früher bemerkt, wie die Hdee der Kaloka-
gaihie den leitenden Grundgedanken für die Bestrebungen des Hellenenthum
bildete.

Wesentlich verschieden hiervon treten uns sogleich in ihren Anfängen die
Bestrebungen des italienischen Schwestervolkes entgegen, welche zu ihrem
Mittelpunkte die Rechtsidee haben. Die Richtung des Nationalcharakters ist
hier eine centripetale: selbst als zur Zeit des zweiten finnischen Krieges die
Römer ansingen, ihre Macht über die Grenzen Italiens hinaus zu erweitern,
ja noch als ein halbes Jahrtausend später an den Ufern des Euphrat wie
an denen der Donau und am Isthmus zwischen Clyde und Forth von römi¬
schen Tribunalen herab römisches Recht gesprochen wurde, da >war Rom das
Centrum, wo alle Strahlen der Macht, des Gewinnes und des Glanzes
convcrgirten. Selbst der Name Italiens ging unter in dem Alles verzehren,
den, glorreichen Namen Roms, und erst Konstantin der Große brach durch Ver¬
legung der kaiserlichen Residenz nach Byzanz das centripetale Princip und
erleichterte dadurch die Auflösung des Weltreichs.

Ein Staat, der einer so großen Machtentfaltung sähig war wie der rö¬
mische, der trotz aller Entwicklung seiner Kraft nach Außen doch nur in lang¬
samer ruhiger Stetigkeit vorwärts schritt und dabei stets in seinen Mittelpunkt
zurückging, ein solcher Staat, sollte man meinen, müßte auf einer Grundlage
beruht haben, welche die Frucht harter Arbeit, unmüdlicher Ausdauer und
weißer Müßigung war. Und in der That mag es ein harter Kampf gewe¬
sen sein. den die alten patricischen Geschlechter um die Selbständigkeit und
Gleichberechtigung ihrer Stadt mit den übrigen ladinischen Städten gekämpft
haben. Sauer wird es den Plebejern geworden sein bei ihrem Ringen mit dem
alten Adel, als sie unverdrossen den fast zweihundertjährigen Rechtsstreit strit¬
ten und nicht eher davon ließen als bis das Licinische Gesetz die Vorrechte
der Aristokratie gebrochen hatte. Mühevoll war die Unterwerfung Italiens,
mühevoll der große Kampf mit Karthogo, mühevoll endlich die Besiegung der
celtischen Völker und das Zurückdrängen der germanischen und pannonischen
Nachbarn. Und als der Ehrgeiz über Blut und Gewalt, über Rechtsbruch und
Verrath hinwegschreitend sich den Weg bahnte vom curulischen Stuhle zum
Kaiserthrone, da erlagen Tausende von Bürgern den Anstrengungen, zu
denen das angestammte Rechtsgefühl oder der Glaube an die Nothwendig¬
keit einer neuen Ordnung der Dinge sie begeisterte. Die Macht Roms beruhte


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[0115] Folge davon das Nichtvorhandensein eines freien, starken und geachteten Mittelstandes, dessen Kraft auf der Arbeit beruhte, als der Grund anzusehn, weshalb der griechische Geist zu einer gedeihlichen und maßgebenden Wirksam keit in socialen Fragen unfähig, dagegen auf eine Lösung der ästhetischen Aufgabe des Menschengeschlechts hingewiesen und zu dieser ganz besonders befähigt war. Wir haben schon früher bemerkt, wie die Hdee der Kaloka- gaihie den leitenden Grundgedanken für die Bestrebungen des Hellenenthum bildete. Wesentlich verschieden hiervon treten uns sogleich in ihren Anfängen die Bestrebungen des italienischen Schwestervolkes entgegen, welche zu ihrem Mittelpunkte die Rechtsidee haben. Die Richtung des Nationalcharakters ist hier eine centripetale: selbst als zur Zeit des zweiten finnischen Krieges die Römer ansingen, ihre Macht über die Grenzen Italiens hinaus zu erweitern, ja noch als ein halbes Jahrtausend später an den Ufern des Euphrat wie an denen der Donau und am Isthmus zwischen Clyde und Forth von römi¬ schen Tribunalen herab römisches Recht gesprochen wurde, da >war Rom das Centrum, wo alle Strahlen der Macht, des Gewinnes und des Glanzes convcrgirten. Selbst der Name Italiens ging unter in dem Alles verzehren, den, glorreichen Namen Roms, und erst Konstantin der Große brach durch Ver¬ legung der kaiserlichen Residenz nach Byzanz das centripetale Princip und erleichterte dadurch die Auflösung des Weltreichs. Ein Staat, der einer so großen Machtentfaltung sähig war wie der rö¬ mische, der trotz aller Entwicklung seiner Kraft nach Außen doch nur in lang¬ samer ruhiger Stetigkeit vorwärts schritt und dabei stets in seinen Mittelpunkt zurückging, ein solcher Staat, sollte man meinen, müßte auf einer Grundlage beruht haben, welche die Frucht harter Arbeit, unmüdlicher Ausdauer und weißer Müßigung war. Und in der That mag es ein harter Kampf gewe¬ sen sein. den die alten patricischen Geschlechter um die Selbständigkeit und Gleichberechtigung ihrer Stadt mit den übrigen ladinischen Städten gekämpft haben. Sauer wird es den Plebejern geworden sein bei ihrem Ringen mit dem alten Adel, als sie unverdrossen den fast zweihundertjährigen Rechtsstreit strit¬ ten und nicht eher davon ließen als bis das Licinische Gesetz die Vorrechte der Aristokratie gebrochen hatte. Mühevoll war die Unterwerfung Italiens, mühevoll der große Kampf mit Karthogo, mühevoll endlich die Besiegung der celtischen Völker und das Zurückdrängen der germanischen und pannonischen Nachbarn. Und als der Ehrgeiz über Blut und Gewalt, über Rechtsbruch und Verrath hinwegschreitend sich den Weg bahnte vom curulischen Stuhle zum Kaiserthrone, da erlagen Tausende von Bürgern den Anstrengungen, zu denen das angestammte Rechtsgefühl oder der Glaube an die Nothwendig¬ keit einer neuen Ordnung der Dinge sie begeisterte. Die Macht Roms beruhte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/115>, abgerufen am 15.01.2025.