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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Es ist schier lächerlich, daß sie sich anmaßen können, mit hinein zu sprechen,
wenn z. B. der Adel die große That der Reception (auch diese gehört zu den
regelmäßigen Landtagsangelegenheiten) ausführt. Mehr als lächerlich aber
ist es, wenn von ihnen auf eine Untersuchung und Beseitigung der Adelsacte
gedrungen wird u, s. w. -- Hinsichtlich der ständischen Behörden ist deren
Machtbefugnis^ und der Umfang ihrer Berechtigungen sehr oft dem Zweifel
unterworfen. Es fehlt durchaus eine bestimmte Geschäftsordnung, und es ge¬
schieht zuweilen, daß in einem Falle sehr Viele über das, was ordnungs¬
mäßig ist, zweifelhaft sind. Man hält sich alsdann an das "Herkömmliche";
der Modus, welcher sich aus früheren Zeiten gebildet hat. vertritt die Stelle
einer Geschäftsordnung, und er wird nach Grundsätzen gedeutet, deren Ur¬
sprung man um hundert Jahre zurück zu suchen hat.

Es konnte nicht fehlen, daß sich gegen alles dies abweichende Meinungen
auch im Schooße der Stände selbst erhoben. Dieselben gestalteten sich all-
mülig zu einer Art Opposition, die aber nur gegen die Vorrechte des Adels
gerichtet war und wesentlich den Zweck hatte, die Rechte aller Landstände
möglichst gleich zu stellen. Eine das Beste des Allgemeinen, die Reform des
Bestehenden, den Forschritt ins Auge fassende Opposition hat Mecklenburg bis
auf den heutigen Tag unter seinen Landständen, nicht gekannt. Deshalb
wurde den oppositionellen Landständen die sich freilich gern, ohne es zu sein,
"liberale" nennen ließen, von Seiten der Bevölkerung wenig Sympathie ent¬
gegengetragen; deshalb blieb ihre Zahl immer nur gering, denn was liegt
den bürgerlichen Gutsbesitzern ihrer Mehrzahl nach am Gewinn einiger Vor¬
rechte, daß sie zu deren Erringung Zeit und Geld opfern sollten? Die weit¬
aus meisten von ihnen besuchten den Landtag gar nicht, während das Volk
höchstens den "liberalen Rittern" sich nicht zu Dank verpflichtet fühlte.

Schon dies beweist, daß eine Opposition, welche Fortschritt und Reform
will, auch in Mecklenburg nothwendig ist. Aber dieselbe muß von dem Punkte
ausgehn, wo sie ihren Boden im Volke hat, wo das beginnt, was dem Lande
d. h. allen seinen Bewohnern nothwendig ist. Wir haben zu zeigen
versucht, daß dies einzig und allein eine gründliche Umgestaltung der Ver¬
fassungsverhältnisse sein kann, welche den Bedürfnissen des Staates und der
Neuzeit entspricht. Denn darüber darf man sich nicht täuschen, eine Beseiti¬
gung der landständischen Verfassung ist nothwendig. So lange sie besteht,
ist nicht die geringste Reform selbst der lästigsten Zustände, nicht der kleinste
Fortschritt aus der Bahn weder des politischen, noch des socialen, noch des
religiösen Lebens zu erwarten.

Im August d. I. ist von 82 landtagssähigen Gutsbesitzern, darunter 2
adligen, der Antrag an den nächsten, im November d. I. zusammentretender
Landtag gestellt:


Es ist schier lächerlich, daß sie sich anmaßen können, mit hinein zu sprechen,
wenn z. B. der Adel die große That der Reception (auch diese gehört zu den
regelmäßigen Landtagsangelegenheiten) ausführt. Mehr als lächerlich aber
ist es, wenn von ihnen auf eine Untersuchung und Beseitigung der Adelsacte
gedrungen wird u, s. w. — Hinsichtlich der ständischen Behörden ist deren
Machtbefugnis^ und der Umfang ihrer Berechtigungen sehr oft dem Zweifel
unterworfen. Es fehlt durchaus eine bestimmte Geschäftsordnung, und es ge¬
schieht zuweilen, daß in einem Falle sehr Viele über das, was ordnungs¬
mäßig ist, zweifelhaft sind. Man hält sich alsdann an das „Herkömmliche";
der Modus, welcher sich aus früheren Zeiten gebildet hat. vertritt die Stelle
einer Geschäftsordnung, und er wird nach Grundsätzen gedeutet, deren Ur¬
sprung man um hundert Jahre zurück zu suchen hat.

Es konnte nicht fehlen, daß sich gegen alles dies abweichende Meinungen
auch im Schooße der Stände selbst erhoben. Dieselben gestalteten sich all-
mülig zu einer Art Opposition, die aber nur gegen die Vorrechte des Adels
gerichtet war und wesentlich den Zweck hatte, die Rechte aller Landstände
möglichst gleich zu stellen. Eine das Beste des Allgemeinen, die Reform des
Bestehenden, den Forschritt ins Auge fassende Opposition hat Mecklenburg bis
auf den heutigen Tag unter seinen Landständen, nicht gekannt. Deshalb
wurde den oppositionellen Landständen die sich freilich gern, ohne es zu sein,
„liberale" nennen ließen, von Seiten der Bevölkerung wenig Sympathie ent¬
gegengetragen; deshalb blieb ihre Zahl immer nur gering, denn was liegt
den bürgerlichen Gutsbesitzern ihrer Mehrzahl nach am Gewinn einiger Vor¬
rechte, daß sie zu deren Erringung Zeit und Geld opfern sollten? Die weit¬
aus meisten von ihnen besuchten den Landtag gar nicht, während das Volk
höchstens den „liberalen Rittern" sich nicht zu Dank verpflichtet fühlte.

Schon dies beweist, daß eine Opposition, welche Fortschritt und Reform
will, auch in Mecklenburg nothwendig ist. Aber dieselbe muß von dem Punkte
ausgehn, wo sie ihren Boden im Volke hat, wo das beginnt, was dem Lande
d. h. allen seinen Bewohnern nothwendig ist. Wir haben zu zeigen
versucht, daß dies einzig und allein eine gründliche Umgestaltung der Ver¬
fassungsverhältnisse sein kann, welche den Bedürfnissen des Staates und der
Neuzeit entspricht. Denn darüber darf man sich nicht täuschen, eine Beseiti¬
gung der landständischen Verfassung ist nothwendig. So lange sie besteht,
ist nicht die geringste Reform selbst der lästigsten Zustände, nicht der kleinste
Fortschritt aus der Bahn weder des politischen, noch des socialen, noch des
religiösen Lebens zu erwarten.

Im August d. I. ist von 82 landtagssähigen Gutsbesitzern, darunter 2
adligen, der Antrag an den nächsten, im November d. I. zusammentretender
Landtag gestellt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/105>, abgerufen am 15.01.2025.