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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ten sie drei Stück. Zwei waren von der gefleckten Unze; das dritte hatte die
Ringflecken auf rothschwarzem Grunde. Alle drei hatten die Pseilverwundung
vorn an der Schulter; jedes hatte nur eine, aber eine breite Wunde, die
offenbar mit einem Taquarapfeil gemacht war, dessen Spitze breit wie ein
Messer ist und gewiß eine stark blutende Wunde macht.

Alles, was sie an Producten, an Pfeilen und Bogen besaßen, gaben sie
für Mais und Maniocmehl her, womit sie sich sogleich den Bauch voll schlu¬
gen. So erstand ich ebenfalls einige Waffen von ihnen. Die Bogen sind
aus dem harten, elastischen Holze der Brcichaubapalme (^Ltroea-r^um ja,va,ri,
auch lonoxüoönix genannt) gemacht und sind sehr haltbar. Die Pfeile sind
leichte Nohre, oben mit einer schon oft erwähnten Taquaraspitze versehn; oder
es ist ein aus hartem Holz geschnittenes, mit scharfer Spitze und mehreren
Widerhaken versehenes Ende ausgesetzt, sodaß solch ein Pfeil, wenn er einmal
eindringt, kaum wieder herauszuziehen ist, sondern meistentheils ganz durch
den getroffenen Theil durchgezogen werden muß, nachdem man das Rohr ab¬
gebrochen hat.

Die Weiber hatten, da sie nichts einzutauschen hatten, am Tauschhandel
bisher keinen Theil genommen. Doch erstand ich außer den schon angedeu¬
teten Lippenklötzen einige Ketten von ihnen, wofür sie ebenfalls zu essen haben
sollten. Indessen gab Gasinelli durch Zeichen kund, daß sie erst einmal tanzen
sollten. Und wirklich verstanden sie sich dazu.

Sie bildeten mit den größern Kindern einen Kreis, wobei sie, statt sich
an den Hunden anzufassen, sich dieselben wechselweise in die Oberarme legten,
sodaß sie sich ziemlich nahe standen. Mehrere von ihnen trugen ihr jüngstes
Kind auf dem Rücken. Diese ganz kleinen Kinder saßen, ebenfalls vollkom¬
men nackt, in dem Reifen einer Schlingpflanze, welchen die Mutter über der
Stirn trug. Die Hände der Kinder waren um den Hals der Mutter nach
vorn geschlungen und dort von derselben mit einer dünnen Schlingpflanze zu¬
sammengebunden, ganz wie man Kälber und Schafe knebelt. So konnten zwar
die Kinder nicht herunterfallen, befanden sich aber in einer gräßlichen Position,
Und doch werden alle Kinder, die noch nicht laufen können, in der geknebelten
Lage hängend und hockend tagelang von den Botokudinnen durch den Wald
geschleppt.

Nun begannen die Weiber ein dumpfes Summen und Murmeln, wobei
sie mit fest aneinander geschlossenen Füßen und Knien etwa einen Zoll hoch
sprangen und dabei sich etwas im Kreise umherbewegten. Ihr Murmeln ward
dann zu einem wirklichen Wortresrain. Ein Mensch bei Gasinelli im Hause,
der einiges von der Botokudensprache verstand und gerade hinzukam, übersetzte
mir diese Worte. Der ganze Refrain hieß: Hier ist es gut, hier bekommen
wir etwas zu essen!


ten sie drei Stück. Zwei waren von der gefleckten Unze; das dritte hatte die
Ringflecken auf rothschwarzem Grunde. Alle drei hatten die Pseilverwundung
vorn an der Schulter; jedes hatte nur eine, aber eine breite Wunde, die
offenbar mit einem Taquarapfeil gemacht war, dessen Spitze breit wie ein
Messer ist und gewiß eine stark blutende Wunde macht.

Alles, was sie an Producten, an Pfeilen und Bogen besaßen, gaben sie
für Mais und Maniocmehl her, womit sie sich sogleich den Bauch voll schlu¬
gen. So erstand ich ebenfalls einige Waffen von ihnen. Die Bogen sind
aus dem harten, elastischen Holze der Brcichaubapalme (^Ltroea-r^um ja,va,ri,
auch lonoxüoönix genannt) gemacht und sind sehr haltbar. Die Pfeile sind
leichte Nohre, oben mit einer schon oft erwähnten Taquaraspitze versehn; oder
es ist ein aus hartem Holz geschnittenes, mit scharfer Spitze und mehreren
Widerhaken versehenes Ende ausgesetzt, sodaß solch ein Pfeil, wenn er einmal
eindringt, kaum wieder herauszuziehen ist, sondern meistentheils ganz durch
den getroffenen Theil durchgezogen werden muß, nachdem man das Rohr ab¬
gebrochen hat.

Die Weiber hatten, da sie nichts einzutauschen hatten, am Tauschhandel
bisher keinen Theil genommen. Doch erstand ich außer den schon angedeu¬
teten Lippenklötzen einige Ketten von ihnen, wofür sie ebenfalls zu essen haben
sollten. Indessen gab Gasinelli durch Zeichen kund, daß sie erst einmal tanzen
sollten. Und wirklich verstanden sie sich dazu.

Sie bildeten mit den größern Kindern einen Kreis, wobei sie, statt sich
an den Hunden anzufassen, sich dieselben wechselweise in die Oberarme legten,
sodaß sie sich ziemlich nahe standen. Mehrere von ihnen trugen ihr jüngstes
Kind auf dem Rücken. Diese ganz kleinen Kinder saßen, ebenfalls vollkom¬
men nackt, in dem Reifen einer Schlingpflanze, welchen die Mutter über der
Stirn trug. Die Hände der Kinder waren um den Hals der Mutter nach
vorn geschlungen und dort von derselben mit einer dünnen Schlingpflanze zu¬
sammengebunden, ganz wie man Kälber und Schafe knebelt. So konnten zwar
die Kinder nicht herunterfallen, befanden sich aber in einer gräßlichen Position,
Und doch werden alle Kinder, die noch nicht laufen können, in der geknebelten
Lage hängend und hockend tagelang von den Botokudinnen durch den Wald
geschleppt.

Nun begannen die Weiber ein dumpfes Summen und Murmeln, wobei
sie mit fest aneinander geschlossenen Füßen und Knien etwa einen Zoll hoch
sprangen und dabei sich etwas im Kreise umherbewegten. Ihr Murmeln ward
dann zu einem wirklichen Wortresrain. Ein Mensch bei Gasinelli im Hause,
der einiges von der Botokudensprache verstand und gerade hinzukam, übersetzte
mir diese Worte. Der ganze Refrain hieß: Hier ist es gut, hier bekommen
wir etwas zu essen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/81>, abgerufen am 24.07.2024.