Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ein promovirter Doctor, liegen und sah mich dann, nachdem er alles wunder¬
hübsch nachgemacht hatte, mit dem Ausdrucke vollkommener Selbstzufriedenheit
an. So schlug mir alles fehl bei ihnen. Je mehr ich mich an die Menschen¬
natur in ihnen wandte, desto mehr trat diese schüchtern und ungeschickt in den
Hintergrund wie ein blödes Dorfkind, und desto mehr stieß ich auf die Affen¬
natur und überzeugte mich mit tiefer Wehmuth davon, daß es auch zweibän¬
dige Affen gäbe.

Schon beim Essen hätte ich gern ausfindig gemacht, ob sie noch Menschen¬
fresser wären. Sie hatten, als man ihnen zuerst in ihren Wäldern begeg¬
nete, die Gewohnheit, ihre im Kampfe erlegten Feinde zu braten und zu essen,
und hatten, wenn man ihnen das Brutale dieser Kost auseinandersetzen ließ,
wol entgegnet, sie sähen nicht ein, warum man nicht, wenn man doch Anten,
Pacas, Unzen, Affen u. s. w. äße, auch einen Chiporoka (Feind) essen könnte,
wenn er doch nun einmal erschlagen wäre. Gleiches hatte man mir schon
an andern Orten von den Botokuden erzählt. Am meisten sollten sie nach
solchen Erzählungen zum Negerfressen geneigt sein und besonders gern die
Handflächen und Fußsohlen verschlingen. Sie nennen deswegen auch die Ne¬
ger Nacaev ä<z en!?o, Affen des Bodens. Erinnert das nicht ganz an die
Kannibalen der Südsee, welche die ankommenden Europäer fragten, ob sie
lieber von einem kurzen oder einem langen Schweine, d. h. einem Menschen,
essen wollten?

Beim Essen also machte ich mit dem vollen Gestus des Essens die An¬
frage an den Kaziken Juquiranai "OK -snguii-g.na, euivorolca, aiuviev?"
Der Botokude erwiderte mir ganz mit demselben Gestus und langsam mit dem
Kopfe nickend: "LlrivoroKs. ampiex," ein Feind ist gut! Und dennoch ließ er
mich im Zweifel, ob ich die Antwort eines Menschenfressers oder den Gestus
eiues nachahmenden Affen erhalten hatte, -- das eine ebenso möglich wie
das andere.

Eine eigenthümlich trübe Stimm'ung schien grade auf diesem Juquirana
zu liegen. Während die andern Botokuden sich dicht um mich drängten, blieb
er in einiger Entfernung stehen und sah niedergeschlagen aus. Er sollte schon
75 Jahre alt sein; ich hätte ihn höchstens für einen Mann von 50 Jahren
gehalten; er hatte nicht ein einziges weißes Haar auf seinem Haupte. Bei
so vorgerücktem Alter mochte der Botokudenhauptmcmn doch wol sich über¬
zeugen, daß die Zeit der Wilden zu Ende ginge und die vielen Pogirums,
die "weißen Hände", bald ganz allein herrschen würden, wenn er sich auch
noch immer für den Herrn der Wälder am Urnen hielt und anerkannt wis¬
sen wollte.

Außer seiner trüben Stimmung unterschied sich der Hauptmann in nichts
von seinen Leuten; auch zeigte er keine größere Intelligenz. Nichts reizte seine


9"

ein promovirter Doctor, liegen und sah mich dann, nachdem er alles wunder¬
hübsch nachgemacht hatte, mit dem Ausdrucke vollkommener Selbstzufriedenheit
an. So schlug mir alles fehl bei ihnen. Je mehr ich mich an die Menschen¬
natur in ihnen wandte, desto mehr trat diese schüchtern und ungeschickt in den
Hintergrund wie ein blödes Dorfkind, und desto mehr stieß ich auf die Affen¬
natur und überzeugte mich mit tiefer Wehmuth davon, daß es auch zweibän¬
dige Affen gäbe.

Schon beim Essen hätte ich gern ausfindig gemacht, ob sie noch Menschen¬
fresser wären. Sie hatten, als man ihnen zuerst in ihren Wäldern begeg¬
nete, die Gewohnheit, ihre im Kampfe erlegten Feinde zu braten und zu essen,
und hatten, wenn man ihnen das Brutale dieser Kost auseinandersetzen ließ,
wol entgegnet, sie sähen nicht ein, warum man nicht, wenn man doch Anten,
Pacas, Unzen, Affen u. s. w. äße, auch einen Chiporoka (Feind) essen könnte,
wenn er doch nun einmal erschlagen wäre. Gleiches hatte man mir schon
an andern Orten von den Botokuden erzählt. Am meisten sollten sie nach
solchen Erzählungen zum Negerfressen geneigt sein und besonders gern die
Handflächen und Fußsohlen verschlingen. Sie nennen deswegen auch die Ne¬
ger Nacaev ä<z en!?o, Affen des Bodens. Erinnert das nicht ganz an die
Kannibalen der Südsee, welche die ankommenden Europäer fragten, ob sie
lieber von einem kurzen oder einem langen Schweine, d. h. einem Menschen,
essen wollten?

Beim Essen also machte ich mit dem vollen Gestus des Essens die An¬
frage an den Kaziken Juquiranai „OK -snguii-g.na, euivorolca, aiuviev?"
Der Botokude erwiderte mir ganz mit demselben Gestus und langsam mit dem
Kopfe nickend: „LlrivoroKs. ampiex," ein Feind ist gut! Und dennoch ließ er
mich im Zweifel, ob ich die Antwort eines Menschenfressers oder den Gestus
eiues nachahmenden Affen erhalten hatte, — das eine ebenso möglich wie
das andere.

Eine eigenthümlich trübe Stimm'ung schien grade auf diesem Juquirana
zu liegen. Während die andern Botokuden sich dicht um mich drängten, blieb
er in einiger Entfernung stehen und sah niedergeschlagen aus. Er sollte schon
75 Jahre alt sein; ich hätte ihn höchstens für einen Mann von 50 Jahren
gehalten; er hatte nicht ein einziges weißes Haar auf seinem Haupte. Bei
so vorgerücktem Alter mochte der Botokudenhauptmcmn doch wol sich über¬
zeugen, daß die Zeit der Wilden zu Ende ginge und die vielen Pogirums,
die „weißen Hände", bald ganz allein herrschen würden, wenn er sich auch
noch immer für den Herrn der Wälder am Urnen hielt und anerkannt wis¬
sen wollte.

Außer seiner trüben Stimmung unterschied sich der Hauptmann in nichts
von seinen Leuten; auch zeigte er keine größere Intelligenz. Nichts reizte seine


9"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109885"/>
          <p xml:id="ID_186" prev="#ID_185"> ein promovirter Doctor, liegen und sah mich dann, nachdem er alles wunder¬<lb/>
hübsch nachgemacht hatte, mit dem Ausdrucke vollkommener Selbstzufriedenheit<lb/>
an. So schlug mir alles fehl bei ihnen. Je mehr ich mich an die Menschen¬<lb/>
natur in ihnen wandte, desto mehr trat diese schüchtern und ungeschickt in den<lb/>
Hintergrund wie ein blödes Dorfkind, und desto mehr stieß ich auf die Affen¬<lb/>
natur und überzeugte mich mit tiefer Wehmuth davon, daß es auch zweibän¬<lb/>
dige Affen gäbe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_187"> Schon beim Essen hätte ich gern ausfindig gemacht, ob sie noch Menschen¬<lb/>
fresser wären. Sie hatten, als man ihnen zuerst in ihren Wäldern begeg¬<lb/>
nete, die Gewohnheit, ihre im Kampfe erlegten Feinde zu braten und zu essen,<lb/>
und hatten, wenn man ihnen das Brutale dieser Kost auseinandersetzen ließ,<lb/>
wol entgegnet, sie sähen nicht ein, warum man nicht, wenn man doch Anten,<lb/>
Pacas, Unzen, Affen u. s. w. äße, auch einen Chiporoka (Feind) essen könnte,<lb/>
wenn er doch nun einmal erschlagen wäre. Gleiches hatte man mir schon<lb/>
an andern Orten von den Botokuden erzählt. Am meisten sollten sie nach<lb/>
solchen Erzählungen zum Negerfressen geneigt sein und besonders gern die<lb/>
Handflächen und Fußsohlen verschlingen. Sie nennen deswegen auch die Ne¬<lb/>
ger Nacaev ä&lt;z en!?o, Affen des Bodens. Erinnert das nicht ganz an die<lb/>
Kannibalen der Südsee, welche die ankommenden Europäer fragten, ob sie<lb/>
lieber von einem kurzen oder einem langen Schweine, d. h. einem Menschen,<lb/>
essen wollten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_188"> Beim Essen also machte ich mit dem vollen Gestus des Essens die An¬<lb/>
frage an den Kaziken Juquiranai &#x201E;OK -snguii-g.na, euivorolca, aiuviev?"<lb/>
Der Botokude erwiderte mir ganz mit demselben Gestus und langsam mit dem<lb/>
Kopfe nickend: &#x201E;LlrivoroKs. ampiex," ein Feind ist gut! Und dennoch ließ er<lb/>
mich im Zweifel, ob ich die Antwort eines Menschenfressers oder den Gestus<lb/>
eiues nachahmenden Affen erhalten hatte, &#x2014; das eine ebenso möglich wie<lb/>
das andere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_189"> Eine eigenthümlich trübe Stimm'ung schien grade auf diesem Juquirana<lb/>
zu liegen. Während die andern Botokuden sich dicht um mich drängten, blieb<lb/>
er in einiger Entfernung stehen und sah niedergeschlagen aus. Er sollte schon<lb/>
75 Jahre alt sein; ich hätte ihn höchstens für einen Mann von 50 Jahren<lb/>
gehalten; er hatte nicht ein einziges weißes Haar auf seinem Haupte. Bei<lb/>
so vorgerücktem Alter mochte der Botokudenhauptmcmn doch wol sich über¬<lb/>
zeugen, daß die Zeit der Wilden zu Ende ginge und die vielen Pogirums,<lb/>
die &#x201E;weißen Hände", bald ganz allein herrschen würden, wenn er sich auch<lb/>
noch immer für den Herrn der Wälder am Urnen hielt und anerkannt wis¬<lb/>
sen wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_190" next="#ID_191"> Außer seiner trüben Stimmung unterschied sich der Hauptmann in nichts<lb/>
von seinen Leuten; auch zeigte er keine größere Intelligenz. Nichts reizte seine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 9"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] ein promovirter Doctor, liegen und sah mich dann, nachdem er alles wunder¬ hübsch nachgemacht hatte, mit dem Ausdrucke vollkommener Selbstzufriedenheit an. So schlug mir alles fehl bei ihnen. Je mehr ich mich an die Menschen¬ natur in ihnen wandte, desto mehr trat diese schüchtern und ungeschickt in den Hintergrund wie ein blödes Dorfkind, und desto mehr stieß ich auf die Affen¬ natur und überzeugte mich mit tiefer Wehmuth davon, daß es auch zweibän¬ dige Affen gäbe. Schon beim Essen hätte ich gern ausfindig gemacht, ob sie noch Menschen¬ fresser wären. Sie hatten, als man ihnen zuerst in ihren Wäldern begeg¬ nete, die Gewohnheit, ihre im Kampfe erlegten Feinde zu braten und zu essen, und hatten, wenn man ihnen das Brutale dieser Kost auseinandersetzen ließ, wol entgegnet, sie sähen nicht ein, warum man nicht, wenn man doch Anten, Pacas, Unzen, Affen u. s. w. äße, auch einen Chiporoka (Feind) essen könnte, wenn er doch nun einmal erschlagen wäre. Gleiches hatte man mir schon an andern Orten von den Botokuden erzählt. Am meisten sollten sie nach solchen Erzählungen zum Negerfressen geneigt sein und besonders gern die Handflächen und Fußsohlen verschlingen. Sie nennen deswegen auch die Ne¬ ger Nacaev ä<z en!?o, Affen des Bodens. Erinnert das nicht ganz an die Kannibalen der Südsee, welche die ankommenden Europäer fragten, ob sie lieber von einem kurzen oder einem langen Schweine, d. h. einem Menschen, essen wollten? Beim Essen also machte ich mit dem vollen Gestus des Essens die An¬ frage an den Kaziken Juquiranai „OK -snguii-g.na, euivorolca, aiuviev?" Der Botokude erwiderte mir ganz mit demselben Gestus und langsam mit dem Kopfe nickend: „LlrivoroKs. ampiex," ein Feind ist gut! Und dennoch ließ er mich im Zweifel, ob ich die Antwort eines Menschenfressers oder den Gestus eiues nachahmenden Affen erhalten hatte, — das eine ebenso möglich wie das andere. Eine eigenthümlich trübe Stimm'ung schien grade auf diesem Juquirana zu liegen. Während die andern Botokuden sich dicht um mich drängten, blieb er in einiger Entfernung stehen und sah niedergeschlagen aus. Er sollte schon 75 Jahre alt sein; ich hätte ihn höchstens für einen Mann von 50 Jahren gehalten; er hatte nicht ein einziges weißes Haar auf seinem Haupte. Bei so vorgerücktem Alter mochte der Botokudenhauptmcmn doch wol sich über¬ zeugen, daß die Zeit der Wilden zu Ende ginge und die vielen Pogirums, die „weißen Hände", bald ganz allein herrschen würden, wenn er sich auch noch immer für den Herrn der Wälder am Urnen hielt und anerkannt wis¬ sen wollte. Außer seiner trüben Stimmung unterschied sich der Hauptmann in nichts von seinen Leuten; auch zeigte er keine größere Intelligenz. Nichts reizte seine 9"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/79>, abgerufen am 24.07.2024.