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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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die unbedingt besser gebaut waren als ihre Stammesgenossen bei Philadelphia,
und ihre nirgends bemalte oder tätowirte Hellrothgelbe Haut ungemein rein
hielten, machten wirklich einen vortheilhaften Eindruck. Juquirann war der
einzige, der von meiner Größe war, ungefähr 5^/2 Fuß; die andern waren
alle kleiner.

Grausig sahen dagegen die Weiber aus. Ohne irgend einen Ausdruck
von Weiblichkeit im Gesicht, kurz und fleischig gebaut, standen sie halb blöd¬
sinnig lächelnd da. keine Spur, auch nicht die mindeste, von Schamhaftigkeit
oder Befangenheit verrathend, die volle Vorderseite dem Blicke darbietend,
ohne an die allergeringste Verhüllung zu denken, und wäre sie auch nur jene
Einwärtsbiegung eines Knies, wie Leonardo da Vinci sie an seiner berühmten
Leda gemalt hat und Wildes sie uns in seiner "Weltumsegelung" von den
Frauen der Südsee erzählt. -- so standen diese Botokudinnen nackt zwischen
den nackten Männern umher, Weibergestalten in der abschreckendsten Form,
ja mehr als das, in einer wirklich entsetzlichen Weise.

Und dennoch hielten diese Botokudinnen auf zwei Toilettenstücke mit
großer Gewissenhaftigkeit. Das eine war ihr Klotz in der Unterlippe, eine
kreisrunde Scheibe aus dem Holze der Barriguda, um welche die Lippe wie
ein rothes Band herumliegt. Beim Essen, Trinken, Sprechen geht diese Klappe
auf und nieder, ohne je herauszufallen, und es hält ungemein schwer, die
Frauen dazu zu bewegen, die Scheibe aus der Lippe herauszunehmen. Nur
bei zweien gelang es mir, sie durch Darbietung von Maniocmehl dahin zu
bringen, daß sie ihre Klötze aus der Lippe holten und mir schenkten. Augen¬
blicklich aber hielten sie ihre Hände vor den Mund mit dem entschiedenen
Ausdruck von Verlegenheit, Aerger und verletztem Sittlichkeitsgefühl. In der
That wußte ich nicht, ob sie mit oder ohne Lippenklotz scheußlicher aussähen.
Denn ohne die Holzscheide hing ihnen der Fleischring der Lippe schlaff herunter
am Kinn und aus dem unvollkommen geschlossenen Munde lief ihnen der
Speichel heraus. Die größere Scheibe, die ich erhielt, war aus der Lippe
von Juquirana's Frau. Sie mißt zwer Zoll und acht Linien im Durchmesser
und ist gerade einen Zoll dick. Doch hatten einige Weiber noch größere
Klötze. Sie liefen indessen davon, als ich Miene machte, sie ihnen abzuhan¬
deln, und kamen erst wieder näher, als sie sahen, daß ich mich mit den beiden
eingetauschte" Scheiben begnügte. Mit so wenig Wahl nahmen die Boto¬
kudinnen das Material zu ihren Scheiben, daß die eine Scheibe, die ich be¬
sitze, schon an einer Seite etwas verkohlt ist und nicht einmal parallele
Flächen hat.

Ein andres Toilettenstück war eine schwarze Schnur, welche die jungem
Weiber einmal fest um die Wade dicht unter dem Knie geschlungen trugen.
Man sagte mir, diese Schnur wäre 'das Abzeichen der unverheiratheten aus-


Grenzboten III. 1860. 9

die unbedingt besser gebaut waren als ihre Stammesgenossen bei Philadelphia,
und ihre nirgends bemalte oder tätowirte Hellrothgelbe Haut ungemein rein
hielten, machten wirklich einen vortheilhaften Eindruck. Juquirann war der
einzige, der von meiner Größe war, ungefähr 5^/2 Fuß; die andern waren
alle kleiner.

Grausig sahen dagegen die Weiber aus. Ohne irgend einen Ausdruck
von Weiblichkeit im Gesicht, kurz und fleischig gebaut, standen sie halb blöd¬
sinnig lächelnd da. keine Spur, auch nicht die mindeste, von Schamhaftigkeit
oder Befangenheit verrathend, die volle Vorderseite dem Blicke darbietend,
ohne an die allergeringste Verhüllung zu denken, und wäre sie auch nur jene
Einwärtsbiegung eines Knies, wie Leonardo da Vinci sie an seiner berühmten
Leda gemalt hat und Wildes sie uns in seiner „Weltumsegelung" von den
Frauen der Südsee erzählt. — so standen diese Botokudinnen nackt zwischen
den nackten Männern umher, Weibergestalten in der abschreckendsten Form,
ja mehr als das, in einer wirklich entsetzlichen Weise.

Und dennoch hielten diese Botokudinnen auf zwei Toilettenstücke mit
großer Gewissenhaftigkeit. Das eine war ihr Klotz in der Unterlippe, eine
kreisrunde Scheibe aus dem Holze der Barriguda, um welche die Lippe wie
ein rothes Band herumliegt. Beim Essen, Trinken, Sprechen geht diese Klappe
auf und nieder, ohne je herauszufallen, und es hält ungemein schwer, die
Frauen dazu zu bewegen, die Scheibe aus der Lippe herauszunehmen. Nur
bei zweien gelang es mir, sie durch Darbietung von Maniocmehl dahin zu
bringen, daß sie ihre Klötze aus der Lippe holten und mir schenkten. Augen¬
blicklich aber hielten sie ihre Hände vor den Mund mit dem entschiedenen
Ausdruck von Verlegenheit, Aerger und verletztem Sittlichkeitsgefühl. In der
That wußte ich nicht, ob sie mit oder ohne Lippenklotz scheußlicher aussähen.
Denn ohne die Holzscheide hing ihnen der Fleischring der Lippe schlaff herunter
am Kinn und aus dem unvollkommen geschlossenen Munde lief ihnen der
Speichel heraus. Die größere Scheibe, die ich erhielt, war aus der Lippe
von Juquirana's Frau. Sie mißt zwer Zoll und acht Linien im Durchmesser
und ist gerade einen Zoll dick. Doch hatten einige Weiber noch größere
Klötze. Sie liefen indessen davon, als ich Miene machte, sie ihnen abzuhan¬
deln, und kamen erst wieder näher, als sie sahen, daß ich mich mit den beiden
eingetauschte» Scheiben begnügte. Mit so wenig Wahl nahmen die Boto¬
kudinnen das Material zu ihren Scheiben, daß die eine Scheibe, die ich be¬
sitze, schon an einer Seite etwas verkohlt ist und nicht einmal parallele
Flächen hat.

Ein andres Toilettenstück war eine schwarze Schnur, welche die jungem
Weiber einmal fest um die Wade dicht unter dem Knie geschlungen trugen.
Man sagte mir, diese Schnur wäre 'das Abzeichen der unverheiratheten aus-


Grenzboten III. 1860. 9
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[0077] die unbedingt besser gebaut waren als ihre Stammesgenossen bei Philadelphia, und ihre nirgends bemalte oder tätowirte Hellrothgelbe Haut ungemein rein hielten, machten wirklich einen vortheilhaften Eindruck. Juquirann war der einzige, der von meiner Größe war, ungefähr 5^/2 Fuß; die andern waren alle kleiner. Grausig sahen dagegen die Weiber aus. Ohne irgend einen Ausdruck von Weiblichkeit im Gesicht, kurz und fleischig gebaut, standen sie halb blöd¬ sinnig lächelnd da. keine Spur, auch nicht die mindeste, von Schamhaftigkeit oder Befangenheit verrathend, die volle Vorderseite dem Blicke darbietend, ohne an die allergeringste Verhüllung zu denken, und wäre sie auch nur jene Einwärtsbiegung eines Knies, wie Leonardo da Vinci sie an seiner berühmten Leda gemalt hat und Wildes sie uns in seiner „Weltumsegelung" von den Frauen der Südsee erzählt. — so standen diese Botokudinnen nackt zwischen den nackten Männern umher, Weibergestalten in der abschreckendsten Form, ja mehr als das, in einer wirklich entsetzlichen Weise. Und dennoch hielten diese Botokudinnen auf zwei Toilettenstücke mit großer Gewissenhaftigkeit. Das eine war ihr Klotz in der Unterlippe, eine kreisrunde Scheibe aus dem Holze der Barriguda, um welche die Lippe wie ein rothes Band herumliegt. Beim Essen, Trinken, Sprechen geht diese Klappe auf und nieder, ohne je herauszufallen, und es hält ungemein schwer, die Frauen dazu zu bewegen, die Scheibe aus der Lippe herauszunehmen. Nur bei zweien gelang es mir, sie durch Darbietung von Maniocmehl dahin zu bringen, daß sie ihre Klötze aus der Lippe holten und mir schenkten. Augen¬ blicklich aber hielten sie ihre Hände vor den Mund mit dem entschiedenen Ausdruck von Verlegenheit, Aerger und verletztem Sittlichkeitsgefühl. In der That wußte ich nicht, ob sie mit oder ohne Lippenklotz scheußlicher aussähen. Denn ohne die Holzscheide hing ihnen der Fleischring der Lippe schlaff herunter am Kinn und aus dem unvollkommen geschlossenen Munde lief ihnen der Speichel heraus. Die größere Scheibe, die ich erhielt, war aus der Lippe von Juquirana's Frau. Sie mißt zwer Zoll und acht Linien im Durchmesser und ist gerade einen Zoll dick. Doch hatten einige Weiber noch größere Klötze. Sie liefen indessen davon, als ich Miene machte, sie ihnen abzuhan¬ deln, und kamen erst wieder näher, als sie sahen, daß ich mich mit den beiden eingetauschte» Scheiben begnügte. Mit so wenig Wahl nahmen die Boto¬ kudinnen das Material zu ihren Scheiben, daß die eine Scheibe, die ich be¬ sitze, schon an einer Seite etwas verkohlt ist und nicht einmal parallele Flächen hat. Ein andres Toilettenstück war eine schwarze Schnur, welche die jungem Weiber einmal fest um die Wade dicht unter dem Knie geschlungen trugen. Man sagte mir, diese Schnur wäre 'das Abzeichen der unverheiratheten aus- Grenzboten III. 1860. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/77>, abgerufen am 24.07.2024.