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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Stelle der Münze gesteckt oder eine Banane, ich glaube, jeder Pfeil hätte sein
Ziel durchbohrt."

Die Nachbarschaft europäischer Ansiedler hat nur sehr wenig auf die
Wilden gewirkt. Indeß hat sie wenigstens den berühmten Klotz, mit dem
die Botokuden ihre Lippen und Ohrläppchen zu schmücken pflegten, bei den
meisten verbannt.

Wir fügen dem die Mittheilungen Lallemants über ein anderes Zusammen¬
treffen mit den Botokuden an, welches am 13. Februar vorigen Jahres statt¬
fand, und theilweise günstigere Eindrücke zurückließ. Der Reisende hatte einen
am Nibeirao da Areia wohnenden Franzosen ausgesucht, um mit demselben
die am Urnen hausende Horde des Häuptlings Juquirana in Augenschein zu
nehmen. Lange wanderten sie durch den Wald, ohne eine Spur von den
Wilden zu finden. Umsonst riefen sie den Namen des Kaziken in das Dickicht
hinein, nirgends ließ sich ein Gegenruf hören. So kehrten sie, als die
Dämmerung einbrach, nach der Hütte des Franzosen zurück.

Am nächsten Tage, als Lallemand zu einem am Nibeirao das Pedras
wohnenden italienischen Ansiedler hinabritt, rief ihm der hinter ihm reitende
Neger plötzlich zu: "Sehen Sie sich einmal um. wer hinter Ihnen geht!"
Er blickte zurück und sah unmittelbar hinter seinem Maulthier mit rüstigem
Schritt und heiterer Miene einen kräftig gebauten Botokuden herlaufen, nackt,
wie ihn Gott erschaffen, nur mit Pfeil und Bogen in der Hand. Er war
von so Heller Hautfarbe, daß er ihn, wenn seine botokudischen Gesichtszüge
nicht gewesen wären, für einen Europäer hätte halten können, der ein Ver¬
gnügen daran fände, Adam im Paradies zu spielen. Er gab dem lustigen
Gesellen die Hand und fragte nach seinem Häuptling. "Juquirana hijäme,"
erwiderte er und wies mit der Hand voraus, woraus Lallemand schloß, der
Kazike möchte auf einem Jagdzuge grade vor ihm sein. Dies bestätigte sich.
Nach wenigen Schritten sahen sie eine Anzahl nackter Botokuden jeden Alters
und Geschlechts aus dem Gebüsch springen, um die Reisenden zu begrüßen.
Einige davon gingen mit ihm zu dem Italiener, wo sich schon ein paar an¬
dere von der Horde eingefunden hatten. Bald nachher kamen die Uebrigen
ebenfalls an, Männer, Weiber, Kinder von allen Altersperioden, alle voll¬
kommen nackt, alle ohne die entfernteste Spur von Verlegenheit, nackt zu
sein. Juquirana befand sich an ihrer Spitze, indeß schien ihm durchaus kein
Vorrang eingeräumt zu werden.

Wir lassen von hier an den Reisenden sein Abenteuer selbst erzählen.

"Auch in dieser Horde trugen die Männer keine Klötze, weder in den
Lippen noch in den Ohren. Doch hatten einige von ihnen bedeutend große
Löcher in den Ohrlappen zur Aufnahme eines Holzes. So sahen sie nur
wenig entstellt aus, und die nackten, durchweg kräftig muskulösen Männer,


Stelle der Münze gesteckt oder eine Banane, ich glaube, jeder Pfeil hätte sein
Ziel durchbohrt."

Die Nachbarschaft europäischer Ansiedler hat nur sehr wenig auf die
Wilden gewirkt. Indeß hat sie wenigstens den berühmten Klotz, mit dem
die Botokuden ihre Lippen und Ohrläppchen zu schmücken pflegten, bei den
meisten verbannt.

Wir fügen dem die Mittheilungen Lallemants über ein anderes Zusammen¬
treffen mit den Botokuden an, welches am 13. Februar vorigen Jahres statt¬
fand, und theilweise günstigere Eindrücke zurückließ. Der Reisende hatte einen
am Nibeirao da Areia wohnenden Franzosen ausgesucht, um mit demselben
die am Urnen hausende Horde des Häuptlings Juquirana in Augenschein zu
nehmen. Lange wanderten sie durch den Wald, ohne eine Spur von den
Wilden zu finden. Umsonst riefen sie den Namen des Kaziken in das Dickicht
hinein, nirgends ließ sich ein Gegenruf hören. So kehrten sie, als die
Dämmerung einbrach, nach der Hütte des Franzosen zurück.

Am nächsten Tage, als Lallemand zu einem am Nibeirao das Pedras
wohnenden italienischen Ansiedler hinabritt, rief ihm der hinter ihm reitende
Neger plötzlich zu: „Sehen Sie sich einmal um. wer hinter Ihnen geht!"
Er blickte zurück und sah unmittelbar hinter seinem Maulthier mit rüstigem
Schritt und heiterer Miene einen kräftig gebauten Botokuden herlaufen, nackt,
wie ihn Gott erschaffen, nur mit Pfeil und Bogen in der Hand. Er war
von so Heller Hautfarbe, daß er ihn, wenn seine botokudischen Gesichtszüge
nicht gewesen wären, für einen Europäer hätte halten können, der ein Ver¬
gnügen daran fände, Adam im Paradies zu spielen. Er gab dem lustigen
Gesellen die Hand und fragte nach seinem Häuptling. „Juquirana hijäme,"
erwiderte er und wies mit der Hand voraus, woraus Lallemand schloß, der
Kazike möchte auf einem Jagdzuge grade vor ihm sein. Dies bestätigte sich.
Nach wenigen Schritten sahen sie eine Anzahl nackter Botokuden jeden Alters
und Geschlechts aus dem Gebüsch springen, um die Reisenden zu begrüßen.
Einige davon gingen mit ihm zu dem Italiener, wo sich schon ein paar an¬
dere von der Horde eingefunden hatten. Bald nachher kamen die Uebrigen
ebenfalls an, Männer, Weiber, Kinder von allen Altersperioden, alle voll¬
kommen nackt, alle ohne die entfernteste Spur von Verlegenheit, nackt zu
sein. Juquirana befand sich an ihrer Spitze, indeß schien ihm durchaus kein
Vorrang eingeräumt zu werden.

Wir lassen von hier an den Reisenden sein Abenteuer selbst erzählen.

„Auch in dieser Horde trugen die Männer keine Klötze, weder in den
Lippen noch in den Ohren. Doch hatten einige von ihnen bedeutend große
Löcher in den Ohrlappen zur Aufnahme eines Holzes. So sahen sie nur
wenig entstellt aus, und die nackten, durchweg kräftig muskulösen Männer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/76>, abgerufen am 24.07.2024.