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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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zum Aufstand geneigte Provinzen und völlige Isolirtheit von auswärtiger
Hilfe.

Indeß liegen auch einige Bedenken vor, namentlich wenn man sich an
die Uebelstünde erinnert, durch welche sich 1848 der anfängliche Sieg der Si-
cilier in eine ziemlich ruhmlose Niederlage verwandelte -- Bedenken, welche
erst die Zeit widerlegen kann. Bis jetzt wurden jene Uebelstände von dem
Glänze der Erfolge Garibaldis in den Hintergrund gedrängt. Sie sind aber
jedenfalls noch vorhanden, und Garibaldi wird Mühe haben, sie unschädlich
zu machen. Sie ganz auszurotten werden Jahre erforderlich sein. Sagen
wir es offen, es ist ein großer Irrthum, sich die Sicilier als ein Volk opfer¬
freudiger Freiheitshelden vorzustellen oder auch nur anzunehmen, daß sich unter
ihnen viele von so reinem Patriotismus getriebene Gemüther finden, wie Ga¬
ribaldi und die Mehrzahl seiner Alpenjäger. Das waren sie wenigstens 1848
nicht, obwol nicht geleugnet werden soll, daß sie sich damals in Messina und
bei Catania großentheils besser geschlagen haben, als, mit Ausnahme der
Schweizer, das neapolitanische Heer.

Freiheit hieß damals der großen Menge der Sicilianer Abschaffung aller
Staatslasten. Woraus die Kosten einer Negierung bestritten werden sollten,
die man mit südlicher Liebe zum Prunk mit königlichem Glanz ausgestattet
wünschte, womit eine Armee zusammengebracht und erhalten werden sollte, in
die niemand eintreten wollte (ein finnisches Sprichwort sagt "xiuttosto xorev
ode soläg-to," lieber ein Schwein sein als Soldat), womit endlich die unbedingt
nothwendige Flotte zu schaffen sei, wußte Niemand zu sagen. Man verweigerte
die Steuern, suchte sie zu umgehen, stritt gegen sie in Schrift und Wort, und
war wol geneigt, sich in eine Freischaar ohne Disciplin und Gehorsam ein¬
reihen zu lassen, nicht aber die ernsten Pflichten und Mühen des regelmäßigen
Dienstes zu übernehmen.

Wieder für Andere hieß Freiheit der politische Zustand, wo der Staat
denen, die sich bei ihm melden, Nahrung, Anstellung und reichliches Auskom¬
men für Nichtsthun zu verschaffen verpflichtet ist, wo, weil Staatsgut ge¬
meines Eigenthum ist, jeder sich von demselben nach Befinden ein Stück zum
Privatgebrauch aneignen darf. Redliche Patrioten waren namentlich unter
dem höhern Adel mehre vorhanden. Neben ihnen aber zehrte eine Menge von
nichtsnutzigen Gesellen am Gute des Staates. Dahin gehörten vor Allem die
oft erwähnten "Squadre", die auch jetzt wieder in Schwärmen erschienen sind,
um mittelmäßig zu fechten und möglichst viel aufzulesen, was bei der Revolution
abfällt.

Damals verhielt es sich mit diesen Banden etwa folgendermaßen. Einige
Adelige warben auf dem Lande und unter der niedern Classe der Städter
Leute, die sie der Regierung zur Verfügung stellten, wofür sie von derselben


zum Aufstand geneigte Provinzen und völlige Isolirtheit von auswärtiger
Hilfe.

Indeß liegen auch einige Bedenken vor, namentlich wenn man sich an
die Uebelstünde erinnert, durch welche sich 1848 der anfängliche Sieg der Si-
cilier in eine ziemlich ruhmlose Niederlage verwandelte — Bedenken, welche
erst die Zeit widerlegen kann. Bis jetzt wurden jene Uebelstände von dem
Glänze der Erfolge Garibaldis in den Hintergrund gedrängt. Sie sind aber
jedenfalls noch vorhanden, und Garibaldi wird Mühe haben, sie unschädlich
zu machen. Sie ganz auszurotten werden Jahre erforderlich sein. Sagen
wir es offen, es ist ein großer Irrthum, sich die Sicilier als ein Volk opfer¬
freudiger Freiheitshelden vorzustellen oder auch nur anzunehmen, daß sich unter
ihnen viele von so reinem Patriotismus getriebene Gemüther finden, wie Ga¬
ribaldi und die Mehrzahl seiner Alpenjäger. Das waren sie wenigstens 1848
nicht, obwol nicht geleugnet werden soll, daß sie sich damals in Messina und
bei Catania großentheils besser geschlagen haben, als, mit Ausnahme der
Schweizer, das neapolitanische Heer.

Freiheit hieß damals der großen Menge der Sicilianer Abschaffung aller
Staatslasten. Woraus die Kosten einer Negierung bestritten werden sollten,
die man mit südlicher Liebe zum Prunk mit königlichem Glanz ausgestattet
wünschte, womit eine Armee zusammengebracht und erhalten werden sollte, in
die niemand eintreten wollte (ein finnisches Sprichwort sagt „xiuttosto xorev
ode soläg-to," lieber ein Schwein sein als Soldat), womit endlich die unbedingt
nothwendige Flotte zu schaffen sei, wußte Niemand zu sagen. Man verweigerte
die Steuern, suchte sie zu umgehen, stritt gegen sie in Schrift und Wort, und
war wol geneigt, sich in eine Freischaar ohne Disciplin und Gehorsam ein¬
reihen zu lassen, nicht aber die ernsten Pflichten und Mühen des regelmäßigen
Dienstes zu übernehmen.

Wieder für Andere hieß Freiheit der politische Zustand, wo der Staat
denen, die sich bei ihm melden, Nahrung, Anstellung und reichliches Auskom¬
men für Nichtsthun zu verschaffen verpflichtet ist, wo, weil Staatsgut ge¬
meines Eigenthum ist, jeder sich von demselben nach Befinden ein Stück zum
Privatgebrauch aneignen darf. Redliche Patrioten waren namentlich unter
dem höhern Adel mehre vorhanden. Neben ihnen aber zehrte eine Menge von
nichtsnutzigen Gesellen am Gute des Staates. Dahin gehörten vor Allem die
oft erwähnten „Squadre", die auch jetzt wieder in Schwärmen erschienen sind,
um mittelmäßig zu fechten und möglichst viel aufzulesen, was bei der Revolution
abfällt.

Damals verhielt es sich mit diesen Banden etwa folgendermaßen. Einige
Adelige warben auf dem Lande und unter der niedern Classe der Städter
Leute, die sie der Regierung zur Verfügung stellten, wofür sie von derselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/70>, abgerufen am 24.07.2024.