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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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die Marken noch nicht überschritten ist, und so finden wir noch Muße, einen
kurzen Blick auf das zu werfen, was nach vollendeter Eroberung der genannten
Landstriche dem sardinischen Staate einverleibt werden wird.

Nach einem Edict vom 22. Nov. 1850 zerfiel der Kirchenstaat in die
Comarca (den Stadtbezirk) von Rom, welche mit den drei Delegationen oder
Bezirken Viterbo, Civita Vecchia und Orvieto das eigentliche Patrimonium
Petri bildet, wie solches nach der bekanntlich nicht zu erweisenden Behaup¬
tung der Kirche von Pipin dem Kleinen dem Papst Stephan dem Zweiten im
achten Jahrhundert verliehen sein soll, dann in die Legation der Romag-
na, die 1859 verloren ging, in die Marken mit den sechs Delegationen
Ancona, Urbino-Pesaro, Macerata, Fermo, Ascoli und Camerino, in die Le-
gation Umbrien mit den drei Delegationen Perugia, Spoleto und Riedl,
endlich in die Legation der Campagna und Maritima mit den drei Delega¬
tionen Velletri, Frosinone und Benevento.

Von diesen fünf Haupttheilen des Kirchenstaats von 1850 lassen wir die
Romagna, als zum Kirchenstaat von 1860 nicht mehr gehörig, außer Betracht.
Von den übrigen vier hat das Patrimonium Petri 140 Qu.-M. und etwa
459,000 Einw., die Campagna und Maritima 65 Qu.-M. und 230,000
Einw., während die Marken auf 173 Qu.-M. 888.000 Einw. haben und
Umbrien mit seinen 145 Qu.-M. von ungefähr 422.000 Menschen be-
wohnt ist. Nehmen wir an, daß der Papst jetzt Umbrien und die Marken
verliert, so würde sein Besitz, der nach Lostrennung der Romagna noch
1,999.000 Einw. auf 529 Qu.-M. umfaßte, auf 211 Qu.-M. mit 689,000
Menschen reducirt werden. Fielen auch die Delegationen der Campagna und
Maritima weg (Benevent ist bereits im Aufstand), so blieben ihm noch 459,000
Unterthanen und 145 Qu.-M. Mit andern Worten: der Kirchenstaat, der
gegenwärtig beträchtlich größer als das Königreich Sachsen mit sämmtlichen
thüringischen, anhaltischen und reußischen Staaten und etwa so bevölkert wie
Sachsen ist, würde im erstem, dem Papste günstigeren Fall zu einem Lande
ungefähr von der Größe Mecklenburg-Schwerins und von der Volkszahl Hes¬
sen-Darmstadts, im letzteren zu einem Kleinstaat von der Größe Weimars
und der drei thüringischen Herzogthümer und von der Bolkszahl der drei letzteren
herabsinken. Sardinien aber würde mit den 318 Qu.-M. und den 1,310,000
Einw. seiner neuen Erwerbungen sich im letztern wahrscheinlichem Fall um
ein Territorium vergrößern, welches seiner Ausdehnung nach größer als Wür-
temberg und fast ebenso bevölkert wäre, ganz abgesehn davon, daß Umbrien
und die Marken zu den bessern Theilen des Kirchenstaates zu rechnen sind
und daß man mit Ancona einen ziemlich guten Hasen und eine starke Festung
erhielte, von welchen aus, einer Flotte wie der jetzigen östreichischen gegenüber, ^
das adriatische Meer beherrscht werden kann.


Grenzboten til. 1860. 65

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die Marken noch nicht überschritten ist, und so finden wir noch Muße, einen
kurzen Blick auf das zu werfen, was nach vollendeter Eroberung der genannten
Landstriche dem sardinischen Staate einverleibt werden wird.

Nach einem Edict vom 22. Nov. 1850 zerfiel der Kirchenstaat in die
Comarca (den Stadtbezirk) von Rom, welche mit den drei Delegationen oder
Bezirken Viterbo, Civita Vecchia und Orvieto das eigentliche Patrimonium
Petri bildet, wie solches nach der bekanntlich nicht zu erweisenden Behaup¬
tung der Kirche von Pipin dem Kleinen dem Papst Stephan dem Zweiten im
achten Jahrhundert verliehen sein soll, dann in die Legation der Romag-
na, die 1859 verloren ging, in die Marken mit den sechs Delegationen
Ancona, Urbino-Pesaro, Macerata, Fermo, Ascoli und Camerino, in die Le-
gation Umbrien mit den drei Delegationen Perugia, Spoleto und Riedl,
endlich in die Legation der Campagna und Maritima mit den drei Delega¬
tionen Velletri, Frosinone und Benevento.

Von diesen fünf Haupttheilen des Kirchenstaats von 1850 lassen wir die
Romagna, als zum Kirchenstaat von 1860 nicht mehr gehörig, außer Betracht.
Von den übrigen vier hat das Patrimonium Petri 140 Qu.-M. und etwa
459,000 Einw., die Campagna und Maritima 65 Qu.-M. und 230,000
Einw., während die Marken auf 173 Qu.-M. 888.000 Einw. haben und
Umbrien mit seinen 145 Qu.-M. von ungefähr 422.000 Menschen be-
wohnt ist. Nehmen wir an, daß der Papst jetzt Umbrien und die Marken
verliert, so würde sein Besitz, der nach Lostrennung der Romagna noch
1,999.000 Einw. auf 529 Qu.-M. umfaßte, auf 211 Qu.-M. mit 689,000
Menschen reducirt werden. Fielen auch die Delegationen der Campagna und
Maritima weg (Benevent ist bereits im Aufstand), so blieben ihm noch 459,000
Unterthanen und 145 Qu.-M. Mit andern Worten: der Kirchenstaat, der
gegenwärtig beträchtlich größer als das Königreich Sachsen mit sämmtlichen
thüringischen, anhaltischen und reußischen Staaten und etwa so bevölkert wie
Sachsen ist, würde im erstem, dem Papste günstigeren Fall zu einem Lande
ungefähr von der Größe Mecklenburg-Schwerins und von der Volkszahl Hes¬
sen-Darmstadts, im letzteren zu einem Kleinstaat von der Größe Weimars
und der drei thüringischen Herzogthümer und von der Bolkszahl der drei letzteren
herabsinken. Sardinien aber würde mit den 318 Qu.-M. und den 1,310,000
Einw. seiner neuen Erwerbungen sich im letztern wahrscheinlichem Fall um
ein Territorium vergrößern, welches seiner Ausdehnung nach größer als Wür-
temberg und fast ebenso bevölkert wäre, ganz abgesehn davon, daß Umbrien
und die Marken zu den bessern Theilen des Kirchenstaates zu rechnen sind
und daß man mit Ancona einen ziemlich guten Hasen und eine starke Festung
erhielte, von welchen aus, einer Flotte wie der jetzigen östreichischen gegenüber, ^
das adriatische Meer beherrscht werden kann.


Grenzboten til. 1860. 65
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/525>, abgerufen am 24.07.2024.