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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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zu dir, matt und ohne Andacht. Aber sieh mich doch in meinem Blute liegen
und erbarme dich. -- 30. März. -- Mein Elend ist um soviel größer, je
weniger ich es fühle oder erkenne. Füllt ein Laster, so steigt ein anderes.
Die Unempfindlichkeit aber vor Gott nimmt täglich zu. -- 6. April. -- Wie
unrein sind meine Gedanken; kaum kann ich mich einigermaßen an Gott er¬
innern. Ich bin lauter Untreue, Selbstgefälligkeit und Weltliche. - 23. April.
-- Nach und nach verliere ich auch das Gefühl meines Elends. Es steigen
mir gar große Gedanken von meiner vermeinten Gerechtigkeit auf. Ich scheue
und fürchte den Sonntag, und finde die Zeit zu göttlichen Beschäftigungen
viel zu lang. -- 19. Juli. -- Die Welt wird mir alle Tage angenehmer
und meine Lüste nehmen zu. Tod und Ewigkeit verliert sich aus meinen
Augen. Ich habe kein Gefühl mehr von göttlichen Sachen. O besser Kreuz
als solcher Wohlstand! Ich bin auch nicht einmal ein rechter Heuchler mehr.
Herr erbarme dich! -- 24. Aug. -- Dieser Tag war noch elender als die
vorigen. Meine Ungeduld und Ekel über dem Wort Gottes und die Begierde
nach der Welt sind ganz ausnehmend gewesen. O Herr, was wird es wer¬
den! Uebergib mich nicht dem Gericht der Verstockung und des Unglaubens!
-- 8. Sept.-- Alles in gleichem elenden Zustand! desto elender, da ich
mein Elend je länger je weniger fühle und recht friedlich damit bin; hin¬
gegen von Gott und der Ewigkeit den Begriff täglich schwächer und schwä¬
cher fühle.

Man kommt ihm in Göttingen auf eine unglaubliche Weise entgegen,
jede Forderung wird ihm erfüllt, kaum daß er sie ausgesprochen hat, sein
Puhu steigt von Jahr za Jahr: erim'v. je in'irmuse et j'oublie xresHue <zue
^e suis maUreureux. (27. Aug. 1738.) Aber die geringste Intrigue, die er
wahrzunehmen glaubt, erweckt in ihm die Sehnsucht nach der Schweiz: les
6ta,es äesxotiiues ne sont yue eaxriees. Dann erinnert er sich wieder an
die geringe Anerkennung, die er dort gefunden: Des reüexious Mixemites
me tout croire, <zue tous mes en'orth xour eng, xatris ne sont <zue ach dri-
n-mes contre ig. xroviäenee, et qu'elle äeeigre tous los jours ac plus eir
plus Sö. volonte hui in'oräonne ac vivre et ac mourir xgrmi les e'trgngers.
(17. Den. 1838) -- Er ist nur froh in der Einsamkeit seines botanischen
Gartens und seiner Anatomie: g,u reste xresyue aueuir eommsroe avec 1s
nouae, et surtout aueuuv oonügues s.veo Hui Huo es sott. Oels. est triste,
agis Necessaire. Doch regen sich in ihm noch unmer stille Wünsche (er ist
erst 30 Jahr alt): <mi suMrimees xgr ach retours ac äouleurs Sö reveil-
leut avec mes kerees et eng. hö.nee! (17. Dec. 1738). -- Im folgenden
Jahr reist er nach Bern, und führt eine neue junge Gemahlin, Elisabeth, die
Tochter des Rathsherrn Bücher, nach Göttingen heim. (22. Aug. 1739.)
Die erste Bemerkung, die wir gleich darauf, 23. Aug., im Tagebuch finden,


Grenzboten III. 1360. 64

zu dir, matt und ohne Andacht. Aber sieh mich doch in meinem Blute liegen
und erbarme dich. — 30. März. — Mein Elend ist um soviel größer, je
weniger ich es fühle oder erkenne. Füllt ein Laster, so steigt ein anderes.
Die Unempfindlichkeit aber vor Gott nimmt täglich zu. — 6. April. — Wie
unrein sind meine Gedanken; kaum kann ich mich einigermaßen an Gott er¬
innern. Ich bin lauter Untreue, Selbstgefälligkeit und Weltliche. - 23. April.
— Nach und nach verliere ich auch das Gefühl meines Elends. Es steigen
mir gar große Gedanken von meiner vermeinten Gerechtigkeit auf. Ich scheue
und fürchte den Sonntag, und finde die Zeit zu göttlichen Beschäftigungen
viel zu lang. — 19. Juli. — Die Welt wird mir alle Tage angenehmer
und meine Lüste nehmen zu. Tod und Ewigkeit verliert sich aus meinen
Augen. Ich habe kein Gefühl mehr von göttlichen Sachen. O besser Kreuz
als solcher Wohlstand! Ich bin auch nicht einmal ein rechter Heuchler mehr.
Herr erbarme dich! — 24. Aug. — Dieser Tag war noch elender als die
vorigen. Meine Ungeduld und Ekel über dem Wort Gottes und die Begierde
nach der Welt sind ganz ausnehmend gewesen. O Herr, was wird es wer¬
den! Uebergib mich nicht dem Gericht der Verstockung und des Unglaubens!
— 8. Sept.— Alles in gleichem elenden Zustand! desto elender, da ich
mein Elend je länger je weniger fühle und recht friedlich damit bin; hin¬
gegen von Gott und der Ewigkeit den Begriff täglich schwächer und schwä¬
cher fühle.

Man kommt ihm in Göttingen auf eine unglaubliche Weise entgegen,
jede Forderung wird ihm erfüllt, kaum daß er sie ausgesprochen hat, sein
Puhu steigt von Jahr za Jahr: erim'v. je in'irmuse et j'oublie xresHue <zue
^e suis maUreureux. (27. Aug. 1738.) Aber die geringste Intrigue, die er
wahrzunehmen glaubt, erweckt in ihm die Sehnsucht nach der Schweiz: les
6ta,es äesxotiiues ne sont yue eaxriees. Dann erinnert er sich wieder an
die geringe Anerkennung, die er dort gefunden: Des reüexious Mixemites
me tout croire, <zue tous mes en'orth xour eng, xatris ne sont <zue ach dri-
n-mes contre ig. xroviäenee, et qu'elle äeeigre tous los jours ac plus eir
plus Sö. volonte hui in'oräonne ac vivre et ac mourir xgrmi les e'trgngers.
(17. Den. 1838) — Er ist nur froh in der Einsamkeit seines botanischen
Gartens und seiner Anatomie: g,u reste xresyue aueuir eommsroe avec 1s
nouae, et surtout aueuuv oonügues s.veo Hui Huo es sott. Oels. est triste,
agis Necessaire. Doch regen sich in ihm noch unmer stille Wünsche (er ist
erst 30 Jahr alt): <mi suMrimees xgr ach retours ac äouleurs Sö reveil-
leut avec mes kerees et eng. hö.nee! (17. Dec. 1738). — Im folgenden
Jahr reist er nach Bern, und führt eine neue junge Gemahlin, Elisabeth, die
Tochter des Rathsherrn Bücher, nach Göttingen heim. (22. Aug. 1739.)
Die erste Bemerkung, die wir gleich darauf, 23. Aug., im Tagebuch finden,


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[0517] zu dir, matt und ohne Andacht. Aber sieh mich doch in meinem Blute liegen und erbarme dich. — 30. März. — Mein Elend ist um soviel größer, je weniger ich es fühle oder erkenne. Füllt ein Laster, so steigt ein anderes. Die Unempfindlichkeit aber vor Gott nimmt täglich zu. — 6. April. — Wie unrein sind meine Gedanken; kaum kann ich mich einigermaßen an Gott er¬ innern. Ich bin lauter Untreue, Selbstgefälligkeit und Weltliche. - 23. April. — Nach und nach verliere ich auch das Gefühl meines Elends. Es steigen mir gar große Gedanken von meiner vermeinten Gerechtigkeit auf. Ich scheue und fürchte den Sonntag, und finde die Zeit zu göttlichen Beschäftigungen viel zu lang. — 19. Juli. — Die Welt wird mir alle Tage angenehmer und meine Lüste nehmen zu. Tod und Ewigkeit verliert sich aus meinen Augen. Ich habe kein Gefühl mehr von göttlichen Sachen. O besser Kreuz als solcher Wohlstand! Ich bin auch nicht einmal ein rechter Heuchler mehr. Herr erbarme dich! — 24. Aug. — Dieser Tag war noch elender als die vorigen. Meine Ungeduld und Ekel über dem Wort Gottes und die Begierde nach der Welt sind ganz ausnehmend gewesen. O Herr, was wird es wer¬ den! Uebergib mich nicht dem Gericht der Verstockung und des Unglaubens! — 8. Sept.— Alles in gleichem elenden Zustand! desto elender, da ich mein Elend je länger je weniger fühle und recht friedlich damit bin; hin¬ gegen von Gott und der Ewigkeit den Begriff täglich schwächer und schwä¬ cher fühle. Man kommt ihm in Göttingen auf eine unglaubliche Weise entgegen, jede Forderung wird ihm erfüllt, kaum daß er sie ausgesprochen hat, sein Puhu steigt von Jahr za Jahr: erim'v. je in'irmuse et j'oublie xresHue <zue ^e suis maUreureux. (27. Aug. 1738.) Aber die geringste Intrigue, die er wahrzunehmen glaubt, erweckt in ihm die Sehnsucht nach der Schweiz: les 6ta,es äesxotiiues ne sont yue eaxriees. Dann erinnert er sich wieder an die geringe Anerkennung, die er dort gefunden: Des reüexious Mixemites me tout croire, <zue tous mes en'orth xour eng, xatris ne sont <zue ach dri- n-mes contre ig. xroviäenee, et qu'elle äeeigre tous los jours ac plus eir plus Sö. volonte hui in'oräonne ac vivre et ac mourir xgrmi les e'trgngers. (17. Den. 1838) — Er ist nur froh in der Einsamkeit seines botanischen Gartens und seiner Anatomie: g,u reste xresyue aueuir eommsroe avec 1s nouae, et surtout aueuuv oonügues s.veo Hui Huo es sott. Oels. est triste, agis Necessaire. Doch regen sich in ihm noch unmer stille Wünsche (er ist erst 30 Jahr alt): <mi suMrimees xgr ach retours ac äouleurs Sö reveil- leut avec mes kerees et eng. hö.nee! (17. Dec. 1738). — Im folgenden Jahr reist er nach Bern, und führt eine neue junge Gemahlin, Elisabeth, die Tochter des Rathsherrn Bücher, nach Göttingen heim. (22. Aug. 1739.) Die erste Bemerkung, die wir gleich darauf, 23. Aug., im Tagebuch finden, Grenzboten III. 1360. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/517>, abgerufen am 24.07.2024.