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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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muß aber hier noch mehr, wie in andern Orten geschehn, denn diese noch et¬
was wilden Völkerschaften gleichen darin den Orientalen, daß sie auf das
äußere Auftreten viel geben. Man muß ihnen imponiren durch Glanz, Per¬
sönlichkeit, Sittlichkeit und, wenn es sein muß, durch Strenge, dann geht es gut.

Sittlichkeit und wohlangebrachte Strenge, besonders wenn der Untergebene
von der Humanität des Beamten Ueberzeugung gewonnen hat, sind zwei Haupt¬
pfeiler einer gedeihlichen Wirksamkeit in jeder, besonders aber in solcher Stel¬
lung, worin der banaler Beamte sich befindet. Was sagt aber der geehrte
Leser zu folgender Geschichte, die ich ohne irgendwelche Zusätze einfach wieder¬
hole, wie sie mir erzählt und verbürgt wurde.

Im Frühjahre v. I. erschien ein Beamter von einem Bezirksgerichte
Nachts elf Uhr in einem ziemlich berauschten Zustande, mit einer Doppelflinte
bewaffnet, in dem Wirthshause eines kleinen Ortes, wo derselbe Tags darauf
Amtsgeschäfte zu besorgen hatte, Er fand das Schlafzimmer des Wirths
verschlossen und verlangte höchst aufgeregt und laut das Oeffnen der Thür.
Der Wirth, welcher sich bereits zur Ruhe begeben, stand auf und ging in das
Gastzimmer. Kaum dort eingetreten, fuhr ihn der Beamte in Gegenwart
einiger Gäste in den gröbsten Reden auf den Leib, ihn ausscheidend, daß er
einem kaiserlichen Beamten nicht sofort die Thüre geöffnet habe. Während
dieser Hin - und Herreden spannte derselbe die Hähne seines Gewehres, hielt
dasselbe dicht an den Kopf des Wirthes und drückte einen Lauf ab. Glück¬
licher Weise hatte der Wirth das Gewehr zur Seite geschlagen und so ging
der Schuß, ihm nur das Gesicht schwärzend, zur Seite und die Ladung von
einigen 20 starken Schroten fuhr in die Schrankthüre. Der Wirth zog sich
darauf eilig in sein Schlafzimmer zurück und verschloß die Thür. Nachdem
der Beamte unter höchst unanständigen Reden vergeblich das Oeffnen der
Thüre nochmals verlangt hatte, verließ derselbe unter verschiedenen unzwei¬
deutigen Zeichen der Trunkenheit das Wirthshaus.

Die Geschichte wurde actenkundig bekannt, obwol sie der Wirth nicht an¬
zeigte. Es erfolgte aber nichts darauf und der Beamte ist noch heute im
Dienste.

Würde etwas nur entfernt dem ähnliches bei uns vorkommen, so wären
alle öffentlichen Blätter voll davon; aber, obwol es überall räudige Schafe
unter einer feinen Heerde gibt, solche Brutalität ist in Deutschland unmög¬
lich, würde es auch in Oestreich sein, wenn man halbwegs eine freie Presse
hätte, zu deren Benutzung durch das Volk freilich ein höherer Bildungsstand
erforderlich wird, als man ihn in einem großen Theile der östreichischen Mo¬
narchie findet.

Damit, ich meine mit der Unwissenheit des Volkes, steht in einer nicht
zu verkennenden Wechselwirkung der für den Deutschen sehr auffallende Ge-


muß aber hier noch mehr, wie in andern Orten geschehn, denn diese noch et¬
was wilden Völkerschaften gleichen darin den Orientalen, daß sie auf das
äußere Auftreten viel geben. Man muß ihnen imponiren durch Glanz, Per¬
sönlichkeit, Sittlichkeit und, wenn es sein muß, durch Strenge, dann geht es gut.

Sittlichkeit und wohlangebrachte Strenge, besonders wenn der Untergebene
von der Humanität des Beamten Ueberzeugung gewonnen hat, sind zwei Haupt¬
pfeiler einer gedeihlichen Wirksamkeit in jeder, besonders aber in solcher Stel¬
lung, worin der banaler Beamte sich befindet. Was sagt aber der geehrte
Leser zu folgender Geschichte, die ich ohne irgendwelche Zusätze einfach wieder¬
hole, wie sie mir erzählt und verbürgt wurde.

Im Frühjahre v. I. erschien ein Beamter von einem Bezirksgerichte
Nachts elf Uhr in einem ziemlich berauschten Zustande, mit einer Doppelflinte
bewaffnet, in dem Wirthshause eines kleinen Ortes, wo derselbe Tags darauf
Amtsgeschäfte zu besorgen hatte, Er fand das Schlafzimmer des Wirths
verschlossen und verlangte höchst aufgeregt und laut das Oeffnen der Thür.
Der Wirth, welcher sich bereits zur Ruhe begeben, stand auf und ging in das
Gastzimmer. Kaum dort eingetreten, fuhr ihn der Beamte in Gegenwart
einiger Gäste in den gröbsten Reden auf den Leib, ihn ausscheidend, daß er
einem kaiserlichen Beamten nicht sofort die Thüre geöffnet habe. Während
dieser Hin - und Herreden spannte derselbe die Hähne seines Gewehres, hielt
dasselbe dicht an den Kopf des Wirthes und drückte einen Lauf ab. Glück¬
licher Weise hatte der Wirth das Gewehr zur Seite geschlagen und so ging
der Schuß, ihm nur das Gesicht schwärzend, zur Seite und die Ladung von
einigen 20 starken Schroten fuhr in die Schrankthüre. Der Wirth zog sich
darauf eilig in sein Schlafzimmer zurück und verschloß die Thür. Nachdem
der Beamte unter höchst unanständigen Reden vergeblich das Oeffnen der
Thüre nochmals verlangt hatte, verließ derselbe unter verschiedenen unzwei¬
deutigen Zeichen der Trunkenheit das Wirthshaus.

Die Geschichte wurde actenkundig bekannt, obwol sie der Wirth nicht an¬
zeigte. Es erfolgte aber nichts darauf und der Beamte ist noch heute im
Dienste.

Würde etwas nur entfernt dem ähnliches bei uns vorkommen, so wären
alle öffentlichen Blätter voll davon; aber, obwol es überall räudige Schafe
unter einer feinen Heerde gibt, solche Brutalität ist in Deutschland unmög¬
lich, würde es auch in Oestreich sein, wenn man halbwegs eine freie Presse
hätte, zu deren Benutzung durch das Volk freilich ein höherer Bildungsstand
erforderlich wird, als man ihn in einem großen Theile der östreichischen Mo¬
narchie findet.

Damit, ich meine mit der Unwissenheit des Volkes, steht in einer nicht
zu verkennenden Wechselwirkung der für den Deutschen sehr auffallende Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/390>, abgerufen am 25.07.2024.