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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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"Man betreibt," sagt unser Berichterstatter, "hier die Geschäfte mit einer
ganz ungemessnen Weitschweifigkeit, es hat sich dadurch eine Schwerfälligkeit
in dem Geschäftsverkehr und in der Form entwickelt, welcher man fast in je¬
dem Erlasse begegnet. Jeder, auch der geringfügigste Gegenstand wird schrift¬
lich verhandelt, und zwar mit einer Umständlichkeit und Gründlichkeit, als ob
es nur der Zweck wäre, recht viele und recht dicke Acten zu schreiben. Der
Sache wird aber doppelt dadurch geschadet: einmal indem die Erledigungen
nicht erfolgen, und dann, weil diese unendlichen Verschleppungen das Ansehen
der Behörden untergraben. Ueber diese Verschleppungen hört man allgemeine
und bittre Klagen, und nach vielen mir darüber gemachten Mittheilungen
erscheinen sie wohlbegründet." -- "Vormundschaftssachen sollen oft jahrelang
auf Erledigung warten lassen, eine Abnahme von Vormundschaftsrechnungen
sei äußerst schwer zu erlangen, ja es sei vorgekommen, daß nach fünf Jahren
noch kein Vormund bestellt sei. Bagatellsachen zu Ende zu bringen, hält
außerordentlich schwer. Untersuchungen von geringen Polizeivergehen, z. B.
Forstbußsachen, werden öfters jahrelang nicht vorgenommen, und wenn die
Erkenntnisse auch endlich gefällt sind, wird an die Vollziehung derselben gar
nicht gedacht. Ja es ist vorgekommen, daß bei der Visitation eines Bezirks¬
amtes gegen viertausend erledigte, aber unabgeschriebene Sachen vorgefunden
wurden. Man fand das und -- es blieb beim Alten!

"In peinlichen Sachen wird allgemein den Behörden eine große Lässigkeit,
eine Scheu, sich mit der Arbeit zu befassen, vorgeworfen. Mir sind darüber
eine Menge Geschichten erzählt, wovon ich beispielsweise eine mittheilen will.
Nicht weit von der siebenbürgischen Grenze wurde vor nicht zu langer Zeit in
einem Dorfe ein Bauernhaus überfallen, von dessen Besitzer bekannt geworden
war. daß er kürzlich Geld erhalten habe. Um die Bewohner zur Herausgabe
zu zwingen, wurde der schwangern Frau vor ihrem Manne der Leib aufge¬
schlitzt, und der Mann mit Feuer so lange gemartert, bis er verbrannte. Eine
Rotte von sieben Mann wurde durch die Gendarmen eingefangen, in Gegen¬
wart eines Hüttenbeamten, welcher zugleich Ortsvorsteher war, gestanden die
Bösewichter ihre That ein, sie wurden zum Amte transportirt und -- so sagte
der betreffende Hüttenbeamte, welcher mir die Sache als Theilnehmer bei dem
Verhör selbst erzählte -- noch früher wie die Gendarmen waren die Kerle alle
wieder zu Hause." --

"Mir ist," fährt unser Reisender fort, "ein Fall bekannt worden, wo die
Vermuthung einer böswilligen Brandstiftung sehr nahe lag. Aus eine des-
fallsige Anzeige bei dem Amte ist nicht einmal der Augenschein eingenommen
worden. In den obersten Stellen hat man gewiß den besten Willen, solche
schreiende Uebelstände, welche in den meisten Fällen wol nur durch die Ueber¬
häufung der Behörden mit Geschäften veranlaßt werden, abzustellen. Es sol-


„Man betreibt," sagt unser Berichterstatter, „hier die Geschäfte mit einer
ganz ungemessnen Weitschweifigkeit, es hat sich dadurch eine Schwerfälligkeit
in dem Geschäftsverkehr und in der Form entwickelt, welcher man fast in je¬
dem Erlasse begegnet. Jeder, auch der geringfügigste Gegenstand wird schrift¬
lich verhandelt, und zwar mit einer Umständlichkeit und Gründlichkeit, als ob
es nur der Zweck wäre, recht viele und recht dicke Acten zu schreiben. Der
Sache wird aber doppelt dadurch geschadet: einmal indem die Erledigungen
nicht erfolgen, und dann, weil diese unendlichen Verschleppungen das Ansehen
der Behörden untergraben. Ueber diese Verschleppungen hört man allgemeine
und bittre Klagen, und nach vielen mir darüber gemachten Mittheilungen
erscheinen sie wohlbegründet." — „Vormundschaftssachen sollen oft jahrelang
auf Erledigung warten lassen, eine Abnahme von Vormundschaftsrechnungen
sei äußerst schwer zu erlangen, ja es sei vorgekommen, daß nach fünf Jahren
noch kein Vormund bestellt sei. Bagatellsachen zu Ende zu bringen, hält
außerordentlich schwer. Untersuchungen von geringen Polizeivergehen, z. B.
Forstbußsachen, werden öfters jahrelang nicht vorgenommen, und wenn die
Erkenntnisse auch endlich gefällt sind, wird an die Vollziehung derselben gar
nicht gedacht. Ja es ist vorgekommen, daß bei der Visitation eines Bezirks¬
amtes gegen viertausend erledigte, aber unabgeschriebene Sachen vorgefunden
wurden. Man fand das und — es blieb beim Alten!

„In peinlichen Sachen wird allgemein den Behörden eine große Lässigkeit,
eine Scheu, sich mit der Arbeit zu befassen, vorgeworfen. Mir sind darüber
eine Menge Geschichten erzählt, wovon ich beispielsweise eine mittheilen will.
Nicht weit von der siebenbürgischen Grenze wurde vor nicht zu langer Zeit in
einem Dorfe ein Bauernhaus überfallen, von dessen Besitzer bekannt geworden
war. daß er kürzlich Geld erhalten habe. Um die Bewohner zur Herausgabe
zu zwingen, wurde der schwangern Frau vor ihrem Manne der Leib aufge¬
schlitzt, und der Mann mit Feuer so lange gemartert, bis er verbrannte. Eine
Rotte von sieben Mann wurde durch die Gendarmen eingefangen, in Gegen¬
wart eines Hüttenbeamten, welcher zugleich Ortsvorsteher war, gestanden die
Bösewichter ihre That ein, sie wurden zum Amte transportirt und — so sagte
der betreffende Hüttenbeamte, welcher mir die Sache als Theilnehmer bei dem
Verhör selbst erzählte — noch früher wie die Gendarmen waren die Kerle alle
wieder zu Hause." —

„Mir ist," fährt unser Reisender fort, „ein Fall bekannt worden, wo die
Vermuthung einer böswilligen Brandstiftung sehr nahe lag. Aus eine des-
fallsige Anzeige bei dem Amte ist nicht einmal der Augenschein eingenommen
worden. In den obersten Stellen hat man gewiß den besten Willen, solche
schreiende Uebelstände, welche in den meisten Fällen wol nur durch die Ueber¬
häufung der Behörden mit Geschäften veranlaßt werden, abzustellen. Es sol-


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[0387] „Man betreibt," sagt unser Berichterstatter, „hier die Geschäfte mit einer ganz ungemessnen Weitschweifigkeit, es hat sich dadurch eine Schwerfälligkeit in dem Geschäftsverkehr und in der Form entwickelt, welcher man fast in je¬ dem Erlasse begegnet. Jeder, auch der geringfügigste Gegenstand wird schrift¬ lich verhandelt, und zwar mit einer Umständlichkeit und Gründlichkeit, als ob es nur der Zweck wäre, recht viele und recht dicke Acten zu schreiben. Der Sache wird aber doppelt dadurch geschadet: einmal indem die Erledigungen nicht erfolgen, und dann, weil diese unendlichen Verschleppungen das Ansehen der Behörden untergraben. Ueber diese Verschleppungen hört man allgemeine und bittre Klagen, und nach vielen mir darüber gemachten Mittheilungen erscheinen sie wohlbegründet." — „Vormundschaftssachen sollen oft jahrelang auf Erledigung warten lassen, eine Abnahme von Vormundschaftsrechnungen sei äußerst schwer zu erlangen, ja es sei vorgekommen, daß nach fünf Jahren noch kein Vormund bestellt sei. Bagatellsachen zu Ende zu bringen, hält außerordentlich schwer. Untersuchungen von geringen Polizeivergehen, z. B. Forstbußsachen, werden öfters jahrelang nicht vorgenommen, und wenn die Erkenntnisse auch endlich gefällt sind, wird an die Vollziehung derselben gar nicht gedacht. Ja es ist vorgekommen, daß bei der Visitation eines Bezirks¬ amtes gegen viertausend erledigte, aber unabgeschriebene Sachen vorgefunden wurden. Man fand das und — es blieb beim Alten! „In peinlichen Sachen wird allgemein den Behörden eine große Lässigkeit, eine Scheu, sich mit der Arbeit zu befassen, vorgeworfen. Mir sind darüber eine Menge Geschichten erzählt, wovon ich beispielsweise eine mittheilen will. Nicht weit von der siebenbürgischen Grenze wurde vor nicht zu langer Zeit in einem Dorfe ein Bauernhaus überfallen, von dessen Besitzer bekannt geworden war. daß er kürzlich Geld erhalten habe. Um die Bewohner zur Herausgabe zu zwingen, wurde der schwangern Frau vor ihrem Manne der Leib aufge¬ schlitzt, und der Mann mit Feuer so lange gemartert, bis er verbrannte. Eine Rotte von sieben Mann wurde durch die Gendarmen eingefangen, in Gegen¬ wart eines Hüttenbeamten, welcher zugleich Ortsvorsteher war, gestanden die Bösewichter ihre That ein, sie wurden zum Amte transportirt und — so sagte der betreffende Hüttenbeamte, welcher mir die Sache als Theilnehmer bei dem Verhör selbst erzählte — noch früher wie die Gendarmen waren die Kerle alle wieder zu Hause." — „Mir ist," fährt unser Reisender fort, „ein Fall bekannt worden, wo die Vermuthung einer böswilligen Brandstiftung sehr nahe lag. Aus eine des- fallsige Anzeige bei dem Amte ist nicht einmal der Augenschein eingenommen worden. In den obersten Stellen hat man gewiß den besten Willen, solche schreiende Uebelstände, welche in den meisten Fällen wol nur durch die Ueber¬ häufung der Behörden mit Geschäften veranlaßt werden, abzustellen. Es sol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/387>, abgerufen am 24.07.2024.