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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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im der Regierung zu gründlichen Reformen glaubt und auf eine bessere Zu¬
kunft hofft, so können wir das auf sich beruhen lassen. Wir halten uns an
das. was er von den Erfolgen des gegenwärtigen Systems zu berichten hat.
und das ist, wie bemerkt, sehr wenig tröstlicher und erbaulicher Natur.

Gleich beim Eintritt in die k. k. Staaten, auf der Grenzstation Granicy
in Galizien, zeigt sich dem Reisenden ein wenig anmuthiges Miniatur¬
bild der Verwaltung: "Viele Beamte, um sich gegenseitig zu controliren und
un? allen Anforderungen des Bureaukratismus zu genüget, um mit vielen
Kosten oder der möglichst großen Weitläufigkeit wenig Geschäfte zu bewäl¬
tigen." Tags darauf tritt ihm die Silbergeldnoth in Gestalt eines protzigen
Kassirers entgegen. Nach verschiedenen andern traurigen Erfahrungen faßt
er dann sein Urtheil über Galizien dahin zusammen: "Galizien erscheint als
ein gesegnetes Land, wo ich es sah, schön, mit einem fruchtbaren Boden,
bei geeigneter Bewirthschaftung reiche Ernten gebend, mit einem gemäßigten
Klima, schönen, aber mißhandelten Wäldern, kurz, mit allen Elementen zu
einer gedeihlichen Entwicklung. Wie treffen wir aber das Volk? Arm, faul,
trunksüchtig, verkommen in jeder Hinsicht, ohne Unterricht und ohne sittliche
Hebung durch eine echte Religiosität. Und dieses ist der Erfolg von einem fast
hundertjährigen Besitz in der Hand des mächtigen Oestreich! Und die Regier¬
ung hatte hier freie Hand, sie war nicht wie in Ungarn gebunden durch eine
Verfassung, welche nur eine.Art von Menschen, den Adel, kannte." Man hat
nicht beachtet, daß Kirche und Schule große Hebel der Gesittung und des
Wohlstandes sind. Man hat noch immer nicht das Dogma fallen lassen,
daß Aufklärung vom Uebel, daß je dümmer das Volk, je leichter es zu regie¬
ren, man hat noch heute nicht den Stock aus dem Gerichtssaal verbannt.
Wenig nur ist für die innere Communication gethan. "Die Last der Cen¬
tralisation und des Bureaukratismus drückt ebenso auf Galizien wie auf die
übrigen Länder Oestreichs, der Mangel an guten Beamten, der Mangel an
Achtung vor den Beamten wird auch hier gleich fühlbar."

Wir übergehn, was der Verfasser, nach Pesth gelangt, von dieser Stadt
berichtet, und ebenso was er weiterhin an der ungarischen Bewegung für be¬
rechtigt, was er für nicht berechtigt hält, und folgen ihm in das Bannt und
zu der ausführlichen Schilderung, die er uns von den dortigen Beamten Oest¬
reichs gibt.*) Die östreichische Organisation der Verwaltungsbehörden ist an
sich nicht schwerfälliger als die in den meisten deutschen Staaten. Klagt man
aber in diesen schon mit Recht über viele unnütze Schreiberei, so hat man zu
solchen Klagen in Oestreich noch weit mehr Ursache.



') Man vergleiche damit die Beispiele aus dem russischen Beamtenthum, die wir vor
einigen Wochen aus Fürst Dolgornkows Buche mittheilten, und man wird finden, daß man
in Oestreich nach dieser Seite hin keine große Ursache hat, sich über Rußland erhaben zu
dünken.

im der Regierung zu gründlichen Reformen glaubt und auf eine bessere Zu¬
kunft hofft, so können wir das auf sich beruhen lassen. Wir halten uns an
das. was er von den Erfolgen des gegenwärtigen Systems zu berichten hat.
und das ist, wie bemerkt, sehr wenig tröstlicher und erbaulicher Natur.

Gleich beim Eintritt in die k. k. Staaten, auf der Grenzstation Granicy
in Galizien, zeigt sich dem Reisenden ein wenig anmuthiges Miniatur¬
bild der Verwaltung: „Viele Beamte, um sich gegenseitig zu controliren und
un? allen Anforderungen des Bureaukratismus zu genüget, um mit vielen
Kosten oder der möglichst großen Weitläufigkeit wenig Geschäfte zu bewäl¬
tigen." Tags darauf tritt ihm die Silbergeldnoth in Gestalt eines protzigen
Kassirers entgegen. Nach verschiedenen andern traurigen Erfahrungen faßt
er dann sein Urtheil über Galizien dahin zusammen: „Galizien erscheint als
ein gesegnetes Land, wo ich es sah, schön, mit einem fruchtbaren Boden,
bei geeigneter Bewirthschaftung reiche Ernten gebend, mit einem gemäßigten
Klima, schönen, aber mißhandelten Wäldern, kurz, mit allen Elementen zu
einer gedeihlichen Entwicklung. Wie treffen wir aber das Volk? Arm, faul,
trunksüchtig, verkommen in jeder Hinsicht, ohne Unterricht und ohne sittliche
Hebung durch eine echte Religiosität. Und dieses ist der Erfolg von einem fast
hundertjährigen Besitz in der Hand des mächtigen Oestreich! Und die Regier¬
ung hatte hier freie Hand, sie war nicht wie in Ungarn gebunden durch eine
Verfassung, welche nur eine.Art von Menschen, den Adel, kannte." Man hat
nicht beachtet, daß Kirche und Schule große Hebel der Gesittung und des
Wohlstandes sind. Man hat noch immer nicht das Dogma fallen lassen,
daß Aufklärung vom Uebel, daß je dümmer das Volk, je leichter es zu regie¬
ren, man hat noch heute nicht den Stock aus dem Gerichtssaal verbannt.
Wenig nur ist für die innere Communication gethan. „Die Last der Cen¬
tralisation und des Bureaukratismus drückt ebenso auf Galizien wie auf die
übrigen Länder Oestreichs, der Mangel an guten Beamten, der Mangel an
Achtung vor den Beamten wird auch hier gleich fühlbar."

Wir übergehn, was der Verfasser, nach Pesth gelangt, von dieser Stadt
berichtet, und ebenso was er weiterhin an der ungarischen Bewegung für be¬
rechtigt, was er für nicht berechtigt hält, und folgen ihm in das Bannt und
zu der ausführlichen Schilderung, die er uns von den dortigen Beamten Oest¬
reichs gibt.*) Die östreichische Organisation der Verwaltungsbehörden ist an
sich nicht schwerfälliger als die in den meisten deutschen Staaten. Klagt man
aber in diesen schon mit Recht über viele unnütze Schreiberei, so hat man zu
solchen Klagen in Oestreich noch weit mehr Ursache.



') Man vergleiche damit die Beispiele aus dem russischen Beamtenthum, die wir vor
einigen Wochen aus Fürst Dolgornkows Buche mittheilten, und man wird finden, daß man
in Oestreich nach dieser Seite hin keine große Ursache hat, sich über Rußland erhaben zu
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[0386] im der Regierung zu gründlichen Reformen glaubt und auf eine bessere Zu¬ kunft hofft, so können wir das auf sich beruhen lassen. Wir halten uns an das. was er von den Erfolgen des gegenwärtigen Systems zu berichten hat. und das ist, wie bemerkt, sehr wenig tröstlicher und erbaulicher Natur. Gleich beim Eintritt in die k. k. Staaten, auf der Grenzstation Granicy in Galizien, zeigt sich dem Reisenden ein wenig anmuthiges Miniatur¬ bild der Verwaltung: „Viele Beamte, um sich gegenseitig zu controliren und un? allen Anforderungen des Bureaukratismus zu genüget, um mit vielen Kosten oder der möglichst großen Weitläufigkeit wenig Geschäfte zu bewäl¬ tigen." Tags darauf tritt ihm die Silbergeldnoth in Gestalt eines protzigen Kassirers entgegen. Nach verschiedenen andern traurigen Erfahrungen faßt er dann sein Urtheil über Galizien dahin zusammen: „Galizien erscheint als ein gesegnetes Land, wo ich es sah, schön, mit einem fruchtbaren Boden, bei geeigneter Bewirthschaftung reiche Ernten gebend, mit einem gemäßigten Klima, schönen, aber mißhandelten Wäldern, kurz, mit allen Elementen zu einer gedeihlichen Entwicklung. Wie treffen wir aber das Volk? Arm, faul, trunksüchtig, verkommen in jeder Hinsicht, ohne Unterricht und ohne sittliche Hebung durch eine echte Religiosität. Und dieses ist der Erfolg von einem fast hundertjährigen Besitz in der Hand des mächtigen Oestreich! Und die Regier¬ ung hatte hier freie Hand, sie war nicht wie in Ungarn gebunden durch eine Verfassung, welche nur eine.Art von Menschen, den Adel, kannte." Man hat nicht beachtet, daß Kirche und Schule große Hebel der Gesittung und des Wohlstandes sind. Man hat noch immer nicht das Dogma fallen lassen, daß Aufklärung vom Uebel, daß je dümmer das Volk, je leichter es zu regie¬ ren, man hat noch heute nicht den Stock aus dem Gerichtssaal verbannt. Wenig nur ist für die innere Communication gethan. „Die Last der Cen¬ tralisation und des Bureaukratismus drückt ebenso auf Galizien wie auf die übrigen Länder Oestreichs, der Mangel an guten Beamten, der Mangel an Achtung vor den Beamten wird auch hier gleich fühlbar." Wir übergehn, was der Verfasser, nach Pesth gelangt, von dieser Stadt berichtet, und ebenso was er weiterhin an der ungarischen Bewegung für be¬ rechtigt, was er für nicht berechtigt hält, und folgen ihm in das Bannt und zu der ausführlichen Schilderung, die er uns von den dortigen Beamten Oest¬ reichs gibt.*) Die östreichische Organisation der Verwaltungsbehörden ist an sich nicht schwerfälliger als die in den meisten deutschen Staaten. Klagt man aber in diesen schon mit Recht über viele unnütze Schreiberei, so hat man zu solchen Klagen in Oestreich noch weit mehr Ursache. ') Man vergleiche damit die Beispiele aus dem russischen Beamtenthum, die wir vor einigen Wochen aus Fürst Dolgornkows Buche mittheilten, und man wird finden, daß man in Oestreich nach dieser Seite hin keine große Ursache hat, sich über Rußland erhaben zu dünken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/386>, abgerufen am 24.07.2024.