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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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und Entzücken, die Gefühlsschwelgerci. womit wir die Musik genießen' wird
den Engländern immer fremd und unbegreiflich bleiben. Die Schotten sind
durch ihren Puritanismuö sogar um ihre liebliche Volksmusik gekommen und
gegenwärtig noch unmusikalischer als selbst die Engländer. Was endlich un¬
sere deutschen Spiele um Geld betrifft, so erscheinen sie den ächten Presby-
terianern geradezu als sündhaft, da dieselben keine" Unterschied finden zwischen
dem Pharao, wo es sich um Haufen Goldes, und dem unschuldigen Whist
oder dem stärkenden Billard, wo es sich um einige Kupfermünzen handelt.

Unter allen Vergnügungen eines Volkes steht das Theater vielleicht oben
um und verdient daher eine ausführlichere Besprechung. So viel ist auf den
ersten Anblick klar, das; dem schottischen Pnritanismus gegenüber das Theater
natürlich eine sehr untergeordnete, um nickt zu sagen verachtete Stellung ein¬
nehmen muß.

Ein gebildetes Volk ohne Theater ist heutzutage uicht mehr denkbar, und
es muß daher als ein wirklicher Mangel erscheinen, daß Edinburg.t'ein seiner
würdiges Theater besitzt. Queen's Theatre, das von den beiden Theatern das
bessere sein! soll, habe ich allerdings nicht gesehn, da es eben geschlossen war.
Da es aber unter derselben Direction wie das Royal-Theatre steht, so läßt
sich von diesem auf jenes ein nicht ungerechtfertigter Schluß zieh". Das
Royal-Theatre ist nämlich nicht viel besser, als ein Vorstadttheater; das
Innere ist häßlich und schmutzig, die Bühne klein, und die Truppe, ab¬
gesehn von den von Zeit zu Zeit gastirenden "Sternen", unbedeutend.
Eine zweckmäßige Einrichtung scheint es, daß, wie bei allen englischen
Schauspielhäusern, zu jedem Platze ein gesonderter Eingang führt, wo¬
durch bei möglichen Unglücksfällen ein übermäßiges Gedränge verhindert
wird. Die Logen sind sehr vornehm, wenigstens sehr geputzt, und das Para¬
dies, hier richtiger die Hölle, sehr gemein. In den Zwischenacten drängen
sich Frauen und Jungen durch die engen Bänke, die aus großen Körben
allerhand "Spices" verkaufe"; denn an eine" Besuch des Büffels in der Vor¬
halle darf Man nicht denken, da es keine numerirten Sitze im Parterre gibt,
und jeder sich Entfernende sofort seinen Platz verlieren würde. Die Bühne
ist mit dem üblichen rothen oder grünen Teppich bedeckt, und der Abschluß
derselbe" wird nicht wie bei uns durch eine Gardine, sondern durch zwei zu¬
sammengeschobene Coulissen gebildet, so daß ein Auftreten aus dem Hinter¬
grunde unmöglich ist.

Das Stück, welches ich sah, waren Sheridnns Rivals, und ich kann
nicht leugnen, daß mich die Darstellung im Ganzen außerordentlich befriedigte.
Namentlich zeichneten sich die Darsteller der beiden Hauptrollen Sir Anthony
Absolute und Mrs. Malaprop aus; sie wnreu beide Londoner Gäste. Die
Engländer sind auf der Bühne viel natürlicher als im Leben; da hört das


und Entzücken, die Gefühlsschwelgerci. womit wir die Musik genießen' wird
den Engländern immer fremd und unbegreiflich bleiben. Die Schotten sind
durch ihren Puritanismuö sogar um ihre liebliche Volksmusik gekommen und
gegenwärtig noch unmusikalischer als selbst die Engländer. Was endlich un¬
sere deutschen Spiele um Geld betrifft, so erscheinen sie den ächten Presby-
terianern geradezu als sündhaft, da dieselben keine» Unterschied finden zwischen
dem Pharao, wo es sich um Haufen Goldes, und dem unschuldigen Whist
oder dem stärkenden Billard, wo es sich um einige Kupfermünzen handelt.

Unter allen Vergnügungen eines Volkes steht das Theater vielleicht oben
um und verdient daher eine ausführlichere Besprechung. So viel ist auf den
ersten Anblick klar, das; dem schottischen Pnritanismus gegenüber das Theater
natürlich eine sehr untergeordnete, um nickt zu sagen verachtete Stellung ein¬
nehmen muß.

Ein gebildetes Volk ohne Theater ist heutzutage uicht mehr denkbar, und
es muß daher als ein wirklicher Mangel erscheinen, daß Edinburg.t'ein seiner
würdiges Theater besitzt. Queen's Theatre, das von den beiden Theatern das
bessere sein! soll, habe ich allerdings nicht gesehn, da es eben geschlossen war.
Da es aber unter derselben Direction wie das Royal-Theatre steht, so läßt
sich von diesem auf jenes ein nicht ungerechtfertigter Schluß zieh». Das
Royal-Theatre ist nämlich nicht viel besser, als ein Vorstadttheater; das
Innere ist häßlich und schmutzig, die Bühne klein, und die Truppe, ab¬
gesehn von den von Zeit zu Zeit gastirenden „Sternen", unbedeutend.
Eine zweckmäßige Einrichtung scheint es, daß, wie bei allen englischen
Schauspielhäusern, zu jedem Platze ein gesonderter Eingang führt, wo¬
durch bei möglichen Unglücksfällen ein übermäßiges Gedränge verhindert
wird. Die Logen sind sehr vornehm, wenigstens sehr geputzt, und das Para¬
dies, hier richtiger die Hölle, sehr gemein. In den Zwischenacten drängen
sich Frauen und Jungen durch die engen Bänke, die aus großen Körben
allerhand „Spices" verkaufe«; denn an eine» Besuch des Büffels in der Vor¬
halle darf Man nicht denken, da es keine numerirten Sitze im Parterre gibt,
und jeder sich Entfernende sofort seinen Platz verlieren würde. Die Bühne
ist mit dem üblichen rothen oder grünen Teppich bedeckt, und der Abschluß
derselbe» wird nicht wie bei uns durch eine Gardine, sondern durch zwei zu¬
sammengeschobene Coulissen gebildet, so daß ein Auftreten aus dem Hinter¬
grunde unmöglich ist.

Das Stück, welches ich sah, waren Sheridnns Rivals, und ich kann
nicht leugnen, daß mich die Darstellung im Ganzen außerordentlich befriedigte.
Namentlich zeichneten sich die Darsteller der beiden Hauptrollen Sir Anthony
Absolute und Mrs. Malaprop aus; sie wnreu beide Londoner Gäste. Die
Engländer sind auf der Bühne viel natürlicher als im Leben; da hört das


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[0356] und Entzücken, die Gefühlsschwelgerci. womit wir die Musik genießen' wird den Engländern immer fremd und unbegreiflich bleiben. Die Schotten sind durch ihren Puritanismuö sogar um ihre liebliche Volksmusik gekommen und gegenwärtig noch unmusikalischer als selbst die Engländer. Was endlich un¬ sere deutschen Spiele um Geld betrifft, so erscheinen sie den ächten Presby- terianern geradezu als sündhaft, da dieselben keine» Unterschied finden zwischen dem Pharao, wo es sich um Haufen Goldes, und dem unschuldigen Whist oder dem stärkenden Billard, wo es sich um einige Kupfermünzen handelt. Unter allen Vergnügungen eines Volkes steht das Theater vielleicht oben um und verdient daher eine ausführlichere Besprechung. So viel ist auf den ersten Anblick klar, das; dem schottischen Pnritanismus gegenüber das Theater natürlich eine sehr untergeordnete, um nickt zu sagen verachtete Stellung ein¬ nehmen muß. Ein gebildetes Volk ohne Theater ist heutzutage uicht mehr denkbar, und es muß daher als ein wirklicher Mangel erscheinen, daß Edinburg.t'ein seiner würdiges Theater besitzt. Queen's Theatre, das von den beiden Theatern das bessere sein! soll, habe ich allerdings nicht gesehn, da es eben geschlossen war. Da es aber unter derselben Direction wie das Royal-Theatre steht, so läßt sich von diesem auf jenes ein nicht ungerechtfertigter Schluß zieh». Das Royal-Theatre ist nämlich nicht viel besser, als ein Vorstadttheater; das Innere ist häßlich und schmutzig, die Bühne klein, und die Truppe, ab¬ gesehn von den von Zeit zu Zeit gastirenden „Sternen", unbedeutend. Eine zweckmäßige Einrichtung scheint es, daß, wie bei allen englischen Schauspielhäusern, zu jedem Platze ein gesonderter Eingang führt, wo¬ durch bei möglichen Unglücksfällen ein übermäßiges Gedränge verhindert wird. Die Logen sind sehr vornehm, wenigstens sehr geputzt, und das Para¬ dies, hier richtiger die Hölle, sehr gemein. In den Zwischenacten drängen sich Frauen und Jungen durch die engen Bänke, die aus großen Körben allerhand „Spices" verkaufe«; denn an eine» Besuch des Büffels in der Vor¬ halle darf Man nicht denken, da es keine numerirten Sitze im Parterre gibt, und jeder sich Entfernende sofort seinen Platz verlieren würde. Die Bühne ist mit dem üblichen rothen oder grünen Teppich bedeckt, und der Abschluß derselbe» wird nicht wie bei uns durch eine Gardine, sondern durch zwei zu¬ sammengeschobene Coulissen gebildet, so daß ein Auftreten aus dem Hinter¬ grunde unmöglich ist. Das Stück, welches ich sah, waren Sheridnns Rivals, und ich kann nicht leugnen, daß mich die Darstellung im Ganzen außerordentlich befriedigte. Namentlich zeichneten sich die Darsteller der beiden Hauptrollen Sir Anthony Absolute und Mrs. Malaprop aus; sie wnreu beide Londoner Gäste. Die Engländer sind auf der Bühne viel natürlicher als im Leben; da hört das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/356>, abgerufen am 04.07.2024.