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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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nischen Kriege sichtbar geworden, wenig Sympathie für die östreichischen In¬
teressen zeige; noch seien die Tage von Olmütz, die Haltung des östreichischen
Hofes nach dem Frieden von Villafranca unvergessen. Wenn Oestreich auf
deutsche Hilfe rechne, so habe es vor Allem die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land mit sich zu versöhnen. Dies könne nur durch einen Wechsel des Systems
in Oestreich geschehn. Bevor deshalb Preußen irgendwelche Verpflichtungen
gegen Oestreich eingehen könne, müsse es erst unzweifelhafte und thatsächliche
Beweise haben, daß Oestreichs Regierung ihrerseits den Interessen der Deutschen
gerecht zu werden wisse. Solche zeitgemäße Forderungen seien zunächst Gleich¬
berechtigung der Protestanten in allen Kronländern, diese sollten dieselbe Stel¬
lung in Oestreich haben, wie die Katholiken in Preußen; serner eine Ausbil¬
dung der heimischen politischen Institutionen, welche geeignet wäre, das Band
zwischen der kaiserlichen Regierung und ihren Völkern zu befestigen; endlich
genügende Beweise dafür, daß Oestreich auch die preußischen Interessen bei
jeder Gelegenheit offen und loyal -- in Deutschland aus Grundlage der völ¬
ligen Gleichheit beider Staaten -- unterstütze. Dem Vernehmen nach wurde
von Oestreich die Gleichberechtigung der Protestanten und aufrichtiges Eingehn
auf eine neue Organisation des Staates zugesagt, in Betreff de.r preußischen
und deutschen Interessen Connivenz in Aussicht gestellt. Man darf bezweifeln,
daß etwas Weiteres abgemacht worden sei.

So reisten die Herrscher und ihre Minister aus Teplitz, beide Souveräne
hatten sich in fürstlicher Courtoisie fern von ihrem Hofe und von den Stim¬
mungen ihrer Völker einander genähert und sreundnachbarlich unter Bedingungen
gute Dienste zugesagt, die Empfindung des innern Gegensatzes war auf Tage
ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden, sie sind wieder auseinander
gereist, der eine nach Süden, der andre nach Norden.

Sicher war Kaiser Napoleon der erste, welcher einige Kunde von den
Verhandlungen zu Teplitz erhielt. So wenig auch ausgemacht war, grade in
der italienischen Frage lag für ihn eine feindliche Möglichkeit. Es galt jetzt
einen schnellen und entscheidenden Schritt zu thun, um England von der dro¬
henden Coalition fern zu halten, wo möglich die öffentliche Meinung mit sich
zu versöhnen. Wenn er nicht einen großen Krieg, einen Kampf bis ans Messer
führen wollte, so mußte auch er die Italiener sich selbst überlassen, die Minen, die
er dort gelegt hatte, für den Augenblick zuschulden und auf weitere Erwerbungen in
Italien vorläufig verzichten. Es ist unwahrscheinlich, was östreichische Cor-
respondenten verkündet haben, daß er mit Sardinien bereits seinen geheimen
Vertrag über Genua abgeschlossen habe; man thut ihm aber sicher nicht Un¬
recht, wenn man annimmt, daß er einen solchen für die erste Verlegenheit dieses
Staats in der Tasche bewahrte. Der Brief, welchen er an seinen Gesandten
in London schrieb, ist deshalb eines der interessantesten Actenstücke, ausnehmend


nischen Kriege sichtbar geworden, wenig Sympathie für die östreichischen In¬
teressen zeige; noch seien die Tage von Olmütz, die Haltung des östreichischen
Hofes nach dem Frieden von Villafranca unvergessen. Wenn Oestreich auf
deutsche Hilfe rechne, so habe es vor Allem die öffentliche Meinung in Deutsch¬
land mit sich zu versöhnen. Dies könne nur durch einen Wechsel des Systems
in Oestreich geschehn. Bevor deshalb Preußen irgendwelche Verpflichtungen
gegen Oestreich eingehen könne, müsse es erst unzweifelhafte und thatsächliche
Beweise haben, daß Oestreichs Regierung ihrerseits den Interessen der Deutschen
gerecht zu werden wisse. Solche zeitgemäße Forderungen seien zunächst Gleich¬
berechtigung der Protestanten in allen Kronländern, diese sollten dieselbe Stel¬
lung in Oestreich haben, wie die Katholiken in Preußen; serner eine Ausbil¬
dung der heimischen politischen Institutionen, welche geeignet wäre, das Band
zwischen der kaiserlichen Regierung und ihren Völkern zu befestigen; endlich
genügende Beweise dafür, daß Oestreich auch die preußischen Interessen bei
jeder Gelegenheit offen und loyal — in Deutschland aus Grundlage der völ¬
ligen Gleichheit beider Staaten — unterstütze. Dem Vernehmen nach wurde
von Oestreich die Gleichberechtigung der Protestanten und aufrichtiges Eingehn
auf eine neue Organisation des Staates zugesagt, in Betreff de.r preußischen
und deutschen Interessen Connivenz in Aussicht gestellt. Man darf bezweifeln,
daß etwas Weiteres abgemacht worden sei.

So reisten die Herrscher und ihre Minister aus Teplitz, beide Souveräne
hatten sich in fürstlicher Courtoisie fern von ihrem Hofe und von den Stim¬
mungen ihrer Völker einander genähert und sreundnachbarlich unter Bedingungen
gute Dienste zugesagt, die Empfindung des innern Gegensatzes war auf Tage
ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden, sie sind wieder auseinander
gereist, der eine nach Süden, der andre nach Norden.

Sicher war Kaiser Napoleon der erste, welcher einige Kunde von den
Verhandlungen zu Teplitz erhielt. So wenig auch ausgemacht war, grade in
der italienischen Frage lag für ihn eine feindliche Möglichkeit. Es galt jetzt
einen schnellen und entscheidenden Schritt zu thun, um England von der dro¬
henden Coalition fern zu halten, wo möglich die öffentliche Meinung mit sich
zu versöhnen. Wenn er nicht einen großen Krieg, einen Kampf bis ans Messer
führen wollte, so mußte auch er die Italiener sich selbst überlassen, die Minen, die
er dort gelegt hatte, für den Augenblick zuschulden und auf weitere Erwerbungen in
Italien vorläufig verzichten. Es ist unwahrscheinlich, was östreichische Cor-
respondenten verkündet haben, daß er mit Sardinien bereits seinen geheimen
Vertrag über Genua abgeschlossen habe; man thut ihm aber sicher nicht Un¬
recht, wenn man annimmt, daß er einen solchen für die erste Verlegenheit dieses
Staats in der Tasche bewahrte. Der Brief, welchen er an seinen Gesandten
in London schrieb, ist deshalb eines der interessantesten Actenstücke, ausnehmend


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[0336] nischen Kriege sichtbar geworden, wenig Sympathie für die östreichischen In¬ teressen zeige; noch seien die Tage von Olmütz, die Haltung des östreichischen Hofes nach dem Frieden von Villafranca unvergessen. Wenn Oestreich auf deutsche Hilfe rechne, so habe es vor Allem die öffentliche Meinung in Deutsch¬ land mit sich zu versöhnen. Dies könne nur durch einen Wechsel des Systems in Oestreich geschehn. Bevor deshalb Preußen irgendwelche Verpflichtungen gegen Oestreich eingehen könne, müsse es erst unzweifelhafte und thatsächliche Beweise haben, daß Oestreichs Regierung ihrerseits den Interessen der Deutschen gerecht zu werden wisse. Solche zeitgemäße Forderungen seien zunächst Gleich¬ berechtigung der Protestanten in allen Kronländern, diese sollten dieselbe Stel¬ lung in Oestreich haben, wie die Katholiken in Preußen; serner eine Ausbil¬ dung der heimischen politischen Institutionen, welche geeignet wäre, das Band zwischen der kaiserlichen Regierung und ihren Völkern zu befestigen; endlich genügende Beweise dafür, daß Oestreich auch die preußischen Interessen bei jeder Gelegenheit offen und loyal — in Deutschland aus Grundlage der völ¬ ligen Gleichheit beider Staaten — unterstütze. Dem Vernehmen nach wurde von Oestreich die Gleichberechtigung der Protestanten und aufrichtiges Eingehn auf eine neue Organisation des Staates zugesagt, in Betreff de.r preußischen und deutschen Interessen Connivenz in Aussicht gestellt. Man darf bezweifeln, daß etwas Weiteres abgemacht worden sei. So reisten die Herrscher und ihre Minister aus Teplitz, beide Souveräne hatten sich in fürstlicher Courtoisie fern von ihrem Hofe und von den Stim¬ mungen ihrer Völker einander genähert und sreundnachbarlich unter Bedingungen gute Dienste zugesagt, die Empfindung des innern Gegensatzes war auf Tage ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden, sie sind wieder auseinander gereist, der eine nach Süden, der andre nach Norden. Sicher war Kaiser Napoleon der erste, welcher einige Kunde von den Verhandlungen zu Teplitz erhielt. So wenig auch ausgemacht war, grade in der italienischen Frage lag für ihn eine feindliche Möglichkeit. Es galt jetzt einen schnellen und entscheidenden Schritt zu thun, um England von der dro¬ henden Coalition fern zu halten, wo möglich die öffentliche Meinung mit sich zu versöhnen. Wenn er nicht einen großen Krieg, einen Kampf bis ans Messer führen wollte, so mußte auch er die Italiener sich selbst überlassen, die Minen, die er dort gelegt hatte, für den Augenblick zuschulden und auf weitere Erwerbungen in Italien vorläufig verzichten. Es ist unwahrscheinlich, was östreichische Cor- respondenten verkündet haben, daß er mit Sardinien bereits seinen geheimen Vertrag über Genua abgeschlossen habe; man thut ihm aber sicher nicht Un¬ recht, wenn man annimmt, daß er einen solchen für die erste Verlegenheit dieses Staats in der Tasche bewahrte. Der Brief, welchen er an seinen Gesandten in London schrieb, ist deshalb eines der interessantesten Actenstücke, ausnehmend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/336>, abgerufen am 04.07.2024.