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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Salbung die makellose Ehrenhaftigkeit seines Lebens und seine deutsche Ge¬
sinnung kennen gelernt haben.

Nach dieser Bemerkung nehmen wir die in Ur. 29 dieses Blattes abge¬
brochene Uebersicht über die Ereignisse der letzten Wochen wieder auf. Schon
vor der Zusammenkunft in Baden war das gute Einvernehmen zwischen Nu߬
land und Frankreich arg gestört worden. Der südpolnische Adel hatte schon
vor dem italienischen Kriege seiner oppositionellen Gesinnung zuweilen mi߬
liebigen Ausdruck gegeben, bei der letzten Reise des Kaisers hatte er nach
polnischem Brauch wenigstens durch seine Frauen Fronde gemacht und dafür
die Ungnade des Herrschers empfunden. Die Erhebung in Italien und viel¬
leicht ebenso sehr die protestantische Bewegung in Ungarn brachten dort eine
Aufregung hervor, welche ernste Besorgnisse einflößte. Ohne Freude entdeckte
die russische Regierung auch in ihrem Lande die Maulwurfsgänge der fran¬
zösischen Politik. Wie den Italienern hatten französische Agenten auch den
Polen Versprechungen gemacht, wieder einmal flackerte dort das alte Vertrauen
aus französische Unterstützung aus. Nicht umsonst hatte Kaiser Napoleon mit
Ungarn und Polen coquettirt und die Devise der nationalen Unabhängigkeit
auf seinem Schilde gezeigt, wenn es ihm grade passend erschien. Jetzt traf
ihn die Rückwirkung. Es war für ihn auch in Nußland unmöglich mit der
Regierung fest zusammen zu gehn. Kaiser Alexander selbst hatte nicht ohne
Selbstüberwindung in das Zusammenwirken mit Frankreich gewilligt, am Hofe
von Petersburg hatte die französische Partei nicht ohne starke Opposition der
Gegner gearbeitet, welche die alten Traditionen der Allianz festhielten. Und
Napoleon der Dritte durfte sich nur den einen Trost geben, daß bei der gegen¬
wärtigen Schwäche Rußlands für ihn nicht viel verloren war, so lange Preu¬
ßen nicht zur Bundesgenossenschaft herangezogen werden konnte.

So reiste Napoleon von Baden wahrscheinlich ohne inneres Behagen.
Sein Versuch, dort eine. Wirkung auszuüben, war fehlgeschlagen, die Deutschen,
untereinander so uneinig, ihm gegenüber hatten sie allein von allen Na¬
tionen Europas eine abweisende Höflichkeit gezeigt, ja seine Anwesenheit hatte
dem Regenten von Preußen größere Popularität, der preußischen Politik Re¬
spect verschafft. Und hinter ihm her klangen aus der Anrede des Prinzen
an die Könige einige unbestimmte Worte, welche ihn das Schlimmste fürchten
ließen, ein Verständniß Preußens mit Oestreich, den Anfang einer Coalition,
welche England an sich zu ziehen drohte, dazu die kleineren Nachbarstaaten,
die alle durch seine Politik gekränkt, gegen ihn rüsteten. Vergeblich suchte er
sich wenigstens Spanien zu verbinden, indem er seinen Diplomaten Titel und
Lasten einer Großmacht ohne Kraft verschaffen wollte, Preußen antwortete
vortrefflich durch die Empfehlung Schwedens. Da fand er das Gemetzel in
Syrien als bequemes Mittel, die Aufmerksamkeit der Franzosen zu veschästi-


Salbung die makellose Ehrenhaftigkeit seines Lebens und seine deutsche Ge¬
sinnung kennen gelernt haben.

Nach dieser Bemerkung nehmen wir die in Ur. 29 dieses Blattes abge¬
brochene Uebersicht über die Ereignisse der letzten Wochen wieder auf. Schon
vor der Zusammenkunft in Baden war das gute Einvernehmen zwischen Nu߬
land und Frankreich arg gestört worden. Der südpolnische Adel hatte schon
vor dem italienischen Kriege seiner oppositionellen Gesinnung zuweilen mi߬
liebigen Ausdruck gegeben, bei der letzten Reise des Kaisers hatte er nach
polnischem Brauch wenigstens durch seine Frauen Fronde gemacht und dafür
die Ungnade des Herrschers empfunden. Die Erhebung in Italien und viel¬
leicht ebenso sehr die protestantische Bewegung in Ungarn brachten dort eine
Aufregung hervor, welche ernste Besorgnisse einflößte. Ohne Freude entdeckte
die russische Regierung auch in ihrem Lande die Maulwurfsgänge der fran¬
zösischen Politik. Wie den Italienern hatten französische Agenten auch den
Polen Versprechungen gemacht, wieder einmal flackerte dort das alte Vertrauen
aus französische Unterstützung aus. Nicht umsonst hatte Kaiser Napoleon mit
Ungarn und Polen coquettirt und die Devise der nationalen Unabhängigkeit
auf seinem Schilde gezeigt, wenn es ihm grade passend erschien. Jetzt traf
ihn die Rückwirkung. Es war für ihn auch in Nußland unmöglich mit der
Regierung fest zusammen zu gehn. Kaiser Alexander selbst hatte nicht ohne
Selbstüberwindung in das Zusammenwirken mit Frankreich gewilligt, am Hofe
von Petersburg hatte die französische Partei nicht ohne starke Opposition der
Gegner gearbeitet, welche die alten Traditionen der Allianz festhielten. Und
Napoleon der Dritte durfte sich nur den einen Trost geben, daß bei der gegen¬
wärtigen Schwäche Rußlands für ihn nicht viel verloren war, so lange Preu¬
ßen nicht zur Bundesgenossenschaft herangezogen werden konnte.

So reiste Napoleon von Baden wahrscheinlich ohne inneres Behagen.
Sein Versuch, dort eine. Wirkung auszuüben, war fehlgeschlagen, die Deutschen,
untereinander so uneinig, ihm gegenüber hatten sie allein von allen Na¬
tionen Europas eine abweisende Höflichkeit gezeigt, ja seine Anwesenheit hatte
dem Regenten von Preußen größere Popularität, der preußischen Politik Re¬
spect verschafft. Und hinter ihm her klangen aus der Anrede des Prinzen
an die Könige einige unbestimmte Worte, welche ihn das Schlimmste fürchten
ließen, ein Verständniß Preußens mit Oestreich, den Anfang einer Coalition,
welche England an sich zu ziehen drohte, dazu die kleineren Nachbarstaaten,
die alle durch seine Politik gekränkt, gegen ihn rüsteten. Vergeblich suchte er
sich wenigstens Spanien zu verbinden, indem er seinen Diplomaten Titel und
Lasten einer Großmacht ohne Kraft verschaffen wollte, Preußen antwortete
vortrefflich durch die Empfehlung Schwedens. Da fand er das Gemetzel in
Syrien als bequemes Mittel, die Aufmerksamkeit der Franzosen zu veschästi-


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[0334] Salbung die makellose Ehrenhaftigkeit seines Lebens und seine deutsche Ge¬ sinnung kennen gelernt haben. Nach dieser Bemerkung nehmen wir die in Ur. 29 dieses Blattes abge¬ brochene Uebersicht über die Ereignisse der letzten Wochen wieder auf. Schon vor der Zusammenkunft in Baden war das gute Einvernehmen zwischen Nu߬ land und Frankreich arg gestört worden. Der südpolnische Adel hatte schon vor dem italienischen Kriege seiner oppositionellen Gesinnung zuweilen mi߬ liebigen Ausdruck gegeben, bei der letzten Reise des Kaisers hatte er nach polnischem Brauch wenigstens durch seine Frauen Fronde gemacht und dafür die Ungnade des Herrschers empfunden. Die Erhebung in Italien und viel¬ leicht ebenso sehr die protestantische Bewegung in Ungarn brachten dort eine Aufregung hervor, welche ernste Besorgnisse einflößte. Ohne Freude entdeckte die russische Regierung auch in ihrem Lande die Maulwurfsgänge der fran¬ zösischen Politik. Wie den Italienern hatten französische Agenten auch den Polen Versprechungen gemacht, wieder einmal flackerte dort das alte Vertrauen aus französische Unterstützung aus. Nicht umsonst hatte Kaiser Napoleon mit Ungarn und Polen coquettirt und die Devise der nationalen Unabhängigkeit auf seinem Schilde gezeigt, wenn es ihm grade passend erschien. Jetzt traf ihn die Rückwirkung. Es war für ihn auch in Nußland unmöglich mit der Regierung fest zusammen zu gehn. Kaiser Alexander selbst hatte nicht ohne Selbstüberwindung in das Zusammenwirken mit Frankreich gewilligt, am Hofe von Petersburg hatte die französische Partei nicht ohne starke Opposition der Gegner gearbeitet, welche die alten Traditionen der Allianz festhielten. Und Napoleon der Dritte durfte sich nur den einen Trost geben, daß bei der gegen¬ wärtigen Schwäche Rußlands für ihn nicht viel verloren war, so lange Preu¬ ßen nicht zur Bundesgenossenschaft herangezogen werden konnte. So reiste Napoleon von Baden wahrscheinlich ohne inneres Behagen. Sein Versuch, dort eine. Wirkung auszuüben, war fehlgeschlagen, die Deutschen, untereinander so uneinig, ihm gegenüber hatten sie allein von allen Na¬ tionen Europas eine abweisende Höflichkeit gezeigt, ja seine Anwesenheit hatte dem Regenten von Preußen größere Popularität, der preußischen Politik Re¬ spect verschafft. Und hinter ihm her klangen aus der Anrede des Prinzen an die Könige einige unbestimmte Worte, welche ihn das Schlimmste fürchten ließen, ein Verständniß Preußens mit Oestreich, den Anfang einer Coalition, welche England an sich zu ziehen drohte, dazu die kleineren Nachbarstaaten, die alle durch seine Politik gekränkt, gegen ihn rüsteten. Vergeblich suchte er sich wenigstens Spanien zu verbinden, indem er seinen Diplomaten Titel und Lasten einer Großmacht ohne Kraft verschaffen wollte, Preußen antwortete vortrefflich durch die Empfehlung Schwedens. Da fand er das Gemetzel in Syrien als bequemes Mittel, die Aufmerksamkeit der Franzosen zu veschästi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/334>, abgerufen am 04.07.2024.