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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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nahm, freilich durch seine Schuld, durch die Schuld seiner Charakterschwäche,
sein Leben eine schlimme Wendung.

In Dresden wurde im Frühling 1719 "ein Mensch" gesucht, "der bei
allen Gelegenheiten und Lustbarkeiten des Hoff etwas in der Geschwindigkeit
aufzusetzen geschickt wäre." Besser, der Oberceremonienmeister, war alt
geworden; man wandte sich an Mencke. der in solchen Dingen Rath schaffen
mußte. Günther wurde eilig aufgefordert, ein Lobgedicht auf den König von
Polen zu verfertigen (S. 709) -- das wenig Talent verräth, die Stelle sittig
auszufüllen -- und im Anfang des Sommers nach Dresden geschickt, um sich
persönlich vorzustellen. Leider hatte er das Unglück, bei der Audienz schwer
betrunken zu sein und deshalb mit Schimpf und Schande entfernt zu werden.
Es heißt, daß eine Intrigue daran schuld war, er hatte sich mit seinen Satiren
viel Feinde gemacht, auch mochte König, Bessers Günstling, der noch dazu
von einer mächtigen Person, der Opernsängern, Jungfer Schwarz beschützt
wurde und gleich daraus das veredelte Amt eines Pritschcnmeisters erhielt --
römischer Heroldsrock statt der Schellenkappe -- den Concurrenten nicht gern sehn.

In dieser Zeit erfuhr er, daß seine Leonore Wittwe sei; die alte Liebe
regte sich wieder, und er reiste den 2. Sept. 1719 nach seiner Heimath ab.
Sein Vater, den er in Striegau zuerst aufsuchte, ließ ihn nicht vor, dagegen
fand er die alte Geliebte in der Nähe von Schwcidnitz wieder, und verlebte
mit ihr glückliche Stunden.

Er saßte jetzt ernsthafte Vorsätze, seinem Leben einen Halt zu verschaffen.
In der Absicht, das Studium der Medicin wieder aufzunehmen, kam er Mitte
October nach Breslau, wo er von einer Menge alter Universitätsfreunde freudig
empfangen und in die schwelgerischen Kreise des reichen schlesischen Adels auf¬
genommen wurde. Seine besondere Gönnerin war die "Sappho Schlesiens",
Frau Marianne v. Breßler. Die Medicin blieb bald wieder liegen, Herr v.
Breßler hatte einmal den Einfall, ihn bei einem Grafen Schafgotsch als In¬
formator unterzubringen, aber die dresdner Scene wiederholte sich, und selbst
Marianne sah sich, wenn auch mit Betrübniß, veranlaßt, den Dichter als un¬
bequem zu entfernen.

Von Breslau ging er Febr. 1720 nach Lauban, um dort ärztliche Praxis
zu treiben. Es wurde nichts daraus, er verfiel in Krankheit und schweres
Elend. In seiner Hoffnungslosigkeit schickte er Leonore einen Scheidebrief
(S. 322).


nahm, freilich durch seine Schuld, durch die Schuld seiner Charakterschwäche,
sein Leben eine schlimme Wendung.

In Dresden wurde im Frühling 1719 „ein Mensch" gesucht, „der bei
allen Gelegenheiten und Lustbarkeiten des Hoff etwas in der Geschwindigkeit
aufzusetzen geschickt wäre." Besser, der Oberceremonienmeister, war alt
geworden; man wandte sich an Mencke. der in solchen Dingen Rath schaffen
mußte. Günther wurde eilig aufgefordert, ein Lobgedicht auf den König von
Polen zu verfertigen (S. 709) — das wenig Talent verräth, die Stelle sittig
auszufüllen — und im Anfang des Sommers nach Dresden geschickt, um sich
persönlich vorzustellen. Leider hatte er das Unglück, bei der Audienz schwer
betrunken zu sein und deshalb mit Schimpf und Schande entfernt zu werden.
Es heißt, daß eine Intrigue daran schuld war, er hatte sich mit seinen Satiren
viel Feinde gemacht, auch mochte König, Bessers Günstling, der noch dazu
von einer mächtigen Person, der Opernsängern, Jungfer Schwarz beschützt
wurde und gleich daraus das veredelte Amt eines Pritschcnmeisters erhielt —
römischer Heroldsrock statt der Schellenkappe — den Concurrenten nicht gern sehn.

In dieser Zeit erfuhr er, daß seine Leonore Wittwe sei; die alte Liebe
regte sich wieder, und er reiste den 2. Sept. 1719 nach seiner Heimath ab.
Sein Vater, den er in Striegau zuerst aufsuchte, ließ ihn nicht vor, dagegen
fand er die alte Geliebte in der Nähe von Schwcidnitz wieder, und verlebte
mit ihr glückliche Stunden.

Er saßte jetzt ernsthafte Vorsätze, seinem Leben einen Halt zu verschaffen.
In der Absicht, das Studium der Medicin wieder aufzunehmen, kam er Mitte
October nach Breslau, wo er von einer Menge alter Universitätsfreunde freudig
empfangen und in die schwelgerischen Kreise des reichen schlesischen Adels auf¬
genommen wurde. Seine besondere Gönnerin war die „Sappho Schlesiens",
Frau Marianne v. Breßler. Die Medicin blieb bald wieder liegen, Herr v.
Breßler hatte einmal den Einfall, ihn bei einem Grafen Schafgotsch als In¬
formator unterzubringen, aber die dresdner Scene wiederholte sich, und selbst
Marianne sah sich, wenn auch mit Betrübniß, veranlaßt, den Dichter als un¬
bequem zu entfernen.

Von Breslau ging er Febr. 1720 nach Lauban, um dort ärztliche Praxis
zu treiben. Es wurde nichts daraus, er verfiel in Krankheit und schweres
Elend. In seiner Hoffnungslosigkeit schickte er Leonore einen Scheidebrief
(S. 322).


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/306>, abgerufen am 25.07.2024.