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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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fessor, davon lebte alle Welt. Und Günther hatte ansehnliche Clienten, seine
Arbeiten fanden Beifall, auf den Tod der Frau Confistorialräthin Löscher
machte er sogar vier lange Carmina: eins im Namen des ehrwürdigen Gatten,
eins für den Sohn u. s. w. -- Das Elend ist nur, daß grade Günther, ein
echter Dichter, sich durch diese unwürdige Beschäftigung (unwürdig im ästheti¬
schen Sinn) sein bestes Talent verkümmern mußte. Daß er außerdem zu sei¬
nem Privatvergnügen Satiren auf wirkliche oder vermeintliche Feinde machte,
ebenso geschwätzig, als jene Huldigungen, besserte die Sache nicht. -- Manate
hoffte, ihn durch einen großen Wurf aller Noth zu entheben. Ein liederlicher,
im Spiel ruinirter Cavalier, Hohendorff, (1- 1719) hatte 1705 durch ein Lob¬
gedicht auf den Prinzen Eugen sich die bescheidene Summe vou ungefähr
50.000 R. erworben; warum sollte es dem viel talentvolleren Günther nicht
auch gelingen? Der Friede von Passarowitz war geschlossen, Juli 1718, Mencke
munterte seinen Schützling auf, zur Feier dieser Begebenheit den Pegasus zu
besteigen. Günther vollzog seine Aufgabe. Mencke, mit dem Gedicht höchlich
zufrieden, schickte es nach Wien; aber es trug ihm blos Ruhm und eine kahle
Danksagung ein, während Pietsch durch eine ähnliche Arbeit die Professur
in Königsberg erwarb.

Ueber das Gedicht (S. 123) urtheilt Gervinus verhältnißmäßig sehr gün¬
stig. "Wenn man ästhetisch urtheilen sollte, so würde man aus allen Gün-
therschen Gedichten, von einigen geistlichen Oden und Studentenliedern ab¬
gesehn, nur diese Ode ausheben. Man würde in ihr anerkennen, daß man
darin eher unsern Bürger hört, als einen der ältern schlesischen Dichter, daß man
darin eine regsame Phantasie Schlachten entwerfen, und also eine poetische
Kraft thätig sieht, die so lange geschlummert hatte. Man würde auf die ein¬
zelnen Stellen hinweisen, wo diese Phantasie die Scenen des Kriegs und Frie¬
dens malt, so keck, daß sie allerdings alles was die Besser und König pin¬
selten, in tiefen Schatten stellt, so keck, daß man kaum die Ungleichheit spürt,
wenn in der einen Strophe die Flußnymphen den Frieden feiern und in der
andern Nachbar Hans von seinen Thaten schwadronirt. Allein diese guten
Eindrücke würde man auch wieder verwischt finden von den ungeheuern Lob¬
hudeleien auf Karl den Sechsten und Eugen, und das Ganze von vielen Un-
feinheiten und Roheiten häßlich unterbrochen, obwol es sogar für den Hof
berechnet war. Es wäre nur ein mäßiges Interesse, das man aus diesem
Gedicht an Günther nähme sGervinus meint, an Günthers Person^; formell
könnte man aber kein zweites von dieser Originalität hinzustellen."

Was die Lobhudeleien betrifft, so darf man nicht vergessen, daß Karl der
Sechste der unmittelbare Landesherr von Schlesien war, und daß Günther seine
Begeisterung für das Haus Oestreich durchweg, auch noch in den "letzten Ge¬
danken" ausspricht, daß sie ihm also anerzogen war. Die Roheiten würde


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fessor, davon lebte alle Welt. Und Günther hatte ansehnliche Clienten, seine
Arbeiten fanden Beifall, auf den Tod der Frau Confistorialräthin Löscher
machte er sogar vier lange Carmina: eins im Namen des ehrwürdigen Gatten,
eins für den Sohn u. s. w. — Das Elend ist nur, daß grade Günther, ein
echter Dichter, sich durch diese unwürdige Beschäftigung (unwürdig im ästheti¬
schen Sinn) sein bestes Talent verkümmern mußte. Daß er außerdem zu sei¬
nem Privatvergnügen Satiren auf wirkliche oder vermeintliche Feinde machte,
ebenso geschwätzig, als jene Huldigungen, besserte die Sache nicht. — Manate
hoffte, ihn durch einen großen Wurf aller Noth zu entheben. Ein liederlicher,
im Spiel ruinirter Cavalier, Hohendorff, (1- 1719) hatte 1705 durch ein Lob¬
gedicht auf den Prinzen Eugen sich die bescheidene Summe vou ungefähr
50.000 R. erworben; warum sollte es dem viel talentvolleren Günther nicht
auch gelingen? Der Friede von Passarowitz war geschlossen, Juli 1718, Mencke
munterte seinen Schützling auf, zur Feier dieser Begebenheit den Pegasus zu
besteigen. Günther vollzog seine Aufgabe. Mencke, mit dem Gedicht höchlich
zufrieden, schickte es nach Wien; aber es trug ihm blos Ruhm und eine kahle
Danksagung ein, während Pietsch durch eine ähnliche Arbeit die Professur
in Königsberg erwarb.

Ueber das Gedicht (S. 123) urtheilt Gervinus verhältnißmäßig sehr gün¬
stig. „Wenn man ästhetisch urtheilen sollte, so würde man aus allen Gün-
therschen Gedichten, von einigen geistlichen Oden und Studentenliedern ab¬
gesehn, nur diese Ode ausheben. Man würde in ihr anerkennen, daß man
darin eher unsern Bürger hört, als einen der ältern schlesischen Dichter, daß man
darin eine regsame Phantasie Schlachten entwerfen, und also eine poetische
Kraft thätig sieht, die so lange geschlummert hatte. Man würde auf die ein¬
zelnen Stellen hinweisen, wo diese Phantasie die Scenen des Kriegs und Frie¬
dens malt, so keck, daß sie allerdings alles was die Besser und König pin¬
selten, in tiefen Schatten stellt, so keck, daß man kaum die Ungleichheit spürt,
wenn in der einen Strophe die Flußnymphen den Frieden feiern und in der
andern Nachbar Hans von seinen Thaten schwadronirt. Allein diese guten
Eindrücke würde man auch wieder verwischt finden von den ungeheuern Lob¬
hudeleien auf Karl den Sechsten und Eugen, und das Ganze von vielen Un-
feinheiten und Roheiten häßlich unterbrochen, obwol es sogar für den Hof
berechnet war. Es wäre nur ein mäßiges Interesse, das man aus diesem
Gedicht an Günther nähme sGervinus meint, an Günthers Person^; formell
könnte man aber kein zweites von dieser Originalität hinzustellen."

Was die Lobhudeleien betrifft, so darf man nicht vergessen, daß Karl der
Sechste der unmittelbare Landesherr von Schlesien war, und daß Günther seine
Begeisterung für das Haus Oestreich durchweg, auch noch in den „letzten Ge¬
danken" ausspricht, daß sie ihm also anerzogen war. Die Roheiten würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/303>, abgerufen am 25.07.2024.