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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Unfällen die Sympathien einigermaßen wieder. Was sollte aus ihnen wer¬
den, wenn der Kaiser, welcher sich ihnen als stets drohender Popanz der Tür¬
ken so förderlich erwiesen, wirklich gedemüthigt wurde? Schon war die jerusa¬
lemer Kleriscy wegen ihrer Schätze besorgt und entschloß sich ein elendes,
dürftiges Leben zu führen, um nicht die Habsucht der Paschas zu reizen.
Diese letztern aber nöthigten sie, die Niederlagen der Russen durch feierliche
Tedeums für die Alliirten, und noch dazu gratis, zu verherrlichen. Kurz sie
sah sich in einer sehr unangenehmen Lage und freute sich nicht wenig, als
dnrch den Friedensschluß von 1856 ihre Schutzmacht gleichsam mit blauem
Auge nus dem bösen Handel hervortrat.

Freilich war das Rußland nach dem Kriege nicht mehr das ihnen von
früher her bekannte. Der alte Kaiser, der unbeugsame Autokrat, war todt,
seine Lieblingsschöpfung, die Armee, hatte den besten Theil ihres Ansehens
eingebüßt, und unwiderstehlich sah sich der Staat auf neue Bahnen getrieben,
"in die verlorene Weltstellung wieder zu gewinnen. Bis nach Jerusalem
machte sich dies bemerklich. An die Stelle der in dem Hafen von Sebastopol
versenkten Kriegsschiffe war bald eine zahlreiche Flotte vortrefflich gebauter und
reich ausgerüsteter Handelsdampfschiffe getreten, welche den russischen Verkehr
mit den Häfen des Mittelmeers, besonders denen der Levante, vermittelten.
Diese Schiffe führten dem gelobten Lande im Lause des Jahres 1857 eine
nie gesehene Anzahl von Pilgern und Pilgerinnen aller Stunde aus allen
Gegenden des russischen Reiches zu, und bald vernahm man auch, daß die
Wiederaussendung eines Vertreters der Petersburger Synode beim Patriarchat
zu Jerusalem im Werke sei. Der von dem Archimandriten Porphyrius be¬
gonnene Bau wurde nun rasch zu EZde geführt und glänzend eingerichtet, doch
kamen diese Vorbereitungen den armen Pilgern nicht zu Gute, welche in
elenden, kellerartigen Räumen untergebracht, während eines ungewohnt rauhen
Winters (1857/58) den Einflüssen des Klimas und der üblen Behandlung
massenhaft erlagen.

In Petersburg war inzwischen nicht blos die Synode, sondern das
ganze Publikum mehr als je mit Jerusalem beschäftigt. Nicht mehr um einen
einzelnen, in der heiligen Stadt anzusiedelnden Prälaten, um eine ganze
geistliche Mission mit einem Bischof an der Spitze handelte es sich. An
das Bisthum sollten sich großartige Stiftungen lehnen; in russischen Klöstern
und Hvspizien sollten die Pilger zu Jerusalem aufgenommen, in russischen
Spitälern während etwaiger Krankheiten verpflegt werden, in einer russischen
Kirche sollten sie ihre Erbauung finden. Um die für die besagten Zwecke be-
nöthigten Geldmittel zu beschafft", wurde unter den Auspicien des Großfürsten
Konstantin eine Collecte veranstaltet, welche in wenig Monaten die gewaltige
Summe von 400,000 Rubel Silber, in Zeit von einem Jahre anderthalb Millio-


Unfällen die Sympathien einigermaßen wieder. Was sollte aus ihnen wer¬
den, wenn der Kaiser, welcher sich ihnen als stets drohender Popanz der Tür¬
ken so förderlich erwiesen, wirklich gedemüthigt wurde? Schon war die jerusa¬
lemer Kleriscy wegen ihrer Schätze besorgt und entschloß sich ein elendes,
dürftiges Leben zu führen, um nicht die Habsucht der Paschas zu reizen.
Diese letztern aber nöthigten sie, die Niederlagen der Russen durch feierliche
Tedeums für die Alliirten, und noch dazu gratis, zu verherrlichen. Kurz sie
sah sich in einer sehr unangenehmen Lage und freute sich nicht wenig, als
dnrch den Friedensschluß von 1856 ihre Schutzmacht gleichsam mit blauem
Auge nus dem bösen Handel hervortrat.

Freilich war das Rußland nach dem Kriege nicht mehr das ihnen von
früher her bekannte. Der alte Kaiser, der unbeugsame Autokrat, war todt,
seine Lieblingsschöpfung, die Armee, hatte den besten Theil ihres Ansehens
eingebüßt, und unwiderstehlich sah sich der Staat auf neue Bahnen getrieben,
»in die verlorene Weltstellung wieder zu gewinnen. Bis nach Jerusalem
machte sich dies bemerklich. An die Stelle der in dem Hafen von Sebastopol
versenkten Kriegsschiffe war bald eine zahlreiche Flotte vortrefflich gebauter und
reich ausgerüsteter Handelsdampfschiffe getreten, welche den russischen Verkehr
mit den Häfen des Mittelmeers, besonders denen der Levante, vermittelten.
Diese Schiffe führten dem gelobten Lande im Lause des Jahres 1857 eine
nie gesehene Anzahl von Pilgern und Pilgerinnen aller Stunde aus allen
Gegenden des russischen Reiches zu, und bald vernahm man auch, daß die
Wiederaussendung eines Vertreters der Petersburger Synode beim Patriarchat
zu Jerusalem im Werke sei. Der von dem Archimandriten Porphyrius be¬
gonnene Bau wurde nun rasch zu EZde geführt und glänzend eingerichtet, doch
kamen diese Vorbereitungen den armen Pilgern nicht zu Gute, welche in
elenden, kellerartigen Räumen untergebracht, während eines ungewohnt rauhen
Winters (1857/58) den Einflüssen des Klimas und der üblen Behandlung
massenhaft erlagen.

In Petersburg war inzwischen nicht blos die Synode, sondern das
ganze Publikum mehr als je mit Jerusalem beschäftigt. Nicht mehr um einen
einzelnen, in der heiligen Stadt anzusiedelnden Prälaten, um eine ganze
geistliche Mission mit einem Bischof an der Spitze handelte es sich. An
das Bisthum sollten sich großartige Stiftungen lehnen; in russischen Klöstern
und Hvspizien sollten die Pilger zu Jerusalem aufgenommen, in russischen
Spitälern während etwaiger Krankheiten verpflegt werden, in einer russischen
Kirche sollten sie ihre Erbauung finden. Um die für die besagten Zwecke be-
nöthigten Geldmittel zu beschafft», wurde unter den Auspicien des Großfürsten
Konstantin eine Collecte veranstaltet, welche in wenig Monaten die gewaltige
Summe von 400,000 Rubel Silber, in Zeit von einem Jahre anderthalb Millio-


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[0262] Unfällen die Sympathien einigermaßen wieder. Was sollte aus ihnen wer¬ den, wenn der Kaiser, welcher sich ihnen als stets drohender Popanz der Tür¬ ken so förderlich erwiesen, wirklich gedemüthigt wurde? Schon war die jerusa¬ lemer Kleriscy wegen ihrer Schätze besorgt und entschloß sich ein elendes, dürftiges Leben zu führen, um nicht die Habsucht der Paschas zu reizen. Diese letztern aber nöthigten sie, die Niederlagen der Russen durch feierliche Tedeums für die Alliirten, und noch dazu gratis, zu verherrlichen. Kurz sie sah sich in einer sehr unangenehmen Lage und freute sich nicht wenig, als dnrch den Friedensschluß von 1856 ihre Schutzmacht gleichsam mit blauem Auge nus dem bösen Handel hervortrat. Freilich war das Rußland nach dem Kriege nicht mehr das ihnen von früher her bekannte. Der alte Kaiser, der unbeugsame Autokrat, war todt, seine Lieblingsschöpfung, die Armee, hatte den besten Theil ihres Ansehens eingebüßt, und unwiderstehlich sah sich der Staat auf neue Bahnen getrieben, »in die verlorene Weltstellung wieder zu gewinnen. Bis nach Jerusalem machte sich dies bemerklich. An die Stelle der in dem Hafen von Sebastopol versenkten Kriegsschiffe war bald eine zahlreiche Flotte vortrefflich gebauter und reich ausgerüsteter Handelsdampfschiffe getreten, welche den russischen Verkehr mit den Häfen des Mittelmeers, besonders denen der Levante, vermittelten. Diese Schiffe führten dem gelobten Lande im Lause des Jahres 1857 eine nie gesehene Anzahl von Pilgern und Pilgerinnen aller Stunde aus allen Gegenden des russischen Reiches zu, und bald vernahm man auch, daß die Wiederaussendung eines Vertreters der Petersburger Synode beim Patriarchat zu Jerusalem im Werke sei. Der von dem Archimandriten Porphyrius be¬ gonnene Bau wurde nun rasch zu EZde geführt und glänzend eingerichtet, doch kamen diese Vorbereitungen den armen Pilgern nicht zu Gute, welche in elenden, kellerartigen Räumen untergebracht, während eines ungewohnt rauhen Winters (1857/58) den Einflüssen des Klimas und der üblen Behandlung massenhaft erlagen. In Petersburg war inzwischen nicht blos die Synode, sondern das ganze Publikum mehr als je mit Jerusalem beschäftigt. Nicht mehr um einen einzelnen, in der heiligen Stadt anzusiedelnden Prälaten, um eine ganze geistliche Mission mit einem Bischof an der Spitze handelte es sich. An das Bisthum sollten sich großartige Stiftungen lehnen; in russischen Klöstern und Hvspizien sollten die Pilger zu Jerusalem aufgenommen, in russischen Spitälern während etwaiger Krankheiten verpflegt werden, in einer russischen Kirche sollten sie ihre Erbauung finden. Um die für die besagten Zwecke be- nöthigten Geldmittel zu beschafft», wurde unter den Auspicien des Großfürsten Konstantin eine Collecte veranstaltet, welche in wenig Monaten die gewaltige Summe von 400,000 Rubel Silber, in Zeit von einem Jahre anderthalb Millio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/262>, abgerufen am 25.07.2024.