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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Königs für die Christensache England genähert und riß allmälig auch Oestreich
mit sich fort. In Betreff Jerusalems war die Meinungsverschiedenheit beson¬
ders groß; während Preußen gleichzeitig mit den Westmächten, und Oestreich
nur wenige Jahre später, einen diplomatischen Agenten dahin geschickt hatte,
blieb Rußland dort noch anderthalb Decennien unvertreten und begnügte sich
die ihm mehr als jeder andern Macht wichtige Stadt von Beirut aus durch
seinen Generalconsul beobachten zu lassen. Wie das unerwartete Vorgehn
Preußens in den Absichten Friedrich Wilhelm des Vierten, so hatte auch
die auffallende Zurückhaltung Rußlands ihren nächsten Grund in dem
Willen des damals seine Geschicke mit energischer Hand leitenden Selbst¬
herrschers. Kaiser Nicolaus ließ sich in diesem Falle durch seine gründliche
Abneigung gegen Alles, was ihm nach berliner Romantik zu schmecken deuchte,
und vielleicht außerdem durch ein gewisses Vorgefühl bestimmen, daß die äußre
Hebung der heiligen Stadt dem guten Rufe der orthodoxen Kirche nicht zu
Gute kommen werde.

Dazu gesellte sich bald noch ein andrer Umstand, welcher das Petersburger
Cabinet in der durch die Antipathie des Kaisers vorgezeichneten Politik bestärkte.
Schon durch das beiruter Generalconsulat war Rußland dem gelobten Lande
zu nahe gerückt, um sich gegen gewisse Wahrnehmungen zu verschließen, welche
für ein herzliches Einvernehmen zwischen dem griechischen Klerus und einem
in Jerusalem zu errichtenden Consulat nicht von guter Vorbedeutung waren.
Die Behandlung der Pilger in den griechischen Klöstern war der Art, daß die
russische Schutzbehörde, wenn sie sich nicht von vorn herein der Ausübung
ihrer Pflichten begeben wollte, mit dem Patriarchat, dem Haupte jener Klöster,
in Zerwürfnisse gerathen mußte, was die russische Negierung vor allen Dingen
zu vermeiden wünschte. Besonders in die Augen springende Fälle habgieriger
Herzlosigkeit des griechischen Klerus heisesten freilich sofortige Abhilfe. Der¬
selbe hat wiederholt zum.Theil vou der religiösen Schwärmerei der Pilger
und zum Theil von ihrer unbedachten Trunksucht Vortheil ziehend, ihnen un¬
ter Versprechung paradiesischer Belohnung ihre sämmtlichen Neisemittel ab¬
gelockt und sie dann ganz hilflos in dem sprachfremden, unbekannten.Lande
zur Thüre hinaus gestoßen. Die russischerseits hingegen ergriffene Maßregel
bezeugt besonders deutlich die Rücksicht, welche das Petersburger Cabinet jener
unwürdigen Geistlichkeit zu Theil werden ließ. Man begnügte sich nämlich,
die Pilger bei Crtheilnng des Paßvisas in Konstantinopel zur Deponirung
des nöthigen Rückreisegeldes auf der kaiserlichen Gesandtschnftscanzlei anzuhal¬
ten, für den Rest ihrer Habe die orthodoxe Plünderet am heiligen Grabe still¬
schweigend gut beißend. Dieser und ähnliche Schritte zogen aber bald einen
weitern, wichtigern, der Synode zu Petersburg nach sich. Bei der griechischen
Geistlichkeit Jerusalems, welche ebenso wenig vom Russischen, wie der Mujik


Königs für die Christensache England genähert und riß allmälig auch Oestreich
mit sich fort. In Betreff Jerusalems war die Meinungsverschiedenheit beson¬
ders groß; während Preußen gleichzeitig mit den Westmächten, und Oestreich
nur wenige Jahre später, einen diplomatischen Agenten dahin geschickt hatte,
blieb Rußland dort noch anderthalb Decennien unvertreten und begnügte sich
die ihm mehr als jeder andern Macht wichtige Stadt von Beirut aus durch
seinen Generalconsul beobachten zu lassen. Wie das unerwartete Vorgehn
Preußens in den Absichten Friedrich Wilhelm des Vierten, so hatte auch
die auffallende Zurückhaltung Rußlands ihren nächsten Grund in dem
Willen des damals seine Geschicke mit energischer Hand leitenden Selbst¬
herrschers. Kaiser Nicolaus ließ sich in diesem Falle durch seine gründliche
Abneigung gegen Alles, was ihm nach berliner Romantik zu schmecken deuchte,
und vielleicht außerdem durch ein gewisses Vorgefühl bestimmen, daß die äußre
Hebung der heiligen Stadt dem guten Rufe der orthodoxen Kirche nicht zu
Gute kommen werde.

Dazu gesellte sich bald noch ein andrer Umstand, welcher das Petersburger
Cabinet in der durch die Antipathie des Kaisers vorgezeichneten Politik bestärkte.
Schon durch das beiruter Generalconsulat war Rußland dem gelobten Lande
zu nahe gerückt, um sich gegen gewisse Wahrnehmungen zu verschließen, welche
für ein herzliches Einvernehmen zwischen dem griechischen Klerus und einem
in Jerusalem zu errichtenden Consulat nicht von guter Vorbedeutung waren.
Die Behandlung der Pilger in den griechischen Klöstern war der Art, daß die
russische Schutzbehörde, wenn sie sich nicht von vorn herein der Ausübung
ihrer Pflichten begeben wollte, mit dem Patriarchat, dem Haupte jener Klöster,
in Zerwürfnisse gerathen mußte, was die russische Negierung vor allen Dingen
zu vermeiden wünschte. Besonders in die Augen springende Fälle habgieriger
Herzlosigkeit des griechischen Klerus heisesten freilich sofortige Abhilfe. Der¬
selbe hat wiederholt zum.Theil vou der religiösen Schwärmerei der Pilger
und zum Theil von ihrer unbedachten Trunksucht Vortheil ziehend, ihnen un¬
ter Versprechung paradiesischer Belohnung ihre sämmtlichen Neisemittel ab¬
gelockt und sie dann ganz hilflos in dem sprachfremden, unbekannten.Lande
zur Thüre hinaus gestoßen. Die russischerseits hingegen ergriffene Maßregel
bezeugt besonders deutlich die Rücksicht, welche das Petersburger Cabinet jener
unwürdigen Geistlichkeit zu Theil werden ließ. Man begnügte sich nämlich,
die Pilger bei Crtheilnng des Paßvisas in Konstantinopel zur Deponirung
des nöthigen Rückreisegeldes auf der kaiserlichen Gesandtschnftscanzlei anzuhal¬
ten, für den Rest ihrer Habe die orthodoxe Plünderet am heiligen Grabe still¬
schweigend gut beißend. Dieser und ähnliche Schritte zogen aber bald einen
weitern, wichtigern, der Synode zu Petersburg nach sich. Bei der griechischen
Geistlichkeit Jerusalems, welche ebenso wenig vom Russischen, wie der Mujik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/258>, abgerufen am 25.07.2024.