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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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in ein freundschaftliches Verhältniß zu ihm zu treten. Es verschaffte mir dies
den Vortheil noch öfter bei ihm vorsprechen und von dem bequemen Sitze auf
seiner Lndcnbank herab das Treiben der Straße betrachten zu können. Da
gabs täglich neue Scenen, die mich fesselten, welche ober hier zu beschreiben
zu weit führen würde. Unerwähnt darf ich nur nicht lassen, daß ich eines
Morgens auch den russischen Bischof auf seinem Wege nach der si. Grabes¬
kirche dort habe vorüberziehen sehn. Ich erinnere mich nicht, je einer anziehen¬
derer Erscheinung im Orient begegnet zu sein, als der dieses jugendlichen, fast
mädchenhaft schonen Prälaten, wie er mit auf die Schulter herabwallenden
Locken, in purpurfarbne Atlasgewänder gekleidet und mit den theils seiner
Würde, theils seiner Person zustehenden Decorationen in Gold, Email und
Edelsteinen geschmückt, würdevoll durch die vor Staunen verstummende, ehr¬
erbietig ausweichende Menge dahinschritt. An dem Privatleben dieses Mannes
hat die Klatschsucht der heiligen Stadt noch keinen Flecken gesunden. Wol
aber versichert man. daß schon mehr als eine russische Fürstin die überirdischen
Zwecke, welche sie nach Jerusalem führte, in seiner Gegenwart allmälig mit
sehr irdischen Gefühlen zusammenschüttete und nur deshalb ihren Aufenthalt
in Jerusalem weit über die ursprüngliche Absicht ausdehnte, um eines so schö¬
nen Hirten Schäflein zu sein.

Die Wallfahrten nach Palästina sind, wie man weiß, eine im russischen
Volksleben tief eingewurzelte religiöse Sitte. Trotz ihrer nationalen Bedeut¬
samkeit bekümmerte sich die russische Regierung bis in die neuesten Zeiten nur
wenig um sie, und man ließ es geschehen, daß der in seiner heimischen Tracht
im gelobten Lande ankommende Russe von den türkischen Behörden wie ein
Rajah behandelt und sogar gegen die Verträge zur Zahlung einer Pilger¬
abgabe angehalten wurde*). Ueberhaupt war Syrien bis zu seiner Eroberung
durch Mehemed Ali von Aegypten ein wenig bekanntes und in politischer
Beziehung kaum in Betracht kommendes Land. Ueber Gebühr aber trat es
in den Vordergrund, als nach der Vertreibung Ibrahim Paschas und Wieder¬
einsetzung des Sultans in seine Rechte die bei dem langen Weltfrieden vor
langer Weile vergehende Diplomatie, als einzige Quelle von Orden und Aus¬
zeichnungen, die Libanonfrage erfand, in deren Gefolge zunächst die Gencral-
consulate von Beirut und dann die Consulate von Jerusalem ins Leben ge¬
rufen wurden. Die besagte Frage verrückte einigermaßen die Parteistellung
der Großmächte; Nußland zeigte starken Widerwillen gegen allgemeine Ver¬
handlungen mit der Pforte zur Verbesserung der Lage der syrischen Christen;
das ihm so eng verbündete Preußen dagegen wurde durch das Interesse seines



') Erst nach dem letzten orientalischen Kriege i. I. 1857 ist diese Abgabe in mildester
Form beseitigt worden; man beließ sogar dem Hebebeamten das in seinem Besitze befindliche
widerrechtlich erhobene Geld. So nach competenten Quellen Hr. v, M... f.

in ein freundschaftliches Verhältniß zu ihm zu treten. Es verschaffte mir dies
den Vortheil noch öfter bei ihm vorsprechen und von dem bequemen Sitze auf
seiner Lndcnbank herab das Treiben der Straße betrachten zu können. Da
gabs täglich neue Scenen, die mich fesselten, welche ober hier zu beschreiben
zu weit führen würde. Unerwähnt darf ich nur nicht lassen, daß ich eines
Morgens auch den russischen Bischof auf seinem Wege nach der si. Grabes¬
kirche dort habe vorüberziehen sehn. Ich erinnere mich nicht, je einer anziehen¬
derer Erscheinung im Orient begegnet zu sein, als der dieses jugendlichen, fast
mädchenhaft schonen Prälaten, wie er mit auf die Schulter herabwallenden
Locken, in purpurfarbne Atlasgewänder gekleidet und mit den theils seiner
Würde, theils seiner Person zustehenden Decorationen in Gold, Email und
Edelsteinen geschmückt, würdevoll durch die vor Staunen verstummende, ehr¬
erbietig ausweichende Menge dahinschritt. An dem Privatleben dieses Mannes
hat die Klatschsucht der heiligen Stadt noch keinen Flecken gesunden. Wol
aber versichert man. daß schon mehr als eine russische Fürstin die überirdischen
Zwecke, welche sie nach Jerusalem führte, in seiner Gegenwart allmälig mit
sehr irdischen Gefühlen zusammenschüttete und nur deshalb ihren Aufenthalt
in Jerusalem weit über die ursprüngliche Absicht ausdehnte, um eines so schö¬
nen Hirten Schäflein zu sein.

Die Wallfahrten nach Palästina sind, wie man weiß, eine im russischen
Volksleben tief eingewurzelte religiöse Sitte. Trotz ihrer nationalen Bedeut¬
samkeit bekümmerte sich die russische Regierung bis in die neuesten Zeiten nur
wenig um sie, und man ließ es geschehen, daß der in seiner heimischen Tracht
im gelobten Lande ankommende Russe von den türkischen Behörden wie ein
Rajah behandelt und sogar gegen die Verträge zur Zahlung einer Pilger¬
abgabe angehalten wurde*). Ueberhaupt war Syrien bis zu seiner Eroberung
durch Mehemed Ali von Aegypten ein wenig bekanntes und in politischer
Beziehung kaum in Betracht kommendes Land. Ueber Gebühr aber trat es
in den Vordergrund, als nach der Vertreibung Ibrahim Paschas und Wieder¬
einsetzung des Sultans in seine Rechte die bei dem langen Weltfrieden vor
langer Weile vergehende Diplomatie, als einzige Quelle von Orden und Aus¬
zeichnungen, die Libanonfrage erfand, in deren Gefolge zunächst die Gencral-
consulate von Beirut und dann die Consulate von Jerusalem ins Leben ge¬
rufen wurden. Die besagte Frage verrückte einigermaßen die Parteistellung
der Großmächte; Nußland zeigte starken Widerwillen gegen allgemeine Ver¬
handlungen mit der Pforte zur Verbesserung der Lage der syrischen Christen;
das ihm so eng verbündete Preußen dagegen wurde durch das Interesse seines



') Erst nach dem letzten orientalischen Kriege i. I. 1857 ist diese Abgabe in mildester
Form beseitigt worden; man beließ sogar dem Hebebeamten das in seinem Besitze befindliche
widerrechtlich erhobene Geld. So nach competenten Quellen Hr. v, M... f.
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[0257] in ein freundschaftliches Verhältniß zu ihm zu treten. Es verschaffte mir dies den Vortheil noch öfter bei ihm vorsprechen und von dem bequemen Sitze auf seiner Lndcnbank herab das Treiben der Straße betrachten zu können. Da gabs täglich neue Scenen, die mich fesselten, welche ober hier zu beschreiben zu weit führen würde. Unerwähnt darf ich nur nicht lassen, daß ich eines Morgens auch den russischen Bischof auf seinem Wege nach der si. Grabes¬ kirche dort habe vorüberziehen sehn. Ich erinnere mich nicht, je einer anziehen¬ derer Erscheinung im Orient begegnet zu sein, als der dieses jugendlichen, fast mädchenhaft schonen Prälaten, wie er mit auf die Schulter herabwallenden Locken, in purpurfarbne Atlasgewänder gekleidet und mit den theils seiner Würde, theils seiner Person zustehenden Decorationen in Gold, Email und Edelsteinen geschmückt, würdevoll durch die vor Staunen verstummende, ehr¬ erbietig ausweichende Menge dahinschritt. An dem Privatleben dieses Mannes hat die Klatschsucht der heiligen Stadt noch keinen Flecken gesunden. Wol aber versichert man. daß schon mehr als eine russische Fürstin die überirdischen Zwecke, welche sie nach Jerusalem führte, in seiner Gegenwart allmälig mit sehr irdischen Gefühlen zusammenschüttete und nur deshalb ihren Aufenthalt in Jerusalem weit über die ursprüngliche Absicht ausdehnte, um eines so schö¬ nen Hirten Schäflein zu sein. Die Wallfahrten nach Palästina sind, wie man weiß, eine im russischen Volksleben tief eingewurzelte religiöse Sitte. Trotz ihrer nationalen Bedeut¬ samkeit bekümmerte sich die russische Regierung bis in die neuesten Zeiten nur wenig um sie, und man ließ es geschehen, daß der in seiner heimischen Tracht im gelobten Lande ankommende Russe von den türkischen Behörden wie ein Rajah behandelt und sogar gegen die Verträge zur Zahlung einer Pilger¬ abgabe angehalten wurde*). Ueberhaupt war Syrien bis zu seiner Eroberung durch Mehemed Ali von Aegypten ein wenig bekanntes und in politischer Beziehung kaum in Betracht kommendes Land. Ueber Gebühr aber trat es in den Vordergrund, als nach der Vertreibung Ibrahim Paschas und Wieder¬ einsetzung des Sultans in seine Rechte die bei dem langen Weltfrieden vor langer Weile vergehende Diplomatie, als einzige Quelle von Orden und Aus¬ zeichnungen, die Libanonfrage erfand, in deren Gefolge zunächst die Gencral- consulate von Beirut und dann die Consulate von Jerusalem ins Leben ge¬ rufen wurden. Die besagte Frage verrückte einigermaßen die Parteistellung der Großmächte; Nußland zeigte starken Widerwillen gegen allgemeine Ver¬ handlungen mit der Pforte zur Verbesserung der Lage der syrischen Christen; das ihm so eng verbündete Preußen dagegen wurde durch das Interesse seines ') Erst nach dem letzten orientalischen Kriege i. I. 1857 ist diese Abgabe in mildester Form beseitigt worden; man beließ sogar dem Hebebeamten das in seinem Besitze befindliche widerrechtlich erhobene Geld. So nach competenten Quellen Hr. v, M... f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/257>, abgerufen am 25.07.2024.