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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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lischen Tracht, von langbärtigen Syriern aus Mesopotamien, von Kopten, das
bräunliche Faunangesicht mit blauem Turban geziert, von Abyssiniern, unsern
sich in weihet Kleidung so wohl ausnehmenden schwarzen Glaubcnsbrüdern,
endlich den auf das verschiedenste cvstümirten, mit bald größerer, bald ge¬
ringerer Sorgfalt verschleierten Weibern aller dieser Völker, bewegten sich also in
nicht geringer Anzahl die russischen Bauern mit ihren fahlen Gesichtern und ihren
vernachlässigten, fahlen Bärten in langem Kciftan, leinenen, von den unsaubern
Hemdschößen überhangenen Beinkleidern, schmieriger Pelzmütze und hohen,
groben Wadenstieseln, kurz in dem ganzen, zwar unreinlichen, aber doch Wohl"
habenden bezeugenden Aufzuge ihrer Heimat.

Wenn vor einem Bilde wie das sich hier aufrollende, das Auge ungefäl¬
lige blieb, so war der geistige Hunger, den es erweckte, noch viel schwerer zu
befriedigen.

Wie gern wäre ich an sie herangetreten, an den koptischen Aegypter, den
maronitischen Phönicier, den nestorianischen Assyrier, den armenischen Ka-
padokier, um sie nach dem eigenthümlichen Leben ihrer Heimatländer zu be¬
fragen, auch auf die Gefahr hin, nichts aus ihnen herauszulocken, als daß da
Lust und Wasser gut sei, und das Brod so und so viel Pfennige koste. Leute,
auf denen der Fluch des babylonischen Thurmbaues weniger als auf mir lastet,
versicherten mir, daß das irdische Interesse dieser Jerusalemsfahrer in der Regel
nicht über"ihre leibliche Nahrung hinausreiche, und daß dieselben außer dem
Marktpreise der durchpilgerten Länder einem sich etwa an sie wendenden For¬
scher keine Aufschlüsse zu bieten vermögen. Die große Mehrzahl der Russen
dürfte in dieser Beziehung nicht höher stehn; doch konnte ich nicht umhin,
mich mit ihnen, den Söhnen unsres Erdtheils, in so fremdartiger.Umgebung
gleichsam näher verwandt zu fühlen, und ich hätte unendlich viel mehr Fragen
an sie, als an die Asiaten und Afrikaner richten mögen. Wie verließen sie
ihr schneeumwehtcs Heimathdorf? wie verschafften sie sich die Mittel zu der
weiten Reise in den Süden? welchen Begriff hatten sie von letzterer; wie be¬
reiteten sie sich zu der Wallfahrt vor, und wie hoffen sie damit ihr Seelenheil
zu fördern, diese Männer, welche, nach ihrem Aussehn zu urtheilen, heut früh
länger in der griechischen Kneipe als in der Kirche gewesen sind, diese unschö¬
nen Weiber, welche, was ihnen an Reiz abgeht, durch Frechheit des Blicks
ersetzen zu wollen scheinen? u. s. w.

Uns gegenüber, doch in einiger Entfernung, hatte ein russischer Theesieder
seine Wirthschaft ausgeschlagen, auf welche sich uns bisweilen, wenn die vorüber¬
ziehenden Haufen dünner wurden, eine Aussicht eröffnete. Sie schien sich der
besten landsmännischen Kundschaft zu erfreuen. Der Thee ist ja gleichsam ein
Nationalgetränk der Russen, und dasselbe wurde hier von einem bärtigen Mu-
jik in dem heimatlichen Geschirr, dem Samowar, bereitet, also gewiß durchaus


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lischen Tracht, von langbärtigen Syriern aus Mesopotamien, von Kopten, das
bräunliche Faunangesicht mit blauem Turban geziert, von Abyssiniern, unsern
sich in weihet Kleidung so wohl ausnehmenden schwarzen Glaubcnsbrüdern,
endlich den auf das verschiedenste cvstümirten, mit bald größerer, bald ge¬
ringerer Sorgfalt verschleierten Weibern aller dieser Völker, bewegten sich also in
nicht geringer Anzahl die russischen Bauern mit ihren fahlen Gesichtern und ihren
vernachlässigten, fahlen Bärten in langem Kciftan, leinenen, von den unsaubern
Hemdschößen überhangenen Beinkleidern, schmieriger Pelzmütze und hohen,
groben Wadenstieseln, kurz in dem ganzen, zwar unreinlichen, aber doch Wohl»
habenden bezeugenden Aufzuge ihrer Heimat.

Wenn vor einem Bilde wie das sich hier aufrollende, das Auge ungefäl¬
lige blieb, so war der geistige Hunger, den es erweckte, noch viel schwerer zu
befriedigen.

Wie gern wäre ich an sie herangetreten, an den koptischen Aegypter, den
maronitischen Phönicier, den nestorianischen Assyrier, den armenischen Ka-
padokier, um sie nach dem eigenthümlichen Leben ihrer Heimatländer zu be¬
fragen, auch auf die Gefahr hin, nichts aus ihnen herauszulocken, als daß da
Lust und Wasser gut sei, und das Brod so und so viel Pfennige koste. Leute,
auf denen der Fluch des babylonischen Thurmbaues weniger als auf mir lastet,
versicherten mir, daß das irdische Interesse dieser Jerusalemsfahrer in der Regel
nicht über«ihre leibliche Nahrung hinausreiche, und daß dieselben außer dem
Marktpreise der durchpilgerten Länder einem sich etwa an sie wendenden For¬
scher keine Aufschlüsse zu bieten vermögen. Die große Mehrzahl der Russen
dürfte in dieser Beziehung nicht höher stehn; doch konnte ich nicht umhin,
mich mit ihnen, den Söhnen unsres Erdtheils, in so fremdartiger.Umgebung
gleichsam näher verwandt zu fühlen, und ich hätte unendlich viel mehr Fragen
an sie, als an die Asiaten und Afrikaner richten mögen. Wie verließen sie
ihr schneeumwehtcs Heimathdorf? wie verschafften sie sich die Mittel zu der
weiten Reise in den Süden? welchen Begriff hatten sie von letzterer; wie be¬
reiteten sie sich zu der Wallfahrt vor, und wie hoffen sie damit ihr Seelenheil
zu fördern, diese Männer, welche, nach ihrem Aussehn zu urtheilen, heut früh
länger in der griechischen Kneipe als in der Kirche gewesen sind, diese unschö¬
nen Weiber, welche, was ihnen an Reiz abgeht, durch Frechheit des Blicks
ersetzen zu wollen scheinen? u. s. w.

Uns gegenüber, doch in einiger Entfernung, hatte ein russischer Theesieder
seine Wirthschaft ausgeschlagen, auf welche sich uns bisweilen, wenn die vorüber¬
ziehenden Haufen dünner wurden, eine Aussicht eröffnete. Sie schien sich der
besten landsmännischen Kundschaft zu erfreuen. Der Thee ist ja gleichsam ein
Nationalgetränk der Russen, und dasselbe wurde hier von einem bärtigen Mu-
jik in dem heimatlichen Geschirr, dem Samowar, bereitet, also gewiß durchaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/255>, abgerufen am 24.07.2024.