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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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Die Bauern erwiderten auf dieses mongolische Glaubensbekenntnis ungefähr
das. was sie dem Gendarmerieoberst geantwortet hatten und baten schließlich
nochmals, ihnen gleich den Juden und Lutheranern die freie Ausübung ihrer
Religion zu gestatten. Daraus gingen die Beamten, welche Se. umgaben, auf
sie zu und sagten: "Huldige dem Czaren in der Person seines Senators,
kniet nieder vor ihm und küßt ihm die Hand." Die Mehrzahl der Bauern
that dies, und Se. gab ihnen mit feierlicher Miene seinen Segen, worauf
alle die, welche sich zu dieser schmachvollen Ceremonie herbeigelassen, für An¬
gehörige der rechtgläubigen Kirche erklärt und als solche betrachtet wurden,
welche aus freiem Willen übergetreten wären. Der Senator ging weg, aber
die Ortspolizei blieb und zählte denen, welche hartnäckig geblieben, eine An¬
zahl Stockprügel auf.

Einer der Punkte, in denen die russische Regierung am wenigsten conse-
quent verfährt und wo ihre Inconsequenz die schwersten Folgen für den Staat
nach sich ziehen kann, liegt in ihrem Verhalten gegen die zahlreichen Sekten
der morgenländischen Kirche. Ueber diese Sekten müssen wir ausführ¬
licher als der Verfasser unsrer Schrift berichten, da sie in Deutschland weit
weniger bekannt sind, als sie nach ihrer Bedeutung für Rußlands Gegenwart
und Zukunft zu sein verdienen/)

Den ersten Grund zur Entstehung der russischen Sekten gab der Patriarch
nitor zu Moskau, der um das Jahr 1642 eine Revision und Abänderung
der nach seiner Meinung entstellten russischen Bibelübersetzung und der Meß-
und Gebetbücher der morgenländischen Kirche veranstaltete. Obschon er die
Dogmen unangetastet ließ, wollten doch viele Geistliche und Laien von seinen
Neuerungen nichts wissen, und es bildeten sich Parteien, die sich mit äußerstem
Haß befehdeten. Diese Kämpfe endigten vorläufig mit dem großen moskauer
Concil von 1667, welches Nikons Aenderungen guthieß und die Altgläubigen
(Starowerzi, Raskolniken, von Raskol, Schisma) für Ketzer erklärte.
Zwei große Empörungen der Schismatiker wurden mit Mühe niedergeworfen.
Die eine in dem altberühmten reichen Ssowolttzkischen Kloster aus der gleich¬
namigen Insel an der Mündung des Onegaslusses ins weiße Meer dauerte,
von dem Protopopen Awwcckum angestiftet, von 1668 bis 1675 und endigte
nach wiederholten Niederlagen der Regierungstruppcn mit massenhaften Hin¬
richtungen von Raskolniken. Die andere, von dem fanatischen Popen nitida
Pnstoswjät geführt, brachte, 1682 in Moskau zum Ausbruch kommend, selbst
den Thron auf einige Tage in Gefahr und wurde nur dadurch beschwichtigt,
daß die Czarin Sophia, als nichts mehr verfangen wollte, die auf Seiten des



Bgl. Geschichte des russischen Schisma von Makarius, Bischof von Tamlww und Schatz!,
Se. Petersburg 1859, und die ausführlichen Auszüge aus diesem Werke in der "Baltischen
Monatsschrift" 2. und 3. Heft. Riga, 18S9.

Die Bauern erwiderten auf dieses mongolische Glaubensbekenntnis ungefähr
das. was sie dem Gendarmerieoberst geantwortet hatten und baten schließlich
nochmals, ihnen gleich den Juden und Lutheranern die freie Ausübung ihrer
Religion zu gestatten. Daraus gingen die Beamten, welche Se. umgaben, auf
sie zu und sagten: „Huldige dem Czaren in der Person seines Senators,
kniet nieder vor ihm und küßt ihm die Hand." Die Mehrzahl der Bauern
that dies, und Se. gab ihnen mit feierlicher Miene seinen Segen, worauf
alle die, welche sich zu dieser schmachvollen Ceremonie herbeigelassen, für An¬
gehörige der rechtgläubigen Kirche erklärt und als solche betrachtet wurden,
welche aus freiem Willen übergetreten wären. Der Senator ging weg, aber
die Ortspolizei blieb und zählte denen, welche hartnäckig geblieben, eine An¬
zahl Stockprügel auf.

Einer der Punkte, in denen die russische Regierung am wenigsten conse-
quent verfährt und wo ihre Inconsequenz die schwersten Folgen für den Staat
nach sich ziehen kann, liegt in ihrem Verhalten gegen die zahlreichen Sekten
der morgenländischen Kirche. Ueber diese Sekten müssen wir ausführ¬
licher als der Verfasser unsrer Schrift berichten, da sie in Deutschland weit
weniger bekannt sind, als sie nach ihrer Bedeutung für Rußlands Gegenwart
und Zukunft zu sein verdienen/)

Den ersten Grund zur Entstehung der russischen Sekten gab der Patriarch
nitor zu Moskau, der um das Jahr 1642 eine Revision und Abänderung
der nach seiner Meinung entstellten russischen Bibelübersetzung und der Meß-
und Gebetbücher der morgenländischen Kirche veranstaltete. Obschon er die
Dogmen unangetastet ließ, wollten doch viele Geistliche und Laien von seinen
Neuerungen nichts wissen, und es bildeten sich Parteien, die sich mit äußerstem
Haß befehdeten. Diese Kämpfe endigten vorläufig mit dem großen moskauer
Concil von 1667, welches Nikons Aenderungen guthieß und die Altgläubigen
(Starowerzi, Raskolniken, von Raskol, Schisma) für Ketzer erklärte.
Zwei große Empörungen der Schismatiker wurden mit Mühe niedergeworfen.
Die eine in dem altberühmten reichen Ssowolttzkischen Kloster aus der gleich¬
namigen Insel an der Mündung des Onegaslusses ins weiße Meer dauerte,
von dem Protopopen Awwcckum angestiftet, von 1668 bis 1675 und endigte
nach wiederholten Niederlagen der Regierungstruppcn mit massenhaften Hin¬
richtungen von Raskolniken. Die andere, von dem fanatischen Popen nitida
Pnstoswjät geführt, brachte, 1682 in Moskau zum Ausbruch kommend, selbst
den Thron auf einige Tage in Gefahr und wurde nur dadurch beschwichtigt,
daß die Czarin Sophia, als nichts mehr verfangen wollte, die auf Seiten des



Bgl. Geschichte des russischen Schisma von Makarius, Bischof von Tamlww und Schatz!,
Se. Petersburg 1859, und die ausführlichen Auszüge aus diesem Werke in der „Baltischen
Monatsschrift" 2. und 3. Heft. Riga, 18S9.
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[0216] Die Bauern erwiderten auf dieses mongolische Glaubensbekenntnis ungefähr das. was sie dem Gendarmerieoberst geantwortet hatten und baten schließlich nochmals, ihnen gleich den Juden und Lutheranern die freie Ausübung ihrer Religion zu gestatten. Daraus gingen die Beamten, welche Se. umgaben, auf sie zu und sagten: „Huldige dem Czaren in der Person seines Senators, kniet nieder vor ihm und küßt ihm die Hand." Die Mehrzahl der Bauern that dies, und Se. gab ihnen mit feierlicher Miene seinen Segen, worauf alle die, welche sich zu dieser schmachvollen Ceremonie herbeigelassen, für An¬ gehörige der rechtgläubigen Kirche erklärt und als solche betrachtet wurden, welche aus freiem Willen übergetreten wären. Der Senator ging weg, aber die Ortspolizei blieb und zählte denen, welche hartnäckig geblieben, eine An¬ zahl Stockprügel auf. Einer der Punkte, in denen die russische Regierung am wenigsten conse- quent verfährt und wo ihre Inconsequenz die schwersten Folgen für den Staat nach sich ziehen kann, liegt in ihrem Verhalten gegen die zahlreichen Sekten der morgenländischen Kirche. Ueber diese Sekten müssen wir ausführ¬ licher als der Verfasser unsrer Schrift berichten, da sie in Deutschland weit weniger bekannt sind, als sie nach ihrer Bedeutung für Rußlands Gegenwart und Zukunft zu sein verdienen/) Den ersten Grund zur Entstehung der russischen Sekten gab der Patriarch nitor zu Moskau, der um das Jahr 1642 eine Revision und Abänderung der nach seiner Meinung entstellten russischen Bibelübersetzung und der Meß- und Gebetbücher der morgenländischen Kirche veranstaltete. Obschon er die Dogmen unangetastet ließ, wollten doch viele Geistliche und Laien von seinen Neuerungen nichts wissen, und es bildeten sich Parteien, die sich mit äußerstem Haß befehdeten. Diese Kämpfe endigten vorläufig mit dem großen moskauer Concil von 1667, welches Nikons Aenderungen guthieß und die Altgläubigen (Starowerzi, Raskolniken, von Raskol, Schisma) für Ketzer erklärte. Zwei große Empörungen der Schismatiker wurden mit Mühe niedergeworfen. Die eine in dem altberühmten reichen Ssowolttzkischen Kloster aus der gleich¬ namigen Insel an der Mündung des Onegaslusses ins weiße Meer dauerte, von dem Protopopen Awwcckum angestiftet, von 1668 bis 1675 und endigte nach wiederholten Niederlagen der Regierungstruppcn mit massenhaften Hin¬ richtungen von Raskolniken. Die andere, von dem fanatischen Popen nitida Pnstoswjät geführt, brachte, 1682 in Moskau zum Ausbruch kommend, selbst den Thron auf einige Tage in Gefahr und wurde nur dadurch beschwichtigt, daß die Czarin Sophia, als nichts mehr verfangen wollte, die auf Seiten des Bgl. Geschichte des russischen Schisma von Makarius, Bischof von Tamlww und Schatz!, Se. Petersburg 1859, und die ausführlichen Auszüge aus diesem Werke in der „Baltischen Monatsschrift" 2. und 3. Heft. Riga, 18S9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/216>, abgerufen am 24.07.2024.