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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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hätte und täglich genösse, unterschieden sei? Man konnte oder wollte mich aber
nicht bedeuten, sondern es hieß nur, es ließe sich nicht beschreiben, ich sollte
dann" bitten; wer es hätte, der wüßte allein, was es wäre. Ich folgte auch
darin, und sagte Jesu kindlich und oft: man sagte nur. ich hätte sein Blut
noch nicht an meinem Herzen erfahren; wenn nun das so sei, so möchte er
es mich aus Gnaden erfahren lassen, wenn und wie er wollte. Sollte es
auch nur eine Specialgnade für Ebersdorf oder für gewisse Zeiten oder Gat¬
tungen Seelen sein, so möchte er mich doch auch nicht leer ausgehn lassen,
da ich nun einmal in Ebersdorf, in dieser Zeit und unter diesen Seelen sei.
Ich habe aber niemalen darauf etwas anders empfunden.

Uebrigens liefen gleich Anfangs allerlei bedenkliche Dinge mit unter,
welche als Schlacken hätten können angesehn und von dem edlen geschieden
werden: allein da H. Sleinhofcr diese Dinge theils billigte, theils entschuldigte,
und das kindisch sein für etwas Kindern Gottes nicht unanständiges angab,
wurden vollends theils öffentlich theils sonst die leichtsinnigsten Ausschweif¬
ungen daraus, deren man sich zwar nachmals selbst schämte, damals aber
alle Vorstellungen dagegen verwarf. Die meist aus jungen unerfahrnen
und hitzigen Gemüthern beiderlei Geschlechts bestehende Zinzendorfsche Partei
behielt nun in den Conferenzen die Oberhand, und es ging mit Macht auf
eine gänzliche Bereinigung mit den Brüdergemeinden los. . . Man fing an,
die sämmtlichen ehelichen und ledigen Personen weiblichen Geschlechts theils
in Güte dahin zu bringen, theils mit Zwang und bei einer Art des Bannes
zu nöthigen, sich der sogenannten Gemeinhauben und Stirnbands zu bedienen,
was ich meinen Kindern durchaus nicht gestattete. Ich dutzte auch Niemanden
-- nicht aus Hochmuth. -- Ferner wurden nun an den sogenannten Gemein¬
tagen die Berichte aus den herrnhutischen Gemeinden und Misstonen verlesen,
und dadurch junge und hitzige Leute in eine große Begierde gebracht, zu
pilgern, d. h, sich zu den Zinzendorf'schen Gemeinden zu begeben, oder zum
Verschicken und zur Arbeit an andre, auch den Heiden, gebrauchen zu lassen.
Die Reisen nach Mairenborn und Herrnhut singen wirtlich an; man baute
ein Geineinhaus, man erwartete aus den Zinzenvorsschen Gemeinden Pfle¬
ger und Pflegerinnen für alle Chöre.

Unter diesen Umständen besprach ich mich mit dem theuern Knecht Gottes
dem Abt Steinmetz in Wernigerode: da wir denn in der ganzen Sache voll¬
kommen einig waren. Ich erklärte bei meiner Zurückkunft den Vorstehern, daß ich
zwar insofern, als man angäbe, daß es eine evangelisch-lutherische Gemeinde sei,
darin bleiben wolle; insofern es aber eine Brüdergemeinde sein sollte, könnte
ich derselben über mich und mein Haus nicht die geringste Gewalt einräumen." --
Ende l?46 kam Zinzendorf selbst an. -- "Ich hörte öfters seine Vorträge in
den öffentlichen Versammlungen und der Eheleute Privatstunden, darin weder


hätte und täglich genösse, unterschieden sei? Man konnte oder wollte mich aber
nicht bedeuten, sondern es hieß nur, es ließe sich nicht beschreiben, ich sollte
dann» bitten; wer es hätte, der wüßte allein, was es wäre. Ich folgte auch
darin, und sagte Jesu kindlich und oft: man sagte nur. ich hätte sein Blut
noch nicht an meinem Herzen erfahren; wenn nun das so sei, so möchte er
es mich aus Gnaden erfahren lassen, wenn und wie er wollte. Sollte es
auch nur eine Specialgnade für Ebersdorf oder für gewisse Zeiten oder Gat¬
tungen Seelen sein, so möchte er mich doch auch nicht leer ausgehn lassen,
da ich nun einmal in Ebersdorf, in dieser Zeit und unter diesen Seelen sei.
Ich habe aber niemalen darauf etwas anders empfunden.

Uebrigens liefen gleich Anfangs allerlei bedenkliche Dinge mit unter,
welche als Schlacken hätten können angesehn und von dem edlen geschieden
werden: allein da H. Sleinhofcr diese Dinge theils billigte, theils entschuldigte,
und das kindisch sein für etwas Kindern Gottes nicht unanständiges angab,
wurden vollends theils öffentlich theils sonst die leichtsinnigsten Ausschweif¬
ungen daraus, deren man sich zwar nachmals selbst schämte, damals aber
alle Vorstellungen dagegen verwarf. Die meist aus jungen unerfahrnen
und hitzigen Gemüthern beiderlei Geschlechts bestehende Zinzendorfsche Partei
behielt nun in den Conferenzen die Oberhand, und es ging mit Macht auf
eine gänzliche Bereinigung mit den Brüdergemeinden los. . . Man fing an,
die sämmtlichen ehelichen und ledigen Personen weiblichen Geschlechts theils
in Güte dahin zu bringen, theils mit Zwang und bei einer Art des Bannes
zu nöthigen, sich der sogenannten Gemeinhauben und Stirnbands zu bedienen,
was ich meinen Kindern durchaus nicht gestattete. Ich dutzte auch Niemanden
— nicht aus Hochmuth. — Ferner wurden nun an den sogenannten Gemein¬
tagen die Berichte aus den herrnhutischen Gemeinden und Misstonen verlesen,
und dadurch junge und hitzige Leute in eine große Begierde gebracht, zu
pilgern, d. h, sich zu den Zinzendorf'schen Gemeinden zu begeben, oder zum
Verschicken und zur Arbeit an andre, auch den Heiden, gebrauchen zu lassen.
Die Reisen nach Mairenborn und Herrnhut singen wirtlich an; man baute
ein Geineinhaus, man erwartete aus den Zinzenvorsschen Gemeinden Pfle¬
ger und Pflegerinnen für alle Chöre.

Unter diesen Umständen besprach ich mich mit dem theuern Knecht Gottes
dem Abt Steinmetz in Wernigerode: da wir denn in der ganzen Sache voll¬
kommen einig waren. Ich erklärte bei meiner Zurückkunft den Vorstehern, daß ich
zwar insofern, als man angäbe, daß es eine evangelisch-lutherische Gemeinde sei,
darin bleiben wolle; insofern es aber eine Brüdergemeinde sein sollte, könnte
ich derselben über mich und mein Haus nicht die geringste Gewalt einräumen." —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/195>, abgerufen am 24.07.2024.