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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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erklärten sich der Kongreß der hannöverschen Gewerbevereine und die
Versammlung der wirthschaftlichen Vereine für das nordwestliche Deutsch¬
land. In Coburg und Gotha sind bereits dahin gerichtete Reformen
ins Leben getreten, in Bremen ist der Senat in ähnlicher Weise
vorgeschritten. In Sachsen. Bayern und Hannover wird an Entwürfen
zur vollständigen Befreiung des Handwerks von den Fesseln der Zunft und
der Concession gearbeitet, nachdem Pläne, welche die Tendenz hatten, auf hal¬
bem Wege stehen zu bleiben und wenigstens einen Theil der Beschränkungen
freien Erwerbes fortexistir"" zu lassen, vor der Stimme der öffentlichen Mei¬
nung zurückgezogen worden sind. Die Gewißheit, daß alle Schranken mit
Nächstem fallen werden, ist so groß, daß selbst in Bayern, wo die Sache den
meisten äußern Hindernissen begegnet, die sogenannten "Rcalgewerbcberechti-
gungen" bedeutend im Preise fallen und die darauf ruhenden hypothekarischen
Forderungen gekündigt werden.

Die würtenbergische Regierung hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet,
weicher auf den Grundsatz vollständiger Gewerbefreiheit basirt ist, und da¬
neben, soweit dies mit der Freigebung der Arbeit vereinbart ist, die Einführung
eines dem jeweiligen Stande der Technik angepaßten, jedoch nur facultativen
Gewerbeprüfungswesens..sowie die Festhaltung und Ausbildung der Gewerbs-
verbände zu Bildungs-, Erwerbs- und Unterstützungszwecken anstrebt. Denn,
wohlgemerkt, nur die Wegräumung aller Schranken des freien Erwerbes, nicht
die Vernichtung der Innungen ist zu bewirken. Letztere werden vielmehr,
zeitgemäß umgestaltet, grübe unter der Gewerbefreiheit und bei voller Selbst¬
regierung die gedeihlichsten Früchte tragen.

In Preußen regt sich das lebhafte Verlangen nach Rückkehr zu der durch
das Manteuffel'sche Regiment verkümmerten Gewerbefreiheit, nach Freizügig¬
keit und einem wirklichen Gewerbcrecht. Aus Baden und Nassaus ertönen
Klagen und Anträge in gleicher Richtung. Mit einem anerkennenswerther
Beispiel auf der Bahn der Befreiung der menschlichen Arbeit von den Be¬
schränkungen, welche ihr durch abgestorbene Ueberreste alter Zustände auferlegt
sind, ist bekanntlich Oestreich 1859" vorgegangen, wiewol zu bezweifeln
ist, daß diese vereinzelte Reform hier die Frucht bringen wird, die man von
ihr unter andern Verhältnissen erwarten dürfte.

Nach diesem Ueberblick über das, was auf unserem Gebiete des National¬
lebens in den letzten beiden Jahren geschehen ist, unterliegt es keinem Zweifel,
daß die öffentliche Meinung, die Kammern und die Regierungen Deutschlands
übereinstimmend auf Einführung der Gewerbefreiheit und ihrer unzertrennlichen
Schwester, der Freizügigkeit, hinstreben, und daß in Kurzem, wenn nicht un-



') Vergl. Braun "Ueber Gewerbefreiheit und Freizügigkeit" ^Frankfurt -i. M.,
Soucrländer), einer trefflichen Flugschrift, der wir in dieser Darstellung theilweise folgen.

erklärten sich der Kongreß der hannöverschen Gewerbevereine und die
Versammlung der wirthschaftlichen Vereine für das nordwestliche Deutsch¬
land. In Coburg und Gotha sind bereits dahin gerichtete Reformen
ins Leben getreten, in Bremen ist der Senat in ähnlicher Weise
vorgeschritten. In Sachsen. Bayern und Hannover wird an Entwürfen
zur vollständigen Befreiung des Handwerks von den Fesseln der Zunft und
der Concession gearbeitet, nachdem Pläne, welche die Tendenz hatten, auf hal¬
bem Wege stehen zu bleiben und wenigstens einen Theil der Beschränkungen
freien Erwerbes fortexistir"« zu lassen, vor der Stimme der öffentlichen Mei¬
nung zurückgezogen worden sind. Die Gewißheit, daß alle Schranken mit
Nächstem fallen werden, ist so groß, daß selbst in Bayern, wo die Sache den
meisten äußern Hindernissen begegnet, die sogenannten „Rcalgewerbcberechti-
gungen" bedeutend im Preise fallen und die darauf ruhenden hypothekarischen
Forderungen gekündigt werden.

Die würtenbergische Regierung hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet,
weicher auf den Grundsatz vollständiger Gewerbefreiheit basirt ist, und da¬
neben, soweit dies mit der Freigebung der Arbeit vereinbart ist, die Einführung
eines dem jeweiligen Stande der Technik angepaßten, jedoch nur facultativen
Gewerbeprüfungswesens..sowie die Festhaltung und Ausbildung der Gewerbs-
verbände zu Bildungs-, Erwerbs- und Unterstützungszwecken anstrebt. Denn,
wohlgemerkt, nur die Wegräumung aller Schranken des freien Erwerbes, nicht
die Vernichtung der Innungen ist zu bewirken. Letztere werden vielmehr,
zeitgemäß umgestaltet, grübe unter der Gewerbefreiheit und bei voller Selbst¬
regierung die gedeihlichsten Früchte tragen.

In Preußen regt sich das lebhafte Verlangen nach Rückkehr zu der durch
das Manteuffel'sche Regiment verkümmerten Gewerbefreiheit, nach Freizügig¬
keit und einem wirklichen Gewerbcrecht. Aus Baden und Nassaus ertönen
Klagen und Anträge in gleicher Richtung. Mit einem anerkennenswerther
Beispiel auf der Bahn der Befreiung der menschlichen Arbeit von den Be¬
schränkungen, welche ihr durch abgestorbene Ueberreste alter Zustände auferlegt
sind, ist bekanntlich Oestreich 1859" vorgegangen, wiewol zu bezweifeln
ist, daß diese vereinzelte Reform hier die Frucht bringen wird, die man von
ihr unter andern Verhältnissen erwarten dürfte.

Nach diesem Ueberblick über das, was auf unserem Gebiete des National¬
lebens in den letzten beiden Jahren geschehen ist, unterliegt es keinem Zweifel,
daß die öffentliche Meinung, die Kammern und die Regierungen Deutschlands
übereinstimmend auf Einführung der Gewerbefreiheit und ihrer unzertrennlichen
Schwester, der Freizügigkeit, hinstreben, und daß in Kurzem, wenn nicht un-



') Vergl. Braun „Ueber Gewerbefreiheit und Freizügigkeit" ^Frankfurt -i. M.,
Soucrländer), einer trefflichen Flugschrift, der wir in dieser Darstellung theilweise folgen.
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[0169] erklärten sich der Kongreß der hannöverschen Gewerbevereine und die Versammlung der wirthschaftlichen Vereine für das nordwestliche Deutsch¬ land. In Coburg und Gotha sind bereits dahin gerichtete Reformen ins Leben getreten, in Bremen ist der Senat in ähnlicher Weise vorgeschritten. In Sachsen. Bayern und Hannover wird an Entwürfen zur vollständigen Befreiung des Handwerks von den Fesseln der Zunft und der Concession gearbeitet, nachdem Pläne, welche die Tendenz hatten, auf hal¬ bem Wege stehen zu bleiben und wenigstens einen Theil der Beschränkungen freien Erwerbes fortexistir"« zu lassen, vor der Stimme der öffentlichen Mei¬ nung zurückgezogen worden sind. Die Gewißheit, daß alle Schranken mit Nächstem fallen werden, ist so groß, daß selbst in Bayern, wo die Sache den meisten äußern Hindernissen begegnet, die sogenannten „Rcalgewerbcberechti- gungen" bedeutend im Preise fallen und die darauf ruhenden hypothekarischen Forderungen gekündigt werden. Die würtenbergische Regierung hat einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, weicher auf den Grundsatz vollständiger Gewerbefreiheit basirt ist, und da¬ neben, soweit dies mit der Freigebung der Arbeit vereinbart ist, die Einführung eines dem jeweiligen Stande der Technik angepaßten, jedoch nur facultativen Gewerbeprüfungswesens..sowie die Festhaltung und Ausbildung der Gewerbs- verbände zu Bildungs-, Erwerbs- und Unterstützungszwecken anstrebt. Denn, wohlgemerkt, nur die Wegräumung aller Schranken des freien Erwerbes, nicht die Vernichtung der Innungen ist zu bewirken. Letztere werden vielmehr, zeitgemäß umgestaltet, grübe unter der Gewerbefreiheit und bei voller Selbst¬ regierung die gedeihlichsten Früchte tragen. In Preußen regt sich das lebhafte Verlangen nach Rückkehr zu der durch das Manteuffel'sche Regiment verkümmerten Gewerbefreiheit, nach Freizügig¬ keit und einem wirklichen Gewerbcrecht. Aus Baden und Nassaus ertönen Klagen und Anträge in gleicher Richtung. Mit einem anerkennenswerther Beispiel auf der Bahn der Befreiung der menschlichen Arbeit von den Be¬ schränkungen, welche ihr durch abgestorbene Ueberreste alter Zustände auferlegt sind, ist bekanntlich Oestreich 1859" vorgegangen, wiewol zu bezweifeln ist, daß diese vereinzelte Reform hier die Frucht bringen wird, die man von ihr unter andern Verhältnissen erwarten dürfte. Nach diesem Ueberblick über das, was auf unserem Gebiete des National¬ lebens in den letzten beiden Jahren geschehen ist, unterliegt es keinem Zweifel, daß die öffentliche Meinung, die Kammern und die Regierungen Deutschlands übereinstimmend auf Einführung der Gewerbefreiheit und ihrer unzertrennlichen Schwester, der Freizügigkeit, hinstreben, und daß in Kurzem, wenn nicht un- ') Vergl. Braun „Ueber Gewerbefreiheit und Freizügigkeit" ^Frankfurt -i. M., Soucrländer), einer trefflichen Flugschrift, der wir in dieser Darstellung theilweise folgen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/169>, abgerufen am 20.06.2024.