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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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selben sie stundenlang in der Kälte auf ihren Karren seufzen, während sie selbst
sich mit Champagner gütlich thaten, oder ein Spielchen machten. Starben
sie, so setzte man sie auf die Listen, schaffte die todten Körper in Höhlen, wo
sie sich in der Kälte eine Zeit lang hielten und berechnete dann für diese Zeit
Nahrung und Medicin für sie. Mußte man sie endlich beerdigen, so wurden
sie nackt eingescharrt, wiewol regelmäßig in den Rechnungen Todtenhemden
für sie figurirten.

Eine Anzahl der Elenden, welche sich dieser Schändlichkeiten schuldig ge¬
macht, wurde allerdings später zur Rechenschaft gezogen und verurtheilt. Aber
es waren nur wenige, und der Hauptschuldige, jener Z., kam auf Verwendung
hochgestellter Personen mit bloßer Entlassung von seinem Posten davon. Es
hieß, ohne seine Geschicklichkeit wäre die Armee Hungers gestorben. Wenn
das wahr ist, wohin wäre es durch jene Regierungsform mit Rußland ge¬
kommen, "mit jenem Nußland," sagt der Verfasser, "welches vor dreißig Jahren
nach Außen hin so mächtig war, und das sich jetzt durch die Elendigkeiten
seiner Verwaltung paralysirt und in die Unmöglichkeit versetzt sieht, einen Krieg
zu führen, ohne die Wohlfahrt und das Leben seiner Vertheidiger der Gnade
der miserabelsten Schurken anheimzustellen, deren die Geschichte Erwähnung
thut? Da sieht man so recht deutlich die Früchte des Mangels aller Controle
und aller Öffentlichkeit, die bittern, aber unausbleiblichen Früchte des Des¬
potismus."

Es gibt natürlich im russischen Heere mehre rechtschaffene und loyale
Rcgimentschefs, die um so ehrenwerther sind, als sie die Minorität unter
ihren Kameraden bilden. Die Mehrzahl der Obersten wie die Mehrzahl der
Oberofsiciere, welche die kaiserliche Garde befehligen, bereichern sich auf die
hassenswürdigste Weise auf Kosten der Soldaten, deren Loos ihnen anvertraut
ist. Die Soldaten erhalten schlechte und unzureichende Nahrung. Die Ne¬
gierung liefert ihnen Mehl zu Brot in hinreichender Menge. Aber ein Theil
dieses Mehls wird in der Regel vom Obersten mit Beschlag belegt und zu
seinem Vortheil verkauft. Ebenso halten es diese Herren mit dem Tuch, das
zur Bekleidung der Truppen geliefert wird, und mit dem Leder, aus dem
Stiefel geschafft werden sollen. Noch besser als die Obersten der Infanterie
stehen sich die der Reiterei. Hier werden zugleich Massen von Hafer und Heu
unterschlagen, welche für die Pferde ausgesetzt sind. Endlich sind die officiellen
Preise iSprawoschnyia Tseny). das heißt, die jede Woche festzustellende An¬
gabe der in dem Orte, wo das Regiment steht, geltenden Preise für Alles,
was zur Nahrung von Mann und Pferd dient, eine der ergiebigsten Einnahme¬
quellen für die Commandanten. Diese Angaben werden von dem Obersten
und de.i Ortsbehörden gemeinschaftlich entworfen, und die Preise sind in den¬
selben stets höher angegeben, als sie in Wirklichkeit sind. Der Oberst gibt


selben sie stundenlang in der Kälte auf ihren Karren seufzen, während sie selbst
sich mit Champagner gütlich thaten, oder ein Spielchen machten. Starben
sie, so setzte man sie auf die Listen, schaffte die todten Körper in Höhlen, wo
sie sich in der Kälte eine Zeit lang hielten und berechnete dann für diese Zeit
Nahrung und Medicin für sie. Mußte man sie endlich beerdigen, so wurden
sie nackt eingescharrt, wiewol regelmäßig in den Rechnungen Todtenhemden
für sie figurirten.

Eine Anzahl der Elenden, welche sich dieser Schändlichkeiten schuldig ge¬
macht, wurde allerdings später zur Rechenschaft gezogen und verurtheilt. Aber
es waren nur wenige, und der Hauptschuldige, jener Z., kam auf Verwendung
hochgestellter Personen mit bloßer Entlassung von seinem Posten davon. Es
hieß, ohne seine Geschicklichkeit wäre die Armee Hungers gestorben. Wenn
das wahr ist, wohin wäre es durch jene Regierungsform mit Rußland ge¬
kommen, „mit jenem Nußland," sagt der Verfasser, „welches vor dreißig Jahren
nach Außen hin so mächtig war, und das sich jetzt durch die Elendigkeiten
seiner Verwaltung paralysirt und in die Unmöglichkeit versetzt sieht, einen Krieg
zu führen, ohne die Wohlfahrt und das Leben seiner Vertheidiger der Gnade
der miserabelsten Schurken anheimzustellen, deren die Geschichte Erwähnung
thut? Da sieht man so recht deutlich die Früchte des Mangels aller Controle
und aller Öffentlichkeit, die bittern, aber unausbleiblichen Früchte des Des¬
potismus."

Es gibt natürlich im russischen Heere mehre rechtschaffene und loyale
Rcgimentschefs, die um so ehrenwerther sind, als sie die Minorität unter
ihren Kameraden bilden. Die Mehrzahl der Obersten wie die Mehrzahl der
Oberofsiciere, welche die kaiserliche Garde befehligen, bereichern sich auf die
hassenswürdigste Weise auf Kosten der Soldaten, deren Loos ihnen anvertraut
ist. Die Soldaten erhalten schlechte und unzureichende Nahrung. Die Ne¬
gierung liefert ihnen Mehl zu Brot in hinreichender Menge. Aber ein Theil
dieses Mehls wird in der Regel vom Obersten mit Beschlag belegt und zu
seinem Vortheil verkauft. Ebenso halten es diese Herren mit dem Tuch, das
zur Bekleidung der Truppen geliefert wird, und mit dem Leder, aus dem
Stiefel geschafft werden sollen. Noch besser als die Obersten der Infanterie
stehen sich die der Reiterei. Hier werden zugleich Massen von Hafer und Heu
unterschlagen, welche für die Pferde ausgesetzt sind. Endlich sind die officiellen
Preise iSprawoschnyia Tseny). das heißt, die jede Woche festzustellende An¬
gabe der in dem Orte, wo das Regiment steht, geltenden Preise für Alles,
was zur Nahrung von Mann und Pferd dient, eine der ergiebigsten Einnahme¬
quellen für die Commandanten. Diese Angaben werden von dem Obersten
und de.i Ortsbehörden gemeinschaftlich entworfen, und die Preise sind in den¬
selben stets höher angegeben, als sie in Wirklichkeit sind. Der Oberst gibt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/162>, abgerufen am 24.07.2024.