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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ßerte er sich gegen seinen Gesandten in Turin, Am 24, Juni empfing er die
Gesandten des sicilianischen Parlaments und als der Herzog von Genua er¬
wählt wurde, begrüßte das englische Geschwader die sicilische Flagge, Ad¬
miral Parker und seine Officiere nahmen an allen Freudenbezeugungen Theil
und ein englischer Kriegsdampfer brachte dem Gewählten die Botschaft. Sie
kam in einem unglücklichen Moment nach Cusiozza. Karl Albert, unentschlosse¬
ner als je, zögerte, der englische Gesandte erklärte, seine Negierung werde den
Herzog als Souverän anerkennen, sobald er im Besitz des Thrones
wäre, der Herzog von Genua lehnte ab. Im August ging eine Expedition
von Neapel unter Segel, um Sicilien wieder zu erobern, Messina ward bom-
bardirt und nach einem Verzweiflungskampfe gräulich verwüstet, Admiral
Parker sah dem ruhig zu und gab erst dem Drängen des französchen Admi¬
rals Baudin nach sich gemeinschaftlich ins Mittel zu legen, auch dann suchte
er wesentlich nur die englischen Kaufleute zu schützen, wahrend Baudin im
Interesse der Humanität sich der Erneuerung der Verwüstung entgegensetzte
und einen Waffenstillstand zu Stande brachte. Der König protestirte heftig
gegen die Einmischung in sein Recht der Kriegsführung. Von nun tritt
England zurück und Frankreich vor, die Sendung Lord Temples nach Neapel
war ohne praktische Bedeutung. Louis Napoleon, der seine Intervention im
Kirchenstaat vorbereitete, begünstigte die Pacisication Siciliens, welche Filan-
gieri nach furchtbarem Kampfe vollbrachte.

In Rom war unter Mamianis Laienministerium die gesetzgebende Ver¬
sammlung am 5. Juni eröffnet, aber derselbe Widerspruch, der zwischen dem
universalkatholischen und dem weltlich fürstlichen Charakter sich in der aus¬
wärtigen Politik geltend gemacht hatte, trat auch sosort bei den innern An¬
gelegenheiten zu Tage. Wie konnte das unfehlbare Haupt der Christenheit den
constitutionellen Souverän spielen, der sich hinter die Verantwortlichkeit seiner
Minister birgt? Mamiani verkündete die Trennung der geistlichen und welt¬
lichen Gewalt, der Papst erklärte in seiner Antwort auf die Adresse der Kam¬
mer, er müsse alle Freiheit behalten, damit seine Thätigkeit für die Interessen
der Kirche nicht paralysirt werde, em Gesetz über den Volksunterricht gestatte
er nicht, der Beruf zu lehren stehe allein der Kirche zu, das Miswerständniß
und die Unmöglichkeit sich zu verständigen, war von Anfang an der Art. daß
nur unklare Köpfe sich darüber täuschen konnten. Dieser Gegensatz konnte auch
dadurch nicht verdeckt werden, daß der talentvolle Rossi Mamiani, der dem
Papste persönlich unangenehm war, ersetzte und in der Verwaltung und der Ge-
richtspflege aufzuräumen begann. Er vereinigte vielmehr das Geschrei des Klerus
und seines Anhanges, mit dem der Radicalen gegen sich, der ganze verwickelte
Organismus der weltlichen Pnesterregierung lehnte sich gegen solche Reformen
auf, denn es galt seine Existenz, die Truppen murrten ebenso über die Dis>


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ßerte er sich gegen seinen Gesandten in Turin, Am 24, Juni empfing er die
Gesandten des sicilianischen Parlaments und als der Herzog von Genua er¬
wählt wurde, begrüßte das englische Geschwader die sicilische Flagge, Ad¬
miral Parker und seine Officiere nahmen an allen Freudenbezeugungen Theil
und ein englischer Kriegsdampfer brachte dem Gewählten die Botschaft. Sie
kam in einem unglücklichen Moment nach Cusiozza. Karl Albert, unentschlosse¬
ner als je, zögerte, der englische Gesandte erklärte, seine Negierung werde den
Herzog als Souverän anerkennen, sobald er im Besitz des Thrones
wäre, der Herzog von Genua lehnte ab. Im August ging eine Expedition
von Neapel unter Segel, um Sicilien wieder zu erobern, Messina ward bom-
bardirt und nach einem Verzweiflungskampfe gräulich verwüstet, Admiral
Parker sah dem ruhig zu und gab erst dem Drängen des französchen Admi¬
rals Baudin nach sich gemeinschaftlich ins Mittel zu legen, auch dann suchte
er wesentlich nur die englischen Kaufleute zu schützen, wahrend Baudin im
Interesse der Humanität sich der Erneuerung der Verwüstung entgegensetzte
und einen Waffenstillstand zu Stande brachte. Der König protestirte heftig
gegen die Einmischung in sein Recht der Kriegsführung. Von nun tritt
England zurück und Frankreich vor, die Sendung Lord Temples nach Neapel
war ohne praktische Bedeutung. Louis Napoleon, der seine Intervention im
Kirchenstaat vorbereitete, begünstigte die Pacisication Siciliens, welche Filan-
gieri nach furchtbarem Kampfe vollbrachte.

In Rom war unter Mamianis Laienministerium die gesetzgebende Ver¬
sammlung am 5. Juni eröffnet, aber derselbe Widerspruch, der zwischen dem
universalkatholischen und dem weltlich fürstlichen Charakter sich in der aus¬
wärtigen Politik geltend gemacht hatte, trat auch sosort bei den innern An¬
gelegenheiten zu Tage. Wie konnte das unfehlbare Haupt der Christenheit den
constitutionellen Souverän spielen, der sich hinter die Verantwortlichkeit seiner
Minister birgt? Mamiani verkündete die Trennung der geistlichen und welt¬
lichen Gewalt, der Papst erklärte in seiner Antwort auf die Adresse der Kam¬
mer, er müsse alle Freiheit behalten, damit seine Thätigkeit für die Interessen
der Kirche nicht paralysirt werde, em Gesetz über den Volksunterricht gestatte
er nicht, der Beruf zu lehren stehe allein der Kirche zu, das Miswerständniß
und die Unmöglichkeit sich zu verständigen, war von Anfang an der Art. daß
nur unklare Köpfe sich darüber täuschen konnten. Dieser Gegensatz konnte auch
dadurch nicht verdeckt werden, daß der talentvolle Rossi Mamiani, der dem
Papste persönlich unangenehm war, ersetzte und in der Verwaltung und der Ge-
richtspflege aufzuräumen begann. Er vereinigte vielmehr das Geschrei des Klerus
und seines Anhanges, mit dem der Radicalen gegen sich, der ganze verwickelte
Organismus der weltlichen Pnesterregierung lehnte sich gegen solche Reformen
auf, denn es galt seine Existenz, die Truppen murrten ebenso über die Dis>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/151>, abgerufen am 24.07.2024.