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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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zuletzt unvermeidlich diejenigen erliegen, welche lieber genießen als erwerben
wollen. Neben ja über ihnen war die freie Kraft der Nation in kräftiger Ent¬
wicklung. Die neue Bildung der Reformationszeit, durch die bürgerlichen Theologen
und Schulmänner getragen, bezwang oder verachtete auch die Landjunkerdie
Geschäfte der Fürsten und ihrer Territorien, die Stelle am Kammergericht,
die Spruchcollegien an den Universitäten, fast die gesammte Justiz und Ad¬
ministration war nicht in den Händen des Adels; der größte Wohlstand, das
beste Behagen war durch Handel und Handwerk in die Städte geleitet, außer
dem Kriegshandwerk und den Höfen war ihnen wenig geblieben. So war bis
zum Jahre >618 die Nation auf gutem Wege, das Junkerthum des Mittel¬
alters zu überwinden und Ansprüche, welche mit dem neuen Leben unvereinbar
geworden waren; zur Ruhe zu bringen.

Es war eine verderbliche Folge des großen Krieges, daß auch dies anders
wurde. Die Kraft des Bürgerthums war durch den Krieg vollständig ge¬
brochen, die Schwächen des Adels entwickelten sich unter der Gunst, welche
ihm in den meisten Landschaften das neue Soldatenregimcnt der Fürsten, vor
Allem der Kaiserhof gewährte, zum Nachtheil des Ganzen. Wie sehr die
Einnahmen des Grundbesitzers verringert waren, er lernte doch zuerst aus der
Arbeit der geknechteten Bauern Vortheil ziehen. Auch die Familien des Land¬
adels waren decimirt, dafür war man am Kaiserhofe sehr bereit, für Geld
neuen Adel zu schaffen. Das war im Kriege gebräuchlich geworden, gern
kaufte sich der Hauptmann oder Oberst von seiner Beute einen Adelsbrief und
verwüstete Güter. Nach dem Frieden wurde der Briefadel eine häßliche Er¬
weiterung des Standes. Eine kindische, widerwärtige Großmannssucht, De¬
votion, Kriecherei. Sucht nach Titeln und äußern Auszeichnungen wurden nun
in den Städten allgemein. Am wenigsten litten darunter die Handelsstädte
an der Nordsee, am meisten die Länder, welche unmittelbar von dem wiener
Hofe abhingen. Damals wurde in Wien gebräuchlich, jeden, welcher gesell¬
schaftliche Ansprüche zu machen berechtigt schien, als Edelmann anzureden.

Unter der Masse der Privilegirten, welche sich jetzt als besondrer herrschen¬
der Stand im Gegensatz zum Volke empfanden, war allerdings die größte
Verschiedenheit der Bildung und Tüchtigkeit, aber man thut dem Andenken
an viele ehrenwerthe und einige bedeutende Männer nicht Unrecht, wenn die
Thatsache hervorgehoben wird, daß diese Zeit, in welcher der Adel am meisten
galt und regierte, die allerschlechteste Periode der ganzen langen Geschichte
Deutschlands ist.

Ohne Zweifel führte in dieser schwachen Zeit das behaglichste Leben der
wohlhabende Sproß einer alten Familie, welcher größre Güter sein Eigenthum
nannte und durch alte Verbindungen mit Einflußreichen und Regierenden ge¬
schützt war. Seine Söhne erwarben einträgliche Hofämter oder bohre Offt-


zuletzt unvermeidlich diejenigen erliegen, welche lieber genießen als erwerben
wollen. Neben ja über ihnen war die freie Kraft der Nation in kräftiger Ent¬
wicklung. Die neue Bildung der Reformationszeit, durch die bürgerlichen Theologen
und Schulmänner getragen, bezwang oder verachtete auch die Landjunkerdie
Geschäfte der Fürsten und ihrer Territorien, die Stelle am Kammergericht,
die Spruchcollegien an den Universitäten, fast die gesammte Justiz und Ad¬
ministration war nicht in den Händen des Adels; der größte Wohlstand, das
beste Behagen war durch Handel und Handwerk in die Städte geleitet, außer
dem Kriegshandwerk und den Höfen war ihnen wenig geblieben. So war bis
zum Jahre >618 die Nation auf gutem Wege, das Junkerthum des Mittel¬
alters zu überwinden und Ansprüche, welche mit dem neuen Leben unvereinbar
geworden waren; zur Ruhe zu bringen.

Es war eine verderbliche Folge des großen Krieges, daß auch dies anders
wurde. Die Kraft des Bürgerthums war durch den Krieg vollständig ge¬
brochen, die Schwächen des Adels entwickelten sich unter der Gunst, welche
ihm in den meisten Landschaften das neue Soldatenregimcnt der Fürsten, vor
Allem der Kaiserhof gewährte, zum Nachtheil des Ganzen. Wie sehr die
Einnahmen des Grundbesitzers verringert waren, er lernte doch zuerst aus der
Arbeit der geknechteten Bauern Vortheil ziehen. Auch die Familien des Land¬
adels waren decimirt, dafür war man am Kaiserhofe sehr bereit, für Geld
neuen Adel zu schaffen. Das war im Kriege gebräuchlich geworden, gern
kaufte sich der Hauptmann oder Oberst von seiner Beute einen Adelsbrief und
verwüstete Güter. Nach dem Frieden wurde der Briefadel eine häßliche Er¬
weiterung des Standes. Eine kindische, widerwärtige Großmannssucht, De¬
votion, Kriecherei. Sucht nach Titeln und äußern Auszeichnungen wurden nun
in den Städten allgemein. Am wenigsten litten darunter die Handelsstädte
an der Nordsee, am meisten die Länder, welche unmittelbar von dem wiener
Hofe abhingen. Damals wurde in Wien gebräuchlich, jeden, welcher gesell¬
schaftliche Ansprüche zu machen berechtigt schien, als Edelmann anzureden.

Unter der Masse der Privilegirten, welche sich jetzt als besondrer herrschen¬
der Stand im Gegensatz zum Volke empfanden, war allerdings die größte
Verschiedenheit der Bildung und Tüchtigkeit, aber man thut dem Andenken
an viele ehrenwerthe und einige bedeutende Männer nicht Unrecht, wenn die
Thatsache hervorgehoben wird, daß diese Zeit, in welcher der Adel am meisten
galt und regierte, die allerschlechteste Periode der ganzen langen Geschichte
Deutschlands ist.

Ohne Zweifel führte in dieser schwachen Zeit das behaglichste Leben der
wohlhabende Sproß einer alten Familie, welcher größre Güter sein Eigenthum
nannte und durch alte Verbindungen mit Einflußreichen und Regierenden ge¬
schützt war. Seine Söhne erwarben einträgliche Hofämter oder bohre Offt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/14>, abgerufen am 04.07.2024.