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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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ein, weil die alten Mißverhältnisse sich erneuen können, und weil es ge¬
fährlich ist, eine Schwäche, die in der Natur der Sache liegt, auf die Persön¬
lichkeiten zu schieben.

Die Schwäche des Gothaismus -- des alten wie des neuen -- liegt
nicht in der Natur dieser oder jeuer Männer, die dazu gehören, sondern in
der Natur der Sache.

Im Jahr 1848 war die Menge der Ansicht, daß die Umgestaltung einer
Nation möglich sei durch die guten Wünsche der Bevölkerung aller Stände,
mit Ausnahme des Adels und der Professoren. Wir waren damals anderer
Ansicht. Die Umgestaltung einer Nation geht nur durch eine bereits vorhandene,
organisirte Macht hervor, die im Stande ist, mit Gewalt die Gegner zu sich
heran zu ziehn. Durch eine bloße Volksaufrcgung ist -- so lange die Welt¬
geschichte existirt -- nie eine Revolution bewerkstelligt. Die von 1789 fand
eine fertige Staatsmaschine vor, deren sich dann 1792 und 1793 die pariser
Municipalität bemächtigte, welche über die einzige damals organisirte Macht
verfügen konnte, die bewaffnete und in die Sectionen vertheilte "föderirte"
Armee. Als sie auf die Länge nicht regieren konnte, trat die besser organi¬
sirte und stärkere Macht, das Militär und sein Dictator an die Stelle. Ebenso
geschah es in Paris 1848 und 1851.

Jener Satz -- daß nur eine organisirte Macht eine Revolution durch¬
führen kann -- ist heute, da Cavour gegen Mazzini Recht behalten, trivial
geworden; damals klang er paradox, und man legte bei den Gothaern für Be-
denklichkeit und Furcht aus, was -- wenigstens bei der Partei als solcher --
Folge einer klaren Einsicht war. Freilich liegt in dieser Einsicht nothwendig
eine Schwäche in Bezug auf die dramatische Action. Auch die neugothaer
Adressen haben Bornes vorläufig nur den Grafentitel verschafft.

Die Schwäche besteht darin, daß man einer Macht, über deren Willen
man keine Gewalt hat, die Initiative überlassen muß. Nach unsrer -- alt-
uud neugothaischcn -- Ueberzeugung, kann die Reform Deutschlands mir von
Preußen ausgehn; wir sind aber nicht in der Lage, den preußischen Staat zu
regieren und ihn in die Richtung zu bringen, die wir für die richtige halten.
Unsre ganze Aussicht besteht darin, daß Preußen durch die innere Noth¬
wendigkeit seiner Lage über kurz oder lang in unsre Richtung getrieben
werden muß. Unsre Thätigkeit kann nur darin beruhn, im Innern Preußens,
durch die Kammern, durch Wort und Schrift, diese Wendung zu beschleunigen,
und außerhalb Preußens die Hindernisse möglichst wegzuräumen, die sich die¬
sem Streben entgegenstellen.

Für den Preußen ist diese Thätigkeit dankbarer als für den NichtPreußen:
denn auch als Opposition, auch als Minorität haben wir innerhalb des
Staaislebens doch einen festen Punkt des Widerstands; und namentlich jtzet.


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ein, weil die alten Mißverhältnisse sich erneuen können, und weil es ge¬
fährlich ist, eine Schwäche, die in der Natur der Sache liegt, auf die Persön¬
lichkeiten zu schieben.

Die Schwäche des Gothaismus — des alten wie des neuen — liegt
nicht in der Natur dieser oder jeuer Männer, die dazu gehören, sondern in
der Natur der Sache.

Im Jahr 1848 war die Menge der Ansicht, daß die Umgestaltung einer
Nation möglich sei durch die guten Wünsche der Bevölkerung aller Stände,
mit Ausnahme des Adels und der Professoren. Wir waren damals anderer
Ansicht. Die Umgestaltung einer Nation geht nur durch eine bereits vorhandene,
organisirte Macht hervor, die im Stande ist, mit Gewalt die Gegner zu sich
heran zu ziehn. Durch eine bloße Volksaufrcgung ist — so lange die Welt¬
geschichte existirt — nie eine Revolution bewerkstelligt. Die von 1789 fand
eine fertige Staatsmaschine vor, deren sich dann 1792 und 1793 die pariser
Municipalität bemächtigte, welche über die einzige damals organisirte Macht
verfügen konnte, die bewaffnete und in die Sectionen vertheilte „föderirte"
Armee. Als sie auf die Länge nicht regieren konnte, trat die besser organi¬
sirte und stärkere Macht, das Militär und sein Dictator an die Stelle. Ebenso
geschah es in Paris 1848 und 1851.

Jener Satz — daß nur eine organisirte Macht eine Revolution durch¬
führen kann — ist heute, da Cavour gegen Mazzini Recht behalten, trivial
geworden; damals klang er paradox, und man legte bei den Gothaern für Be-
denklichkeit und Furcht aus, was — wenigstens bei der Partei als solcher —
Folge einer klaren Einsicht war. Freilich liegt in dieser Einsicht nothwendig
eine Schwäche in Bezug auf die dramatische Action. Auch die neugothaer
Adressen haben Bornes vorläufig nur den Grafentitel verschafft.

Die Schwäche besteht darin, daß man einer Macht, über deren Willen
man keine Gewalt hat, die Initiative überlassen muß. Nach unsrer — alt-
uud neugothaischcn — Ueberzeugung, kann die Reform Deutschlands mir von
Preußen ausgehn; wir sind aber nicht in der Lage, den preußischen Staat zu
regieren und ihn in die Richtung zu bringen, die wir für die richtige halten.
Unsre ganze Aussicht besteht darin, daß Preußen durch die innere Noth¬
wendigkeit seiner Lage über kurz oder lang in unsre Richtung getrieben
werden muß. Unsre Thätigkeit kann nur darin beruhn, im Innern Preußens,
durch die Kammern, durch Wort und Schrift, diese Wendung zu beschleunigen,
und außerhalb Preußens die Hindernisse möglichst wegzuräumen, die sich die¬
sem Streben entgegenstellen.

Für den Preußen ist diese Thätigkeit dankbarer als für den NichtPreußen:
denn auch als Opposition, auch als Minorität haben wir innerhalb des
Staaislebens doch einen festen Punkt des Widerstands; und namentlich jtzet.


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[0135] ein, weil die alten Mißverhältnisse sich erneuen können, und weil es ge¬ fährlich ist, eine Schwäche, die in der Natur der Sache liegt, auf die Persön¬ lichkeiten zu schieben. Die Schwäche des Gothaismus — des alten wie des neuen — liegt nicht in der Natur dieser oder jeuer Männer, die dazu gehören, sondern in der Natur der Sache. Im Jahr 1848 war die Menge der Ansicht, daß die Umgestaltung einer Nation möglich sei durch die guten Wünsche der Bevölkerung aller Stände, mit Ausnahme des Adels und der Professoren. Wir waren damals anderer Ansicht. Die Umgestaltung einer Nation geht nur durch eine bereits vorhandene, organisirte Macht hervor, die im Stande ist, mit Gewalt die Gegner zu sich heran zu ziehn. Durch eine bloße Volksaufrcgung ist — so lange die Welt¬ geschichte existirt — nie eine Revolution bewerkstelligt. Die von 1789 fand eine fertige Staatsmaschine vor, deren sich dann 1792 und 1793 die pariser Municipalität bemächtigte, welche über die einzige damals organisirte Macht verfügen konnte, die bewaffnete und in die Sectionen vertheilte „föderirte" Armee. Als sie auf die Länge nicht regieren konnte, trat die besser organi¬ sirte und stärkere Macht, das Militär und sein Dictator an die Stelle. Ebenso geschah es in Paris 1848 und 1851. Jener Satz — daß nur eine organisirte Macht eine Revolution durch¬ führen kann — ist heute, da Cavour gegen Mazzini Recht behalten, trivial geworden; damals klang er paradox, und man legte bei den Gothaern für Be- denklichkeit und Furcht aus, was — wenigstens bei der Partei als solcher — Folge einer klaren Einsicht war. Freilich liegt in dieser Einsicht nothwendig eine Schwäche in Bezug auf die dramatische Action. Auch die neugothaer Adressen haben Bornes vorläufig nur den Grafentitel verschafft. Die Schwäche besteht darin, daß man einer Macht, über deren Willen man keine Gewalt hat, die Initiative überlassen muß. Nach unsrer — alt- uud neugothaischcn — Ueberzeugung, kann die Reform Deutschlands mir von Preußen ausgehn; wir sind aber nicht in der Lage, den preußischen Staat zu regieren und ihn in die Richtung zu bringen, die wir für die richtige halten. Unsre ganze Aussicht besteht darin, daß Preußen durch die innere Noth¬ wendigkeit seiner Lage über kurz oder lang in unsre Richtung getrieben werden muß. Unsre Thätigkeit kann nur darin beruhn, im Innern Preußens, durch die Kammern, durch Wort und Schrift, diese Wendung zu beschleunigen, und außerhalb Preußens die Hindernisse möglichst wegzuräumen, die sich die¬ sem Streben entgegenstellen. Für den Preußen ist diese Thätigkeit dankbarer als für den NichtPreußen: denn auch als Opposition, auch als Minorität haben wir innerhalb des Staaislebens doch einen festen Punkt des Widerstands; und namentlich jtzet. 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/135>, abgerufen am 24.07.2024.