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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Koalition ihm wird Widerstand leisten können. Den Mittelpunkt dieser Coalition
muß aber Oestreich bilden. Oestreich wird aber in all seinem Thun durch die un¬
ruhigen Nationalitätsgclüste der Italiener gehemmt und es liegt im allgemeinen
Interesse Europa's diese Gelüste um jeden Preis und unbedingt niederzuschlagen. --
Der Verfasser hätte noch weiter gehn können. Die Natioualitätsgelüste Deutschlands
hemmen Oestreich nicht weniger als die Italiens und die Existenz Preußens ist ihm,
wie Andrian ganz richtig zeigt, wenigstens ebenso gefährlich als die Existenz Sardiniens.
Wollte daher Europa consequent sein, so müßte es ganz Deutschland wie ganz Ita¬
lien dem östreichischen System unterwerfen, um in der Stunde der Krisis mit Erfolg
dem russischen Anprall Widerstand leisten zu können. Aber der Weg wäre nicht
blos sehr weitläufig, er würde auch nicht zum Ziel führen; denn der so zu Stande
gebrachte Coloß würde kein inneres Leben haben und der erste Stoß von außen
würde ihn über den Haufen werfen. Einfacher und zweckmäßiger wäre es, wenn
Oestreich seine Ansprüche nach den Zcitumstünden einschränkte, wenn es seine alte
Devise: ^.ustris,s Lst Imxerarö Ordi Iluivsrso, als unhaltbar aufgäbe und sich
so einrichtete, daß Deutschland und Italien, daß Preußen und Sardinien mit ihm
gute Nachbarschaft halten könnten. Ein enges Bündniß mit diesen beiden auf die
Nationalität gegründeten Mächten würde es gegen alle Gefahren sichern, die ihm von
Osten oder von Westen drohen können. Es würde ihm zugleich die Möglichkeit ge¬
ben, seine Ansprüche nach innen hin zu müßigen und eine wahrhaft populäre Ne¬
gierung zu schaffen.

Es ist vollkommen richtig, daß Preußen, daß Deutschland, daß alle Welt ein
Interesse hat an der Fortdauer Oestreichs; denn sollte dieser Staat einmal aufhören,
so wäre es schwer zu sagen, was man in jenen Gegenden eigentlich an die Stelle
setzen sollte, ' ohne der ärgsten Anarchie Raum zu geben. Aber mehr als alle an¬
dern ist doch Oestreich selbst an seiner Fortdauer betheiligt, und das Geringste, was
die Nachbarn fordern können, ist, daß es wenigstens sie in ihrer eignen Entwicke¬
lung nicht stört, wenn es selbst ihnen darin nicht folgen kann. Das vergangene
Jahr hat eine ernste Lehre gegeben, möge sie nicht vergessen sein. Oestreich kann
ein mächtiger und ein glücklicher Staat neben seinen freien Nachbarn bleiben; will
es über sie gebieten, ihnen überall Hemmnisse in den Weg legen, im alten Metter-
nichschen Sinn ihnen zurufen: bleibt auch ihr im Dunkel, weil mir das Licht
schädlich ist! -- dann wird das allgemeine europäische Bedürfniß es nicht schützen,
und die Nachbarn werden nur die eine Pflicht gegen sich selbst haben: zuzusehen,
daß der Einsturz des alten, stolzen, fremden Hauses, das aus den Fugen weicht,
1- t nicht auch sie in dem furchtbaren Schutt begräbt.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: Moritz Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Koalition ihm wird Widerstand leisten können. Den Mittelpunkt dieser Coalition
muß aber Oestreich bilden. Oestreich wird aber in all seinem Thun durch die un¬
ruhigen Nationalitätsgclüste der Italiener gehemmt und es liegt im allgemeinen
Interesse Europa's diese Gelüste um jeden Preis und unbedingt niederzuschlagen. —
Der Verfasser hätte noch weiter gehn können. Die Natioualitätsgelüste Deutschlands
hemmen Oestreich nicht weniger als die Italiens und die Existenz Preußens ist ihm,
wie Andrian ganz richtig zeigt, wenigstens ebenso gefährlich als die Existenz Sardiniens.
Wollte daher Europa consequent sein, so müßte es ganz Deutschland wie ganz Ita¬
lien dem östreichischen System unterwerfen, um in der Stunde der Krisis mit Erfolg
dem russischen Anprall Widerstand leisten zu können. Aber der Weg wäre nicht
blos sehr weitläufig, er würde auch nicht zum Ziel führen; denn der so zu Stande
gebrachte Coloß würde kein inneres Leben haben und der erste Stoß von außen
würde ihn über den Haufen werfen. Einfacher und zweckmäßiger wäre es, wenn
Oestreich seine Ansprüche nach den Zcitumstünden einschränkte, wenn es seine alte
Devise: ^.ustris,s Lst Imxerarö Ordi Iluivsrso, als unhaltbar aufgäbe und sich
so einrichtete, daß Deutschland und Italien, daß Preußen und Sardinien mit ihm
gute Nachbarschaft halten könnten. Ein enges Bündniß mit diesen beiden auf die
Nationalität gegründeten Mächten würde es gegen alle Gefahren sichern, die ihm von
Osten oder von Westen drohen können. Es würde ihm zugleich die Möglichkeit ge¬
ben, seine Ansprüche nach innen hin zu müßigen und eine wahrhaft populäre Ne¬
gierung zu schaffen.

Es ist vollkommen richtig, daß Preußen, daß Deutschland, daß alle Welt ein
Interesse hat an der Fortdauer Oestreichs; denn sollte dieser Staat einmal aufhören,
so wäre es schwer zu sagen, was man in jenen Gegenden eigentlich an die Stelle
setzen sollte, ' ohne der ärgsten Anarchie Raum zu geben. Aber mehr als alle an¬
dern ist doch Oestreich selbst an seiner Fortdauer betheiligt, und das Geringste, was
die Nachbarn fordern können, ist, daß es wenigstens sie in ihrer eignen Entwicke¬
lung nicht stört, wenn es selbst ihnen darin nicht folgen kann. Das vergangene
Jahr hat eine ernste Lehre gegeben, möge sie nicht vergessen sein. Oestreich kann
ein mächtiger und ein glücklicher Staat neben seinen freien Nachbarn bleiben; will
es über sie gebieten, ihnen überall Hemmnisse in den Weg legen, im alten Metter-
nichschen Sinn ihnen zurufen: bleibt auch ihr im Dunkel, weil mir das Licht
schädlich ist! — dann wird das allgemeine europäische Bedürfniß es nicht schützen,
und die Nachbarn werden nur die eine Pflicht gegen sich selbst haben: zuzusehen,
daß der Einsturz des alten, stolzen, fremden Hauses, das aus den Fugen weicht,
1- t nicht auch sie in dem furchtbaren Schutt begräbt.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Verantwortlicher Redacteur: Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0092] Koalition ihm wird Widerstand leisten können. Den Mittelpunkt dieser Coalition muß aber Oestreich bilden. Oestreich wird aber in all seinem Thun durch die un¬ ruhigen Nationalitätsgclüste der Italiener gehemmt und es liegt im allgemeinen Interesse Europa's diese Gelüste um jeden Preis und unbedingt niederzuschlagen. — Der Verfasser hätte noch weiter gehn können. Die Natioualitätsgelüste Deutschlands hemmen Oestreich nicht weniger als die Italiens und die Existenz Preußens ist ihm, wie Andrian ganz richtig zeigt, wenigstens ebenso gefährlich als die Existenz Sardiniens. Wollte daher Europa consequent sein, so müßte es ganz Deutschland wie ganz Ita¬ lien dem östreichischen System unterwerfen, um in der Stunde der Krisis mit Erfolg dem russischen Anprall Widerstand leisten zu können. Aber der Weg wäre nicht blos sehr weitläufig, er würde auch nicht zum Ziel führen; denn der so zu Stande gebrachte Coloß würde kein inneres Leben haben und der erste Stoß von außen würde ihn über den Haufen werfen. Einfacher und zweckmäßiger wäre es, wenn Oestreich seine Ansprüche nach den Zcitumstünden einschränkte, wenn es seine alte Devise: ^.ustris,s Lst Imxerarö Ordi Iluivsrso, als unhaltbar aufgäbe und sich so einrichtete, daß Deutschland und Italien, daß Preußen und Sardinien mit ihm gute Nachbarschaft halten könnten. Ein enges Bündniß mit diesen beiden auf die Nationalität gegründeten Mächten würde es gegen alle Gefahren sichern, die ihm von Osten oder von Westen drohen können. Es würde ihm zugleich die Möglichkeit ge¬ ben, seine Ansprüche nach innen hin zu müßigen und eine wahrhaft populäre Ne¬ gierung zu schaffen. Es ist vollkommen richtig, daß Preußen, daß Deutschland, daß alle Welt ein Interesse hat an der Fortdauer Oestreichs; denn sollte dieser Staat einmal aufhören, so wäre es schwer zu sagen, was man in jenen Gegenden eigentlich an die Stelle setzen sollte, ' ohne der ärgsten Anarchie Raum zu geben. Aber mehr als alle an¬ dern ist doch Oestreich selbst an seiner Fortdauer betheiligt, und das Geringste, was die Nachbarn fordern können, ist, daß es wenigstens sie in ihrer eignen Entwicke¬ lung nicht stört, wenn es selbst ihnen darin nicht folgen kann. Das vergangene Jahr hat eine ernste Lehre gegeben, möge sie nicht vergessen sein. Oestreich kann ein mächtiger und ein glücklicher Staat neben seinen freien Nachbarn bleiben; will es über sie gebieten, ihnen überall Hemmnisse in den Weg legen, im alten Metter- nichschen Sinn ihnen zurufen: bleibt auch ihr im Dunkel, weil mir das Licht schädlich ist! — dann wird das allgemeine europäische Bedürfniß es nicht schützen, und die Nachbarn werden nur die eine Pflicht gegen sich selbst haben: zuzusehen, daß der Einsturz des alten, stolzen, fremden Hauses, das aus den Fugen weicht, 1- t nicht auch sie in dem furchtbaren Schutt begräbt. Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt. Verantwortlicher Redacteur: Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/92>, abgerufen am 03.07.2024.