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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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mag dieses schon aus den Freiheitskriegen stammen, wo Radetzki Chef des
Generalstabs des Fürsten Schwarzenberg war. Vorzüglich hat aber dazu die
Addresse unseres Garde-Corps beigetragen. Oestreichische Offiziere erzählten
mir, sie selbst seien über das 1848 Geleistete höchst zweifelhaft gewesen. Die
Anerkennung von uns Preußen habe daher eine unbeschreibliche Wirkung ge¬
habt, eine grenzenlose Freude hervorgerufen. Offiziercorps wanderten nach
Verona, um sich das Original zu betrachten, das dort in einem großen Glas¬
kasten die Oberstelle einnehme vor alten Crachats, Marschallstäbcn, Ehren-
dcgen.

Vom General v. Wrangel hatte ich in Kissingen Empfehlungen aufge¬
tragen erhalten, die ebenso freundlich entgegen genommen wurden, als der
Wunsch, einmal wieder zu den Cvnccntrimngen in Oberitalien kommen zu
dürfen.

Nun lud mich der Marschall zum Diner um 4 Uhr, trug aber dem Oberst¬
lieutenant von L....... aus, Sorge zu tragen, daß ich mich bis dahin

nicht langweile. Es wurde ein Guide als Führer commandirt und der Schloß-
kaplan beordert, mir den Dom von Monza zu zeigen. Da aber der freund¬
liche behäbige Mann weder Deutsch noch Französisch verstand, und ich mich
in eine italienische Konversation nicht einlassen kann, so wurde auf lateinische
Reminiscenzen aus der um vierzig Jahre zurückliegenden Klosterschule recurrirt.

Der Dom ist romanischen Styls; einzelne Theile gehören dem sechsten
Jahrhunderte an, das Ganze dem vierzehnten. Daß Marco da Campione
auch diese Kathedrale baute, gibt mir den erneuten Beweis, wie die Italiener
die Gothik nimmer fassen konnten. Die Giebelsa^abc ist ebenso corrumpirt
als die des Mailänder Doms. Das Innere ist sehr bunt, mit Verzierungen
überlade"; ich fand nur ein gutes Bild, von Bernardo Luini, aber trotz
Glas und Nahmen gänzlich verdorben.

In der Schatzkammer zeigte ein Geistlicher allerhand Kuriositäten, denen
ich sonst gern entfliehe. Kronen der Lombardenköniginnen ergaben eine co¬
lossale Tragfähigkeit von hochdero Schädel; so waren die zum Schmuck getragenen
Kreuze enorm schwer, der Becher, aus dem der Gekrönte trank, besteht aus
einem Saphir, dessen Echtheit mir höchst zweifelhaft ist. Künstlerischen Werth
haben die reizend geschnitzten altrömischen Schreibtafeln.

Sehr gern hätte ich mich mit der Betrachtung der Nachbildung der eiser¬
nen Krone begnügt; das Vorzeigen des Originals war aber vom Schlosse
aus befohlen. Nun erschien ein Domherr im priesterlichen Ornat, ebenso costü-
mirte sich der Geistliche, welcher den Schatz gezeigt hatte, und unter dem Vor¬
tritt eines Kirchendieners und zweier Chorknaben, ging es in Procession nach
einem Seitenschiff der Kirche. Nachdem die Lichter auf einem Nebenaltar an¬
gezündet waren und gewaltige Weihrauchwolken empordampften, erstiegen der


mag dieses schon aus den Freiheitskriegen stammen, wo Radetzki Chef des
Generalstabs des Fürsten Schwarzenberg war. Vorzüglich hat aber dazu die
Addresse unseres Garde-Corps beigetragen. Oestreichische Offiziere erzählten
mir, sie selbst seien über das 1848 Geleistete höchst zweifelhaft gewesen. Die
Anerkennung von uns Preußen habe daher eine unbeschreibliche Wirkung ge¬
habt, eine grenzenlose Freude hervorgerufen. Offiziercorps wanderten nach
Verona, um sich das Original zu betrachten, das dort in einem großen Glas¬
kasten die Oberstelle einnehme vor alten Crachats, Marschallstäbcn, Ehren-
dcgen.

Vom General v. Wrangel hatte ich in Kissingen Empfehlungen aufge¬
tragen erhalten, die ebenso freundlich entgegen genommen wurden, als der
Wunsch, einmal wieder zu den Cvnccntrimngen in Oberitalien kommen zu
dürfen.

Nun lud mich der Marschall zum Diner um 4 Uhr, trug aber dem Oberst¬
lieutenant von L....... aus, Sorge zu tragen, daß ich mich bis dahin

nicht langweile. Es wurde ein Guide als Führer commandirt und der Schloß-
kaplan beordert, mir den Dom von Monza zu zeigen. Da aber der freund¬
liche behäbige Mann weder Deutsch noch Französisch verstand, und ich mich
in eine italienische Konversation nicht einlassen kann, so wurde auf lateinische
Reminiscenzen aus der um vierzig Jahre zurückliegenden Klosterschule recurrirt.

Der Dom ist romanischen Styls; einzelne Theile gehören dem sechsten
Jahrhunderte an, das Ganze dem vierzehnten. Daß Marco da Campione
auch diese Kathedrale baute, gibt mir den erneuten Beweis, wie die Italiener
die Gothik nimmer fassen konnten. Die Giebelsa^abc ist ebenso corrumpirt
als die des Mailänder Doms. Das Innere ist sehr bunt, mit Verzierungen
überlade»; ich fand nur ein gutes Bild, von Bernardo Luini, aber trotz
Glas und Nahmen gänzlich verdorben.

In der Schatzkammer zeigte ein Geistlicher allerhand Kuriositäten, denen
ich sonst gern entfliehe. Kronen der Lombardenköniginnen ergaben eine co¬
lossale Tragfähigkeit von hochdero Schädel; so waren die zum Schmuck getragenen
Kreuze enorm schwer, der Becher, aus dem der Gekrönte trank, besteht aus
einem Saphir, dessen Echtheit mir höchst zweifelhaft ist. Künstlerischen Werth
haben die reizend geschnitzten altrömischen Schreibtafeln.

Sehr gern hätte ich mich mit der Betrachtung der Nachbildung der eiser¬
nen Krone begnügt; das Vorzeigen des Originals war aber vom Schlosse
aus befohlen. Nun erschien ein Domherr im priesterlichen Ornat, ebenso costü-
mirte sich der Geistliche, welcher den Schatz gezeigt hatte, und unter dem Vor¬
tritt eines Kirchendieners und zweier Chorknaben, ging es in Procession nach
einem Seitenschiff der Kirche. Nachdem die Lichter auf einem Nebenaltar an¬
gezündet waren und gewaltige Weihrauchwolken empordampften, erstiegen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/64>, abgerufen am 23.07.2024.