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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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es grenze an das Wunderbare, mit welcher Sicherheit Radetzki die Punkte an>
gegeben habe, wo man die Piemontesen treffen und schlagen werde.

Bevor ich meine Unterredung mit dem Marschall aufzeichne, will ich be¬
merken, daß er den östreichischen Dialekt nur wenig hören ließ. Ueberhaupt
ist man jetzt hier sichtlich bestrebt, das Deutsch zu sprechen, wie man es auf
den guten Bühne hört. Sprachen doch früher viele vornehme Oestreicher.
namentlich die Damen, Französisch, um nicht ihr Deutsch hören zu lassen.
Dem Norddeutschen, namentlich dem specifischen Preußen, ist die Sprache dem
Süddeutschen gegenüber ein Geheimniß des Vertrautwerdens: man hält jene
für geziert. Auch den kleinsten Zug zur Charakteristik des Marschalls möchte
ich nicht unangemerkt lassen. Als ich ihm bei dem Auf- und Niedergehen im
Salon, wie bei uns üblich, stets die Ehrenseite ließ, zupfte er mich am Aermel
und sagte: "Lassens gut sein, so was kennen wir hier nicht."

Zunächst wurden die politischen Verhältnisse der Gegenwart verhandelt.
Daß sich der Marschall mir gegenüber, dem Fremden, und es muß hervorge¬
hoben werden, dem Preußen, so rückhaltslos aussprach, so ohne jeden Schim¬
mer des Absichtlichen, das war geeignet, mich recht an meine eigene unbedeu¬
tende Stellung zu erinnern. Es waltete aber dabei eine so liebenswürdige
Vertraulichkeit, eine so heitere Laune, daß man den ehrwürdigen Herrn nur
noch höher stehend, auf einem erhabenen Standpunkte erkannte, von wo er
auch selbst auf diese Verhältnisse herab blickt. Dabei war er aber mit der
regsten Theilnahme bei der Sache und lebte noch in der Zukunft. Ein Gc-
neralstabsofsizier versicherte mir, daß er sich eben jetzt mit der Ausarbeitung
eines großen Operationsplanes gegen Frankreich beschäftige.

Der Marschall hielt die Ruhe in der Lombardei, noch mehr im Venetia-
nischen, für gesichert. Der Bauernstand, stets von guter Gesinnung, erkenne
dankbar die Wiederherstellung von Ruhe und Sicherheit an; dagegen sei der
Geistlichkeit durchaus nicht zu trauen. Die revolutionäre Partei in den Städten
bestehe aus nachgeborenen Edelleuten, die ohne bestimmte Beschäftigung, aus
Advokaten und Aerzten. Sie sei in der entschiedensten Minorität; allein aus
Furcht vor einem Dolchstich wagen die Gutgesinnten nicht sich auszusprechen,
und das neuliche Attentat in Mailand habe unberechenbaren Nachtheil. In
Toskana, im Kirchenstaate, sehe es aber sehr bös aus, und die Piemontesen
müßten, trotz der beiden Lektionen, noch einmal abgestraft werden. "Sehen
Sie, lieber Baron, ich habe 88,000 Mann und 300 Kanonen. Toskana be¬
darf 10,000 Mann, eben soviel der Kirchenstaat. 20,000 Mann muß ich hier
in den Garnisonen lassen; aber mit 48,ovo Mann und 150 Kanonen stehe
ich in acht Tagen am Ticino, und das ist halt genug. Nach der Affaire von
Verona, da braucht' ich nur vorwärts zu marschiren, so hatt' ich die ganze
Gesellschaft; sie saßen fest am Gebirge, nicht eine einzige Kanone entkam.


es grenze an das Wunderbare, mit welcher Sicherheit Radetzki die Punkte an>
gegeben habe, wo man die Piemontesen treffen und schlagen werde.

Bevor ich meine Unterredung mit dem Marschall aufzeichne, will ich be¬
merken, daß er den östreichischen Dialekt nur wenig hören ließ. Ueberhaupt
ist man jetzt hier sichtlich bestrebt, das Deutsch zu sprechen, wie man es auf
den guten Bühne hört. Sprachen doch früher viele vornehme Oestreicher.
namentlich die Damen, Französisch, um nicht ihr Deutsch hören zu lassen.
Dem Norddeutschen, namentlich dem specifischen Preußen, ist die Sprache dem
Süddeutschen gegenüber ein Geheimniß des Vertrautwerdens: man hält jene
für geziert. Auch den kleinsten Zug zur Charakteristik des Marschalls möchte
ich nicht unangemerkt lassen. Als ich ihm bei dem Auf- und Niedergehen im
Salon, wie bei uns üblich, stets die Ehrenseite ließ, zupfte er mich am Aermel
und sagte: „Lassens gut sein, so was kennen wir hier nicht."

Zunächst wurden die politischen Verhältnisse der Gegenwart verhandelt.
Daß sich der Marschall mir gegenüber, dem Fremden, und es muß hervorge¬
hoben werden, dem Preußen, so rückhaltslos aussprach, so ohne jeden Schim¬
mer des Absichtlichen, das war geeignet, mich recht an meine eigene unbedeu¬
tende Stellung zu erinnern. Es waltete aber dabei eine so liebenswürdige
Vertraulichkeit, eine so heitere Laune, daß man den ehrwürdigen Herrn nur
noch höher stehend, auf einem erhabenen Standpunkte erkannte, von wo er
auch selbst auf diese Verhältnisse herab blickt. Dabei war er aber mit der
regsten Theilnahme bei der Sache und lebte noch in der Zukunft. Ein Gc-
neralstabsofsizier versicherte mir, daß er sich eben jetzt mit der Ausarbeitung
eines großen Operationsplanes gegen Frankreich beschäftige.

Der Marschall hielt die Ruhe in der Lombardei, noch mehr im Venetia-
nischen, für gesichert. Der Bauernstand, stets von guter Gesinnung, erkenne
dankbar die Wiederherstellung von Ruhe und Sicherheit an; dagegen sei der
Geistlichkeit durchaus nicht zu trauen. Die revolutionäre Partei in den Städten
bestehe aus nachgeborenen Edelleuten, die ohne bestimmte Beschäftigung, aus
Advokaten und Aerzten. Sie sei in der entschiedensten Minorität; allein aus
Furcht vor einem Dolchstich wagen die Gutgesinnten nicht sich auszusprechen,
und das neuliche Attentat in Mailand habe unberechenbaren Nachtheil. In
Toskana, im Kirchenstaate, sehe es aber sehr bös aus, und die Piemontesen
müßten, trotz der beiden Lektionen, noch einmal abgestraft werden. „Sehen
Sie, lieber Baron, ich habe 88,000 Mann und 300 Kanonen. Toskana be¬
darf 10,000 Mann, eben soviel der Kirchenstaat. 20,000 Mann muß ich hier
in den Garnisonen lassen; aber mit 48,ovo Mann und 150 Kanonen stehe
ich in acht Tagen am Ticino, und das ist halt genug. Nach der Affaire von
Verona, da braucht' ich nur vorwärts zu marschiren, so hatt' ich die ganze
Gesellschaft; sie saßen fest am Gebirge, nicht eine einzige Kanone entkam.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/62>, abgerufen am 23.07.2024.