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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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als das bloße Urtheil über zwei Menschen. Wir glauben, daß i" einer Re¬
volutionszeit die Mittelpartei sich solidarisch zusammenbinden und die öffent¬
liche Macht in die Hände nehmen muß, sonst kann sie wol gegen Reaction und
Anarchie declamiren. aber sie nicht bezwingen. Ging Mirabeau wirklich die
Idee der konstitutionellen Monarchie über seine Persönlichkeit, so mußte er sich
um jeden Preis mit Lafayette verbinden; wie sehr aber Lafayette Veran¬
lassung hatte, ihm zu mißtrauen und gegen ihn zurückhaltend zu sein, das
zeigt grade am deutlichsten die Korrespondenz mit Aremberg.

Dies ist der einzige Punkt in der französischen Revolutionsgeschichte, in
welchem wir von Sybel abweichen. Die Geschichte der Demokratie ist ein
Meisterstück, und von^den früheren Geschichtschreibern hat der einzige Barante
auf ein ähnliches Resultat hingelenkt, dessen Darstellung aber sich mit der
männlichen Energie des Sybel'schen Stils in keiner Weise vergleichen läßt.
Ueber die Geschichte der polnischen Wirthschaft ist schon früher in diesen
Blättern das Nöthige gesagt worden. Seit der Zeit sind eine Reihe russischer
Denkwürdigkeiten erschienen, aus deren Benutzung wir Sybels Methode eini¬
germaßen controlliren können: er hat den eigentlich politischen Inhalt der¬
selben vollständig in seine Darstellung aufgenommen; die persönlichen, pikanten
Momente aber verschmäht. Sybel ist aus Rankes Schule, aber darin weicht
er von seinem Lehrer vollständig ab: er behandelt die ernsten Gegenstände
mit strengem Ernst. Humor und Ironie wendet er fast nie an. Sonst weiß
er sehr schön zu charakterisirc"; was er z. B. über Danton oder Robespierre
sagt, ist ausgezeichnet; aber er nimmt von der Farbe immer nur so viel, als
zu der gehaltenen Stimmung des Ganzen paßt.

Gegen Häussers Buch sind verschiedene Ausstellungen gemacht worden,
die aber hauptsächlich von den politischen Gegnern herrühren. Jeder Schrift¬
steller hat eine eigene Individualität und hat das Recht dazu. Daß Hauffer
mit seiner Parteistellung so offen und entschieden hervortritt, daß er nicht als
Weltbürger schreibt, sondern als deutscher Patriot, das ist es grübe, was. uns
bei ihm anzieht, und wenn auch wir in der Darstellung bald mehr Eile, bald
mehr Ausführlichkeit wünschten, so ist das eben nur ein individueller Wunsch;
das ganze Buch macht einen erhebenden Eindruck, und das große Verdienst,
die verworrenen Fäden der deutschen Politik in den Jahren 1790--95 und
1802--09 entwirrt zu haben, wird ihm kein Gegner bestreite" können. Hauffer
hat im vergangenen Jahre über die Zweckmäßigkeit der preußischen Politik
andere Ansichten gehabt als wir, und man erzählte mit einer gewissen Scha¬
denfreude, er sei großdeutsch geworden: die zweite Auflage seines Buchs ist
die beste Antwort darauf. Es ist dieselbe unerschütterliche Ueberzeugung, der¬
selbe männliche Freimuth im Ausdruck derselben. In Opportunitätsfragen


als das bloße Urtheil über zwei Menschen. Wir glauben, daß i» einer Re¬
volutionszeit die Mittelpartei sich solidarisch zusammenbinden und die öffent¬
liche Macht in die Hände nehmen muß, sonst kann sie wol gegen Reaction und
Anarchie declamiren. aber sie nicht bezwingen. Ging Mirabeau wirklich die
Idee der konstitutionellen Monarchie über seine Persönlichkeit, so mußte er sich
um jeden Preis mit Lafayette verbinden; wie sehr aber Lafayette Veran¬
lassung hatte, ihm zu mißtrauen und gegen ihn zurückhaltend zu sein, das
zeigt grade am deutlichsten die Korrespondenz mit Aremberg.

Dies ist der einzige Punkt in der französischen Revolutionsgeschichte, in
welchem wir von Sybel abweichen. Die Geschichte der Demokratie ist ein
Meisterstück, und von^den früheren Geschichtschreibern hat der einzige Barante
auf ein ähnliches Resultat hingelenkt, dessen Darstellung aber sich mit der
männlichen Energie des Sybel'schen Stils in keiner Weise vergleichen läßt.
Ueber die Geschichte der polnischen Wirthschaft ist schon früher in diesen
Blättern das Nöthige gesagt worden. Seit der Zeit sind eine Reihe russischer
Denkwürdigkeiten erschienen, aus deren Benutzung wir Sybels Methode eini¬
germaßen controlliren können: er hat den eigentlich politischen Inhalt der¬
selben vollständig in seine Darstellung aufgenommen; die persönlichen, pikanten
Momente aber verschmäht. Sybel ist aus Rankes Schule, aber darin weicht
er von seinem Lehrer vollständig ab: er behandelt die ernsten Gegenstände
mit strengem Ernst. Humor und Ironie wendet er fast nie an. Sonst weiß
er sehr schön zu charakterisirc»; was er z. B. über Danton oder Robespierre
sagt, ist ausgezeichnet; aber er nimmt von der Farbe immer nur so viel, als
zu der gehaltenen Stimmung des Ganzen paßt.

Gegen Häussers Buch sind verschiedene Ausstellungen gemacht worden,
die aber hauptsächlich von den politischen Gegnern herrühren. Jeder Schrift¬
steller hat eine eigene Individualität und hat das Recht dazu. Daß Hauffer
mit seiner Parteistellung so offen und entschieden hervortritt, daß er nicht als
Weltbürger schreibt, sondern als deutscher Patriot, das ist es grübe, was. uns
bei ihm anzieht, und wenn auch wir in der Darstellung bald mehr Eile, bald
mehr Ausführlichkeit wünschten, so ist das eben nur ein individueller Wunsch;
das ganze Buch macht einen erhebenden Eindruck, und das große Verdienst,
die verworrenen Fäden der deutschen Politik in den Jahren 1790—95 und
1802—09 entwirrt zu haben, wird ihm kein Gegner bestreite» können. Hauffer
hat im vergangenen Jahre über die Zweckmäßigkeit der preußischen Politik
andere Ansichten gehabt als wir, und man erzählte mit einer gewissen Scha¬
denfreude, er sei großdeutsch geworden: die zweite Auflage seines Buchs ist
die beste Antwort darauf. Es ist dieselbe unerschütterliche Ueberzeugung, der¬
selbe männliche Freimuth im Ausdruck derselben. In Opportunitätsfragen


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[0524] als das bloße Urtheil über zwei Menschen. Wir glauben, daß i» einer Re¬ volutionszeit die Mittelpartei sich solidarisch zusammenbinden und die öffent¬ liche Macht in die Hände nehmen muß, sonst kann sie wol gegen Reaction und Anarchie declamiren. aber sie nicht bezwingen. Ging Mirabeau wirklich die Idee der konstitutionellen Monarchie über seine Persönlichkeit, so mußte er sich um jeden Preis mit Lafayette verbinden; wie sehr aber Lafayette Veran¬ lassung hatte, ihm zu mißtrauen und gegen ihn zurückhaltend zu sein, das zeigt grade am deutlichsten die Korrespondenz mit Aremberg. Dies ist der einzige Punkt in der französischen Revolutionsgeschichte, in welchem wir von Sybel abweichen. Die Geschichte der Demokratie ist ein Meisterstück, und von^den früheren Geschichtschreibern hat der einzige Barante auf ein ähnliches Resultat hingelenkt, dessen Darstellung aber sich mit der männlichen Energie des Sybel'schen Stils in keiner Weise vergleichen läßt. Ueber die Geschichte der polnischen Wirthschaft ist schon früher in diesen Blättern das Nöthige gesagt worden. Seit der Zeit sind eine Reihe russischer Denkwürdigkeiten erschienen, aus deren Benutzung wir Sybels Methode eini¬ germaßen controlliren können: er hat den eigentlich politischen Inhalt der¬ selben vollständig in seine Darstellung aufgenommen; die persönlichen, pikanten Momente aber verschmäht. Sybel ist aus Rankes Schule, aber darin weicht er von seinem Lehrer vollständig ab: er behandelt die ernsten Gegenstände mit strengem Ernst. Humor und Ironie wendet er fast nie an. Sonst weiß er sehr schön zu charakterisirc»; was er z. B. über Danton oder Robespierre sagt, ist ausgezeichnet; aber er nimmt von der Farbe immer nur so viel, als zu der gehaltenen Stimmung des Ganzen paßt. Gegen Häussers Buch sind verschiedene Ausstellungen gemacht worden, die aber hauptsächlich von den politischen Gegnern herrühren. Jeder Schrift¬ steller hat eine eigene Individualität und hat das Recht dazu. Daß Hauffer mit seiner Parteistellung so offen und entschieden hervortritt, daß er nicht als Weltbürger schreibt, sondern als deutscher Patriot, das ist es grübe, was. uns bei ihm anzieht, und wenn auch wir in der Darstellung bald mehr Eile, bald mehr Ausführlichkeit wünschten, so ist das eben nur ein individueller Wunsch; das ganze Buch macht einen erhebenden Eindruck, und das große Verdienst, die verworrenen Fäden der deutschen Politik in den Jahren 1790—95 und 1802—09 entwirrt zu haben, wird ihm kein Gegner bestreite» können. Hauffer hat im vergangenen Jahre über die Zweckmäßigkeit der preußischen Politik andere Ansichten gehabt als wir, und man erzählte mit einer gewissen Scha¬ denfreude, er sei großdeutsch geworden: die zweite Auflage seines Buchs ist die beste Antwort darauf. Es ist dieselbe unerschütterliche Ueberzeugung, der¬ selbe männliche Freimuth im Ausdruck derselben. In Opportunitätsfragen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/524>, abgerufen am 23.07.2024.