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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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jenige von Kronstäbe und Se. Petersburg. Freilich ruht jetzt alles, was früher
arbeitete. In der kolossalen Ankersckmiedc ist nur die kleinste Dampfmaschine
im Gang für Reparaturen, nebenbei wird etwas Eisengießerei, meist für fremde
Rechnung, betrieben. Die gewaltigen Werkzeugmaschinen aus den besten eng¬
lischen Fabriken stehen still und würden einrosten, wenn sich nicht von Zeit zu
Zeit einige schläfrige Soldaten daran hcrumrieben. Die Werkstätten, die Vor¬
rathshäuser, die Docks mit ihren ungeheuren Krahnen, die massenhaft auf¬
geschichteten Bauhölzer, alles das sieht jetzt so todt, verschossen, verkommen
aus, als sei es schon seit vielen langen Jahren unthätig sich selber überlassen.
Statt der 22,000 Arbeiter, welche früher hier beschäftigt wurden, sind jetzt
höchstens noch tausend, theils zur Wache und Aufsicht, theils in wirklicher
Thätigkeit, in den Arsenälen. Die Mehrzahl der andern wohnt immer noch
in Nicolajeff, und zwar in dem besondern Quartiere der Soldatenstadt, wo
sie in Häusern der Krone angesiedelt sind, aber außer der Wohnung fast gar
nichts haben, um ihr Leben zu fristen. Man mag eine politische Ansicht thei¬
len, welche man will. Anhänger der Friedensfreunde sein oder nicht, diese Er-
storbenheit, dieses plötzliche Stocken eines wohlgeregelten, großartigen Mechanis¬
mus thut einem weh, und man bedauert die hier nutzlos schlummernden
Geld- und Arbeitskräfte. Ein paar kleine bewaffnete Dampfer, augenschein¬
lich mehr zu Luftfahrten, wie zu ernsten Zwecken gebaut, und einige Wacht-
schiffe waren der ganze Nest der Marine im Hafen. Auf dem großen Werfte,
welches am Bug erbaut ist. lag eine ziemliche Anzahl von Schiffsgerippen,
darunter drei große Fregatten, nebeneinander, unvollendet, unberührt da; ihr
Holz beginnt schon zu verwittern, in einigen Jahren werden sie vollkommen
unbrauchbare Ruinen sein. Es braucht kaum gesagt zu werden, von welchem
Einfluß dieser Zustand auf das Wohl der Stadt und einer großen Anzahl
ihrer Bewohner ist; sie gehen, wenn nicht Hilfe kommt, mit schnellen Schritten
ihrem Untergang entgegen, sehen wenigstens in eine trübe Zukunft. Viele
Leute, die sich sonst in dem rührigen Nicolajeff gefielen oder darin ihren Unter¬
halt fanden, haben sich weggezogen. Selten erblickt man einen Menschen in
den breiten Straßen; die einstöckigen Häuser, deren Mehrzahl übrigens Eigen¬
thum der Krone ist, sind vielfach verwahrlost, viele stehen leer, die Stadt ist
eine wurzelkranke Treibhauspflanze.

Lebhafter geht es vor der berühmten Wasserquelle zu, in der Nähe des
Kronwerstes, der Bugbrücke und der Landung gegenüber. Gute Quellen sind
im Süden immer Gegenstand der Verehrung und des Stolzes der Anwohner,
die von Nicolajeff ist die größte Wohlthat für die Stadt, obgleich sie von
deren Centrum sehr weit entfernt ist. Es gibt zwar Ziehbrunnen und Cister-
nen, allein zum hauptsächlichen Gebrauch wird das Quellenwasser vorgezogen.
Daher ist das Bassin stets von Hunderten von Karren und Tonnen umringt,


jenige von Kronstäbe und Se. Petersburg. Freilich ruht jetzt alles, was früher
arbeitete. In der kolossalen Ankersckmiedc ist nur die kleinste Dampfmaschine
im Gang für Reparaturen, nebenbei wird etwas Eisengießerei, meist für fremde
Rechnung, betrieben. Die gewaltigen Werkzeugmaschinen aus den besten eng¬
lischen Fabriken stehen still und würden einrosten, wenn sich nicht von Zeit zu
Zeit einige schläfrige Soldaten daran hcrumrieben. Die Werkstätten, die Vor¬
rathshäuser, die Docks mit ihren ungeheuren Krahnen, die massenhaft auf¬
geschichteten Bauhölzer, alles das sieht jetzt so todt, verschossen, verkommen
aus, als sei es schon seit vielen langen Jahren unthätig sich selber überlassen.
Statt der 22,000 Arbeiter, welche früher hier beschäftigt wurden, sind jetzt
höchstens noch tausend, theils zur Wache und Aufsicht, theils in wirklicher
Thätigkeit, in den Arsenälen. Die Mehrzahl der andern wohnt immer noch
in Nicolajeff, und zwar in dem besondern Quartiere der Soldatenstadt, wo
sie in Häusern der Krone angesiedelt sind, aber außer der Wohnung fast gar
nichts haben, um ihr Leben zu fristen. Man mag eine politische Ansicht thei¬
len, welche man will. Anhänger der Friedensfreunde sein oder nicht, diese Er-
storbenheit, dieses plötzliche Stocken eines wohlgeregelten, großartigen Mechanis¬
mus thut einem weh, und man bedauert die hier nutzlos schlummernden
Geld- und Arbeitskräfte. Ein paar kleine bewaffnete Dampfer, augenschein¬
lich mehr zu Luftfahrten, wie zu ernsten Zwecken gebaut, und einige Wacht-
schiffe waren der ganze Nest der Marine im Hafen. Auf dem großen Werfte,
welches am Bug erbaut ist. lag eine ziemliche Anzahl von Schiffsgerippen,
darunter drei große Fregatten, nebeneinander, unvollendet, unberührt da; ihr
Holz beginnt schon zu verwittern, in einigen Jahren werden sie vollkommen
unbrauchbare Ruinen sein. Es braucht kaum gesagt zu werden, von welchem
Einfluß dieser Zustand auf das Wohl der Stadt und einer großen Anzahl
ihrer Bewohner ist; sie gehen, wenn nicht Hilfe kommt, mit schnellen Schritten
ihrem Untergang entgegen, sehen wenigstens in eine trübe Zukunft. Viele
Leute, die sich sonst in dem rührigen Nicolajeff gefielen oder darin ihren Unter¬
halt fanden, haben sich weggezogen. Selten erblickt man einen Menschen in
den breiten Straßen; die einstöckigen Häuser, deren Mehrzahl übrigens Eigen¬
thum der Krone ist, sind vielfach verwahrlost, viele stehen leer, die Stadt ist
eine wurzelkranke Treibhauspflanze.

Lebhafter geht es vor der berühmten Wasserquelle zu, in der Nähe des
Kronwerstes, der Bugbrücke und der Landung gegenüber. Gute Quellen sind
im Süden immer Gegenstand der Verehrung und des Stolzes der Anwohner,
die von Nicolajeff ist die größte Wohlthat für die Stadt, obgleich sie von
deren Centrum sehr weit entfernt ist. Es gibt zwar Ziehbrunnen und Cister-
nen, allein zum hauptsächlichen Gebrauch wird das Quellenwasser vorgezogen.
Daher ist das Bassin stets von Hunderten von Karren und Tonnen umringt,


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[0474] jenige von Kronstäbe und Se. Petersburg. Freilich ruht jetzt alles, was früher arbeitete. In der kolossalen Ankersckmiedc ist nur die kleinste Dampfmaschine im Gang für Reparaturen, nebenbei wird etwas Eisengießerei, meist für fremde Rechnung, betrieben. Die gewaltigen Werkzeugmaschinen aus den besten eng¬ lischen Fabriken stehen still und würden einrosten, wenn sich nicht von Zeit zu Zeit einige schläfrige Soldaten daran hcrumrieben. Die Werkstätten, die Vor¬ rathshäuser, die Docks mit ihren ungeheuren Krahnen, die massenhaft auf¬ geschichteten Bauhölzer, alles das sieht jetzt so todt, verschossen, verkommen aus, als sei es schon seit vielen langen Jahren unthätig sich selber überlassen. Statt der 22,000 Arbeiter, welche früher hier beschäftigt wurden, sind jetzt höchstens noch tausend, theils zur Wache und Aufsicht, theils in wirklicher Thätigkeit, in den Arsenälen. Die Mehrzahl der andern wohnt immer noch in Nicolajeff, und zwar in dem besondern Quartiere der Soldatenstadt, wo sie in Häusern der Krone angesiedelt sind, aber außer der Wohnung fast gar nichts haben, um ihr Leben zu fristen. Man mag eine politische Ansicht thei¬ len, welche man will. Anhänger der Friedensfreunde sein oder nicht, diese Er- storbenheit, dieses plötzliche Stocken eines wohlgeregelten, großartigen Mechanis¬ mus thut einem weh, und man bedauert die hier nutzlos schlummernden Geld- und Arbeitskräfte. Ein paar kleine bewaffnete Dampfer, augenschein¬ lich mehr zu Luftfahrten, wie zu ernsten Zwecken gebaut, und einige Wacht- schiffe waren der ganze Nest der Marine im Hafen. Auf dem großen Werfte, welches am Bug erbaut ist. lag eine ziemliche Anzahl von Schiffsgerippen, darunter drei große Fregatten, nebeneinander, unvollendet, unberührt da; ihr Holz beginnt schon zu verwittern, in einigen Jahren werden sie vollkommen unbrauchbare Ruinen sein. Es braucht kaum gesagt zu werden, von welchem Einfluß dieser Zustand auf das Wohl der Stadt und einer großen Anzahl ihrer Bewohner ist; sie gehen, wenn nicht Hilfe kommt, mit schnellen Schritten ihrem Untergang entgegen, sehen wenigstens in eine trübe Zukunft. Viele Leute, die sich sonst in dem rührigen Nicolajeff gefielen oder darin ihren Unter¬ halt fanden, haben sich weggezogen. Selten erblickt man einen Menschen in den breiten Straßen; die einstöckigen Häuser, deren Mehrzahl übrigens Eigen¬ thum der Krone ist, sind vielfach verwahrlost, viele stehen leer, die Stadt ist eine wurzelkranke Treibhauspflanze. Lebhafter geht es vor der berühmten Wasserquelle zu, in der Nähe des Kronwerstes, der Bugbrücke und der Landung gegenüber. Gute Quellen sind im Süden immer Gegenstand der Verehrung und des Stolzes der Anwohner, die von Nicolajeff ist die größte Wohlthat für die Stadt, obgleich sie von deren Centrum sehr weit entfernt ist. Es gibt zwar Ziehbrunnen und Cister- nen, allein zum hauptsächlichen Gebrauch wird das Quellenwasser vorgezogen. Daher ist das Bassin stets von Hunderten von Karren und Tonnen umringt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/474>, abgerufen am 23.07.2024.