Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.wackerer Jungen gesegnet war, steuerte auf einen solchen Posten los, wie mir Durch einen Gastfreund ward es mir ermöglicht, in Nicolajeff vieles zu wackerer Jungen gesegnet war, steuerte auf einen solchen Posten los, wie mir Durch einen Gastfreund ward es mir ermöglicht, in Nicolajeff vieles zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109195"/> <p xml:id="ID_1350" prev="#ID_1349"> wackerer Jungen gesegnet war, steuerte auf einen solchen Posten los, wie mir<lb/> seine liebenswürdige Frau im besten Französisch erzählte. Mit ihm selber<lb/> gestaltete sich die Unterhaltung äußerst einsilbig, er verstand kein Wort einer<lb/> fremden Sprache und ich sehr wenig Russisch. Ein leidenschaftlicher Raucher,<lb/> verfertigte er den ganzen Tag für mich Papyros und weihte mich in das Ge¬<lb/> heimniß der wohlfeilsten Cigarrenröhren ein, die aus einem Stück Schilfrohr<lb/> bestehen und hier sehr im Gebrauch sind. Der gute Mann hatte einen un¬<lb/> begreiflichen Fehler: er konnte keinen Wein trinken; wie es schien der Aus¬<lb/> gleichung halber war er einem kräftigen Schnapse, auch mehreren, durchaus<lb/> nicht abhold, und eine seiner Lieblingsbeschäftigungen bestand in der Zusam¬<lb/> menstellung derartiger Mixturen aus allen möglichen Kräutern, Früchten und<lb/> Gewürzen. Ich sehe ihn noch mir gegenüber sitzen, mit dem apfelrunden,<lb/> rothen, glänzenden Gesicht, das ein furchtbarer, blonder Schnurrbart in zwei<lb/> völlig gleiche Theile schied, wie er mit einem schlauen Lächeln der wasserblauen<lb/> Augen das Gläschen emporhob, mit unnachahmlicher Geschicklichkett dessen<lb/> Inhalt hinabwarf, es dann wieder füllte und mir hinreichte mit dem unaus¬<lb/> bleiblichen Empfehlungswort-. „Karascho!" — „Karascho." antwortete ich ihm,<lb/> und so ging das Gläslein, oder wenn man will, das Glas, recht häufig hin<lb/> und her. Damals ward die deutsche Standhaftigkeit auf eine schwere Probe<lb/> gesetzt; es ist in der Fremde gut, wenn man etwas gelernt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1351" next="#ID_1352"> Durch einen Gastfreund ward es mir ermöglicht, in Nicolajeff vieles zu<lb/> sehen, was dem Fremden sonst nicht gezeigt wird. Unser erster Gang führte<lb/> nach der Artillericschule. Sie ist ein prächtiges Gebäude aus einem freien<lb/> Platze, gerade in der Spitze der Halbinsel, sodaß man von hier aus den<lb/> besten Ueberblick über die Lage hat. Der Ingut, der an dieser Stelle in den<lb/> Bug mündet, ist zwar nur ein kleiner Fluß, aber hier von solcher Tiefe, daß<lb/> er Linienschiffe ausnehmen kann. Die Kunst hat das Ihrige dazu gethan,<lb/> aus ihm einen Hafen für die Marine zu machen; der Handelshafen der Stadt<lb/> befindet sich jenseits im Bug. Aufwärts am Ingut hin führt die hübsche<lb/> gutgehaltene Promenade, in deren Mitte das ziemlich einfache Palais des<lb/> Gouverneurs steht, wo Kaiser Nicolaus oft gewohnt hat. Auf der ganzen<lb/> Länge des Spazierganges begleiten uns zur Linken über dem Flußufer uner¬<lb/> meßliche Reihen von Bomben und Kugeln jeder Art in Haufen geschichtet,<lb/> Mörser, Kanonen, sämmtlich aus Gußeisen; mannshoch wächst das Gras und<lb/> Unkraut zwischen ihnen empor, aus dem Zündloch einer furchbaren Haubitze<lb/> war ein Waizenhalm mit mehreren Aehren aufgeschossen, ein rechtes Sinnbild<lb/> des Friedens. Es hätte geraume Zeit bedurft, die Röhre, die hier lagen,<lb/> zu zählen, und doch waren noch weit mehr davon in den Arsenälen selbst auf¬<lb/> gehäuft. Ich kenne die englischen und die französischen Seekriegswerkstätten,<lb/> trotzdem hat mir diese russische imponirt; sie erschien mir bedeutender, wie die-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0473]
wackerer Jungen gesegnet war, steuerte auf einen solchen Posten los, wie mir
seine liebenswürdige Frau im besten Französisch erzählte. Mit ihm selber
gestaltete sich die Unterhaltung äußerst einsilbig, er verstand kein Wort einer
fremden Sprache und ich sehr wenig Russisch. Ein leidenschaftlicher Raucher,
verfertigte er den ganzen Tag für mich Papyros und weihte mich in das Ge¬
heimniß der wohlfeilsten Cigarrenröhren ein, die aus einem Stück Schilfrohr
bestehen und hier sehr im Gebrauch sind. Der gute Mann hatte einen un¬
begreiflichen Fehler: er konnte keinen Wein trinken; wie es schien der Aus¬
gleichung halber war er einem kräftigen Schnapse, auch mehreren, durchaus
nicht abhold, und eine seiner Lieblingsbeschäftigungen bestand in der Zusam¬
menstellung derartiger Mixturen aus allen möglichen Kräutern, Früchten und
Gewürzen. Ich sehe ihn noch mir gegenüber sitzen, mit dem apfelrunden,
rothen, glänzenden Gesicht, das ein furchtbarer, blonder Schnurrbart in zwei
völlig gleiche Theile schied, wie er mit einem schlauen Lächeln der wasserblauen
Augen das Gläschen emporhob, mit unnachahmlicher Geschicklichkett dessen
Inhalt hinabwarf, es dann wieder füllte und mir hinreichte mit dem unaus¬
bleiblichen Empfehlungswort-. „Karascho!" — „Karascho." antwortete ich ihm,
und so ging das Gläslein, oder wenn man will, das Glas, recht häufig hin
und her. Damals ward die deutsche Standhaftigkeit auf eine schwere Probe
gesetzt; es ist in der Fremde gut, wenn man etwas gelernt hat.
Durch einen Gastfreund ward es mir ermöglicht, in Nicolajeff vieles zu
sehen, was dem Fremden sonst nicht gezeigt wird. Unser erster Gang führte
nach der Artillericschule. Sie ist ein prächtiges Gebäude aus einem freien
Platze, gerade in der Spitze der Halbinsel, sodaß man von hier aus den
besten Ueberblick über die Lage hat. Der Ingut, der an dieser Stelle in den
Bug mündet, ist zwar nur ein kleiner Fluß, aber hier von solcher Tiefe, daß
er Linienschiffe ausnehmen kann. Die Kunst hat das Ihrige dazu gethan,
aus ihm einen Hafen für die Marine zu machen; der Handelshafen der Stadt
befindet sich jenseits im Bug. Aufwärts am Ingut hin führt die hübsche
gutgehaltene Promenade, in deren Mitte das ziemlich einfache Palais des
Gouverneurs steht, wo Kaiser Nicolaus oft gewohnt hat. Auf der ganzen
Länge des Spazierganges begleiten uns zur Linken über dem Flußufer uner¬
meßliche Reihen von Bomben und Kugeln jeder Art in Haufen geschichtet,
Mörser, Kanonen, sämmtlich aus Gußeisen; mannshoch wächst das Gras und
Unkraut zwischen ihnen empor, aus dem Zündloch einer furchbaren Haubitze
war ein Waizenhalm mit mehreren Aehren aufgeschossen, ein rechtes Sinnbild
des Friedens. Es hätte geraume Zeit bedurft, die Röhre, die hier lagen,
zu zählen, und doch waren noch weit mehr davon in den Arsenälen selbst auf¬
gehäuft. Ich kenne die englischen und die französischen Seekriegswerkstätten,
trotzdem hat mir diese russische imponirt; sie erschien mir bedeutender, wie die-
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