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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Wenn er die Ausbildung der Offenbarungswahrheiten in Vernunftwahrheiten,
die Erhebung über eine schwer zu erweisende Geschichte zu Ideen, als einen Pro¬
ceß erkannte, den das Christenthum durchzumachen habe, so fiel ja auch er
selbst mit seiner Erkenntniß als Werkzeug in diesen Läuterungsproceß des
Christenthums hinein, und es konnte ihm nicht in den Sinn kommen, gleich
seinem Fragmentisten von einem Standpunkt außerhalb des Christenthums
dieses bekämpfen zu wollen, vielmehr mußte er als seine Aufgabe erkennen, es
von innen heraus fortbilden, zu helfen. Es ist also nicht bloße Pietät, wie
Herr Nöpe meint, große Nachwirkung von Kindheitseindrücken, daß Lessing,
wie er sich ausdrückte, sich nicht aus seines Vaters Hause werfen, d. h. nicht
aus dem Bezirke des Christenthums verweisen lassen wollte, sondern das klarste
Bewußtsein seiner wirklichen Stellung, seines Rechts wie seiner Pflicht. Von
hier aus erschienen ihm Göze und Reimarus gleich einseitig, der eine in die
Grenzen der gegebenen Glaubenslehre, der andere ebenso in die seiner Vernunft¬
religion gebannt; nur daß gleichwol der Letztere das Princip des Fortschritts,
der Erstere das des Stillstands, und das ist immer zugleich des Rückschritts,
vertrat, an dem Einen ebenso das kühne, rege, wahrheitsdurstige Vorwärts¬
streben anziehend, wie an dem Andern das stumpfe, träge, anmaßliche Beharren
widrig war. Wenn Lessing betheuerte, er würde sich verabscheuen, wenn er
selbst bei seiner Schriftstellern einen andern Zweck hätte, als die Menschheit
aufzuklären, ihr zu immer vernünftigeren Denken in religiösen Dingen zu ver¬
helfen, so mußte und durfte er auch den Mann verabscheuen, der, wie Göze.
eben diesem Bestreben als einem nicht zu duldenden Frevel auf jedem Schritt
entgegentrat. Gegen einen Mann, der sich dem Entwicklungsgange des Geistes
so plump in den Weg stellte, machte es Lcssingen mit Recht dasselbe Vergnü¬
gen, alle Künste seiner geistigen Ueberlegenheit spielen zu lassen, als einem
Ritter bei Ariost, einen brutalen unbehilflichen Riesen mit einer geschickten
Wendung zum Gelächter der Zuschauer und zum Ergötzen aller künftigen Leser
in den Sand zu strecken.

Daß Göze hinter der Aufgabe, das historische Christenthum gegen Reimarus
und Lessing gründlich zu vertheidigen, zurückgeblieben sei. verkennt übrigens sein
Retter keineswegs. Schon darum, weil er an der wörtlichen Inspiration der Bibel
festhielt, unter deren Voraussetzung insbesondere die Wahrhaftigkeit der evange¬
lischen Erzählungen auch nach Herrn Röpes Ansicht nicht zu halten ist. Mit jener
Voraussetzung sei jedoch die Theopneustie. die volle göttliche Wahrheit der heil.
Schrift, nicht aufgegeben (S. 219 f.). So hätte allenfalls auch Lessing reden kön¬
nen, aber Herr R. versteht mehr darunter als Lessing darunter verstanden haben
würde. Dieser meinte, es lasse sich aus die Einwürfe der Fragmente (nament¬
lich nach Aufgebung des Jnspirationsbegriffs) noch gar manches zur Rettung
der biblischen Geschichte antworten; aber "im schlimmsten Falle" wäre ja der


Wenn er die Ausbildung der Offenbarungswahrheiten in Vernunftwahrheiten,
die Erhebung über eine schwer zu erweisende Geschichte zu Ideen, als einen Pro¬
ceß erkannte, den das Christenthum durchzumachen habe, so fiel ja auch er
selbst mit seiner Erkenntniß als Werkzeug in diesen Läuterungsproceß des
Christenthums hinein, und es konnte ihm nicht in den Sinn kommen, gleich
seinem Fragmentisten von einem Standpunkt außerhalb des Christenthums
dieses bekämpfen zu wollen, vielmehr mußte er als seine Aufgabe erkennen, es
von innen heraus fortbilden, zu helfen. Es ist also nicht bloße Pietät, wie
Herr Nöpe meint, große Nachwirkung von Kindheitseindrücken, daß Lessing,
wie er sich ausdrückte, sich nicht aus seines Vaters Hause werfen, d. h. nicht
aus dem Bezirke des Christenthums verweisen lassen wollte, sondern das klarste
Bewußtsein seiner wirklichen Stellung, seines Rechts wie seiner Pflicht. Von
hier aus erschienen ihm Göze und Reimarus gleich einseitig, der eine in die
Grenzen der gegebenen Glaubenslehre, der andere ebenso in die seiner Vernunft¬
religion gebannt; nur daß gleichwol der Letztere das Princip des Fortschritts,
der Erstere das des Stillstands, und das ist immer zugleich des Rückschritts,
vertrat, an dem Einen ebenso das kühne, rege, wahrheitsdurstige Vorwärts¬
streben anziehend, wie an dem Andern das stumpfe, träge, anmaßliche Beharren
widrig war. Wenn Lessing betheuerte, er würde sich verabscheuen, wenn er
selbst bei seiner Schriftstellern einen andern Zweck hätte, als die Menschheit
aufzuklären, ihr zu immer vernünftigeren Denken in religiösen Dingen zu ver¬
helfen, so mußte und durfte er auch den Mann verabscheuen, der, wie Göze.
eben diesem Bestreben als einem nicht zu duldenden Frevel auf jedem Schritt
entgegentrat. Gegen einen Mann, der sich dem Entwicklungsgange des Geistes
so plump in den Weg stellte, machte es Lcssingen mit Recht dasselbe Vergnü¬
gen, alle Künste seiner geistigen Ueberlegenheit spielen zu lassen, als einem
Ritter bei Ariost, einen brutalen unbehilflichen Riesen mit einer geschickten
Wendung zum Gelächter der Zuschauer und zum Ergötzen aller künftigen Leser
in den Sand zu strecken.

Daß Göze hinter der Aufgabe, das historische Christenthum gegen Reimarus
und Lessing gründlich zu vertheidigen, zurückgeblieben sei. verkennt übrigens sein
Retter keineswegs. Schon darum, weil er an der wörtlichen Inspiration der Bibel
festhielt, unter deren Voraussetzung insbesondere die Wahrhaftigkeit der evange¬
lischen Erzählungen auch nach Herrn Röpes Ansicht nicht zu halten ist. Mit jener
Voraussetzung sei jedoch die Theopneustie. die volle göttliche Wahrheit der heil.
Schrift, nicht aufgegeben (S. 219 f.). So hätte allenfalls auch Lessing reden kön¬
nen, aber Herr R. versteht mehr darunter als Lessing darunter verstanden haben
würde. Dieser meinte, es lasse sich aus die Einwürfe der Fragmente (nament¬
lich nach Aufgebung des Jnspirationsbegriffs) noch gar manches zur Rettung
der biblischen Geschichte antworten; aber „im schlimmsten Falle" wäre ja der


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[0465] Wenn er die Ausbildung der Offenbarungswahrheiten in Vernunftwahrheiten, die Erhebung über eine schwer zu erweisende Geschichte zu Ideen, als einen Pro¬ ceß erkannte, den das Christenthum durchzumachen habe, so fiel ja auch er selbst mit seiner Erkenntniß als Werkzeug in diesen Läuterungsproceß des Christenthums hinein, und es konnte ihm nicht in den Sinn kommen, gleich seinem Fragmentisten von einem Standpunkt außerhalb des Christenthums dieses bekämpfen zu wollen, vielmehr mußte er als seine Aufgabe erkennen, es von innen heraus fortbilden, zu helfen. Es ist also nicht bloße Pietät, wie Herr Nöpe meint, große Nachwirkung von Kindheitseindrücken, daß Lessing, wie er sich ausdrückte, sich nicht aus seines Vaters Hause werfen, d. h. nicht aus dem Bezirke des Christenthums verweisen lassen wollte, sondern das klarste Bewußtsein seiner wirklichen Stellung, seines Rechts wie seiner Pflicht. Von hier aus erschienen ihm Göze und Reimarus gleich einseitig, der eine in die Grenzen der gegebenen Glaubenslehre, der andere ebenso in die seiner Vernunft¬ religion gebannt; nur daß gleichwol der Letztere das Princip des Fortschritts, der Erstere das des Stillstands, und das ist immer zugleich des Rückschritts, vertrat, an dem Einen ebenso das kühne, rege, wahrheitsdurstige Vorwärts¬ streben anziehend, wie an dem Andern das stumpfe, träge, anmaßliche Beharren widrig war. Wenn Lessing betheuerte, er würde sich verabscheuen, wenn er selbst bei seiner Schriftstellern einen andern Zweck hätte, als die Menschheit aufzuklären, ihr zu immer vernünftigeren Denken in religiösen Dingen zu ver¬ helfen, so mußte und durfte er auch den Mann verabscheuen, der, wie Göze. eben diesem Bestreben als einem nicht zu duldenden Frevel auf jedem Schritt entgegentrat. Gegen einen Mann, der sich dem Entwicklungsgange des Geistes so plump in den Weg stellte, machte es Lcssingen mit Recht dasselbe Vergnü¬ gen, alle Künste seiner geistigen Ueberlegenheit spielen zu lassen, als einem Ritter bei Ariost, einen brutalen unbehilflichen Riesen mit einer geschickten Wendung zum Gelächter der Zuschauer und zum Ergötzen aller künftigen Leser in den Sand zu strecken. Daß Göze hinter der Aufgabe, das historische Christenthum gegen Reimarus und Lessing gründlich zu vertheidigen, zurückgeblieben sei. verkennt übrigens sein Retter keineswegs. Schon darum, weil er an der wörtlichen Inspiration der Bibel festhielt, unter deren Voraussetzung insbesondere die Wahrhaftigkeit der evange¬ lischen Erzählungen auch nach Herrn Röpes Ansicht nicht zu halten ist. Mit jener Voraussetzung sei jedoch die Theopneustie. die volle göttliche Wahrheit der heil. Schrift, nicht aufgegeben (S. 219 f.). So hätte allenfalls auch Lessing reden kön¬ nen, aber Herr R. versteht mehr darunter als Lessing darunter verstanden haben würde. Dieser meinte, es lasse sich aus die Einwürfe der Fragmente (nament¬ lich nach Aufgebung des Jnspirationsbegriffs) noch gar manches zur Rettung der biblischen Geschichte antworten; aber „im schlimmsten Falle" wäre ja der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/465>, abgerufen am 25.08.2024.