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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Indem wir diesen Begriff der neuen Aera untersuchen, erledigt sich zu¬
gleich eine zweite sehr wichtige Frage. Den liberalen Landtagsabgeordneten
wnd nichts von dem, was wir gesagt haben, neu sein; aber tief ängstigt sie
in ihrem Gemüth die Betrachtung: wenn wir diese Vorlage abwerfen, so ist
damit das Ministerium, das keinen andern Halt hat als uns, gestürzt! da
ohnehin unsere Minister nicht den mindesten Ehrgeiz besitze", sondern sich von
Herzen gern einer Würde begeben werden, von der sie nur die Last suhlen.
Was aber dann folgt, ist augenscheinlich; ein Ministerium der äußersten Rech¬
ten -- oder vielmehr der äußersten Linken, wie es jetzt heißt.

Wohl; diese Frage ist sehr ernst, und wir sind keineswegs gemeint, ihre
Bedeutung zu unterschätzen. Noch liegt uns allen das Andenken an die Zeit
des Herrn von Westphalen sehr lebhast in den Gliedern; noch erinnern wir
uns sehr deutlich, wie laut wir aufathmeten, als die Nachricht von seiner
Entlassung in der Zeitung stand. Ja noch mehr: in einer Beziehung wenig¬
stens würde es heute schlimmer sein; denn jenes Regiment ertrugen wir mit
einer gewissen Resignation, in der bestimmten Aussicht, es müsse in nicht zu
langer Zeit ein Ende nehmen. Diese Aussicht würde bei einem neuen Mi¬
nisterwechsel eine äußerst geringe sein.

-- Es ist nicht gerade tröstlich, was wir dagegen anführen und trotz
der ernsten Ueberlegung, mit der wir diese Worte schreiben, wollen wir sie
für nichts anderes geben, als den Ausdruck einer blos subjectiven Ueberzeugung.
Das Ministerium ist ebenso wenig zu halten, wenn das Gesetz
durchgeht.

Die Reaction mag sehr froh sein, daß ein liberales Ministerium ihr
Werk in die Hände nimmt, in viel größerm Maßstab als sie sich selber je ge¬
träumt; aber danken wird sie es ihm nicht. Geht dieses Gesetz durch, so. ist
die Macht des Adels ungeheuer erhöht, und da sie im Herrenhaus einen fe¬
sten Vertreter hat, den zu stürzen das Ministerium nicht Kraft genug gehabt,
da die liberale Partei durch die Folgen des Gesetzes in sich selbst zerfallen
wird, so muß folgerichtig auch die Regierung in die Hände der Partei gelegt
werden, die den Adel vertritt. Für uns ist diese Logik der Thatsachen so
evident, daß gar kein Zweifel daran bleibt. -- Aber freilich wäre noch ein
Irrthum möglich, und so müssen wir hinzu setzen: es erscheint uns für
Preußens Zukunft viel wichtiger, daß eine consequente und libe¬
rale Partei fortdauert, als daß ein liberal genanntes Ministerium
die Geschäfte führt. Die "neue Aera" hatte einen großen Uebelstand;
das Volk hatte nichts gethan sie zu verdienen, und geschenkt kann sie nicht
werden, das muß Preußen noch sehr bitter erfahren.

Es war ein sehr großer Irrthum, der aber bei vielen vorzüglichen An¬
hängern des Liberalismus hervortrat und gegen den wir seit zwei Jahren


Indem wir diesen Begriff der neuen Aera untersuchen, erledigt sich zu¬
gleich eine zweite sehr wichtige Frage. Den liberalen Landtagsabgeordneten
wnd nichts von dem, was wir gesagt haben, neu sein; aber tief ängstigt sie
in ihrem Gemüth die Betrachtung: wenn wir diese Vorlage abwerfen, so ist
damit das Ministerium, das keinen andern Halt hat als uns, gestürzt! da
ohnehin unsere Minister nicht den mindesten Ehrgeiz besitze», sondern sich von
Herzen gern einer Würde begeben werden, von der sie nur die Last suhlen.
Was aber dann folgt, ist augenscheinlich; ein Ministerium der äußersten Rech¬
ten — oder vielmehr der äußersten Linken, wie es jetzt heißt.

Wohl; diese Frage ist sehr ernst, und wir sind keineswegs gemeint, ihre
Bedeutung zu unterschätzen. Noch liegt uns allen das Andenken an die Zeit
des Herrn von Westphalen sehr lebhast in den Gliedern; noch erinnern wir
uns sehr deutlich, wie laut wir aufathmeten, als die Nachricht von seiner
Entlassung in der Zeitung stand. Ja noch mehr: in einer Beziehung wenig¬
stens würde es heute schlimmer sein; denn jenes Regiment ertrugen wir mit
einer gewissen Resignation, in der bestimmten Aussicht, es müsse in nicht zu
langer Zeit ein Ende nehmen. Diese Aussicht würde bei einem neuen Mi¬
nisterwechsel eine äußerst geringe sein.

— Es ist nicht gerade tröstlich, was wir dagegen anführen und trotz
der ernsten Ueberlegung, mit der wir diese Worte schreiben, wollen wir sie
für nichts anderes geben, als den Ausdruck einer blos subjectiven Ueberzeugung.
Das Ministerium ist ebenso wenig zu halten, wenn das Gesetz
durchgeht.

Die Reaction mag sehr froh sein, daß ein liberales Ministerium ihr
Werk in die Hände nimmt, in viel größerm Maßstab als sie sich selber je ge¬
träumt; aber danken wird sie es ihm nicht. Geht dieses Gesetz durch, so. ist
die Macht des Adels ungeheuer erhöht, und da sie im Herrenhaus einen fe¬
sten Vertreter hat, den zu stürzen das Ministerium nicht Kraft genug gehabt,
da die liberale Partei durch die Folgen des Gesetzes in sich selbst zerfallen
wird, so muß folgerichtig auch die Regierung in die Hände der Partei gelegt
werden, die den Adel vertritt. Für uns ist diese Logik der Thatsachen so
evident, daß gar kein Zweifel daran bleibt. — Aber freilich wäre noch ein
Irrthum möglich, und so müssen wir hinzu setzen: es erscheint uns für
Preußens Zukunft viel wichtiger, daß eine consequente und libe¬
rale Partei fortdauert, als daß ein liberal genanntes Ministerium
die Geschäfte führt. Die „neue Aera" hatte einen großen Uebelstand;
das Volk hatte nichts gethan sie zu verdienen, und geschenkt kann sie nicht
werden, das muß Preußen noch sehr bitter erfahren.

Es war ein sehr großer Irrthum, der aber bei vielen vorzüglichen An¬
hängern des Liberalismus hervortrat und gegen den wir seit zwei Jahren


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[0457] Indem wir diesen Begriff der neuen Aera untersuchen, erledigt sich zu¬ gleich eine zweite sehr wichtige Frage. Den liberalen Landtagsabgeordneten wnd nichts von dem, was wir gesagt haben, neu sein; aber tief ängstigt sie in ihrem Gemüth die Betrachtung: wenn wir diese Vorlage abwerfen, so ist damit das Ministerium, das keinen andern Halt hat als uns, gestürzt! da ohnehin unsere Minister nicht den mindesten Ehrgeiz besitze», sondern sich von Herzen gern einer Würde begeben werden, von der sie nur die Last suhlen. Was aber dann folgt, ist augenscheinlich; ein Ministerium der äußersten Rech¬ ten — oder vielmehr der äußersten Linken, wie es jetzt heißt. Wohl; diese Frage ist sehr ernst, und wir sind keineswegs gemeint, ihre Bedeutung zu unterschätzen. Noch liegt uns allen das Andenken an die Zeit des Herrn von Westphalen sehr lebhast in den Gliedern; noch erinnern wir uns sehr deutlich, wie laut wir aufathmeten, als die Nachricht von seiner Entlassung in der Zeitung stand. Ja noch mehr: in einer Beziehung wenig¬ stens würde es heute schlimmer sein; denn jenes Regiment ertrugen wir mit einer gewissen Resignation, in der bestimmten Aussicht, es müsse in nicht zu langer Zeit ein Ende nehmen. Diese Aussicht würde bei einem neuen Mi¬ nisterwechsel eine äußerst geringe sein. — Es ist nicht gerade tröstlich, was wir dagegen anführen und trotz der ernsten Ueberlegung, mit der wir diese Worte schreiben, wollen wir sie für nichts anderes geben, als den Ausdruck einer blos subjectiven Ueberzeugung. Das Ministerium ist ebenso wenig zu halten, wenn das Gesetz durchgeht. Die Reaction mag sehr froh sein, daß ein liberales Ministerium ihr Werk in die Hände nimmt, in viel größerm Maßstab als sie sich selber je ge¬ träumt; aber danken wird sie es ihm nicht. Geht dieses Gesetz durch, so. ist die Macht des Adels ungeheuer erhöht, und da sie im Herrenhaus einen fe¬ sten Vertreter hat, den zu stürzen das Ministerium nicht Kraft genug gehabt, da die liberale Partei durch die Folgen des Gesetzes in sich selbst zerfallen wird, so muß folgerichtig auch die Regierung in die Hände der Partei gelegt werden, die den Adel vertritt. Für uns ist diese Logik der Thatsachen so evident, daß gar kein Zweifel daran bleibt. — Aber freilich wäre noch ein Irrthum möglich, und so müssen wir hinzu setzen: es erscheint uns für Preußens Zukunft viel wichtiger, daß eine consequente und libe¬ rale Partei fortdauert, als daß ein liberal genanntes Ministerium die Geschäfte führt. Die „neue Aera" hatte einen großen Uebelstand; das Volk hatte nichts gethan sie zu verdienen, und geschenkt kann sie nicht werden, das muß Preußen noch sehr bitter erfahren. Es war ein sehr großer Irrthum, der aber bei vielen vorzüglichen An¬ hängern des Liberalismus hervortrat und gegen den wir seit zwei Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/457>, abgerufen am 25.08.2024.