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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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gehen, der ihm drohte; gleich darauf hat er zu dem Mittel gegriffen, auf
das Preußen angewiesen ist, zu Allianzen. Diese Politik dauerte von 1764 bis
1790, und damals war Preußen wirklich eine Großmacht. Nachher folgte auf
ein paar Jahre doctrinaircn GeHabens die sogenannte Politik der freien Hand,
die Preußen damals ebenso förderte wie 1849 und in den -folgenden Jahren.

Und wenn Preußen seine junge Mannschaft auf 4 Jahre statt 3 Jahre
dienen läßt und dadurch das Land vollständig an den Bettelstab bringt, so
ist es doch militärisch den Großmächten nicht gewachsen; denn die künstliche
Steigerung der Wehrkräfte ist nur bis zu einem gewissen Grade durchführbar,
und straft sich immer selbst. Preußen ist auf Allianzen angewiesen. Zunächst
natürlich in Deutschland. Aber eine Allianz wird nicht im ersten Anlauf ab¬
geschlossen, sondern muß durch langes Vertrauen vorbereitet werden, und
einer der Hauptgründe des Vertrauens, dessen ein Staat sich bei seinen Nach¬
barn erfreut, ist die innere Consequenz und Festigkeit der Regierung; ihre
Uebereinstimmung mit sich selbst und mit dem gesunden Willen des Volks.

Diese Festigkeit sehlt leider dem gegenwärtigen Ministerium durchaus.
Den Adel und die reactionäre Partei wird es, durch kein Opfer versöhnen,
und mit den arbeitenden Volksclassen, auf welchen der Liberalismus beruht,
wird es sich, wenn es seinen Gesetzentwurf durchsetzt, in einer Weise verfein¬
den, die keine spätern Maßregeln wieder gut machen können.

Man erwäge doch nur: die neue Reform soll kein vorübergehendes Opfer
sein, das man bringt, um bestimmte Zwecke zu erreichen, sondern es soll
den normalen Zustand der preußischen Gesellschaft ausdrücken! Die
einzige Antwort der Landesvertretung darauf kann nur die sein, daß dies
System dem normalen Zustand der preußischen Gesellschaft nicht entspricht.
Da es ihr aber nicht ziemt einer Negierung. der ergeben zu sein sie sonst al¬
len Grund hat, eine blos negative Antwort zu geben, und da es ihr ebenso
wenig zukommt in die Details der Militärordnung, die eine Sache des Kriegs¬
herrn sind, näher einzugehn, so muß sie sich an den Kern der Sache halten.
Das eine Princip des Entwurfs, die gesammte Jugend in Dienst zu ziehen,
ist richtig, und darum ist die Verstärkung der jährlichen Aushebung von 40,000
zu 63,000 zu bewilligen; dagegen ist als Ersatz vom Kriegsminister zu ver¬
langen, daß er die militärische Ausbildung der Ausgehobenen in zwei Jahren
statt in drei Jahres vollendet. Daß es möglich ist, haben sehr gewichtige
militärische Autoritäten nachgewiesen, und was die Hauptsache ist: es muß
möglich sein, denn der Staat ist nicht des Drittens wegen, sondern das
Dritten ist des Staats wegen da. Ueber alle andern Punkte wird eine Eini¬
gung eher zu erzielen sein; wenn aber in diesem Punkt die Landesvertretung
nachgibt, so wird der Begriff "neue Aera," den man so gern anwendet, in der
Geschichte etwas ganz anderes bezeichnen, als man gemeint hat.


gehen, der ihm drohte; gleich darauf hat er zu dem Mittel gegriffen, auf
das Preußen angewiesen ist, zu Allianzen. Diese Politik dauerte von 1764 bis
1790, und damals war Preußen wirklich eine Großmacht. Nachher folgte auf
ein paar Jahre doctrinaircn GeHabens die sogenannte Politik der freien Hand,
die Preußen damals ebenso förderte wie 1849 und in den -folgenden Jahren.

Und wenn Preußen seine junge Mannschaft auf 4 Jahre statt 3 Jahre
dienen läßt und dadurch das Land vollständig an den Bettelstab bringt, so
ist es doch militärisch den Großmächten nicht gewachsen; denn die künstliche
Steigerung der Wehrkräfte ist nur bis zu einem gewissen Grade durchführbar,
und straft sich immer selbst. Preußen ist auf Allianzen angewiesen. Zunächst
natürlich in Deutschland. Aber eine Allianz wird nicht im ersten Anlauf ab¬
geschlossen, sondern muß durch langes Vertrauen vorbereitet werden, und
einer der Hauptgründe des Vertrauens, dessen ein Staat sich bei seinen Nach¬
barn erfreut, ist die innere Consequenz und Festigkeit der Regierung; ihre
Uebereinstimmung mit sich selbst und mit dem gesunden Willen des Volks.

Diese Festigkeit sehlt leider dem gegenwärtigen Ministerium durchaus.
Den Adel und die reactionäre Partei wird es, durch kein Opfer versöhnen,
und mit den arbeitenden Volksclassen, auf welchen der Liberalismus beruht,
wird es sich, wenn es seinen Gesetzentwurf durchsetzt, in einer Weise verfein¬
den, die keine spätern Maßregeln wieder gut machen können.

Man erwäge doch nur: die neue Reform soll kein vorübergehendes Opfer
sein, das man bringt, um bestimmte Zwecke zu erreichen, sondern es soll
den normalen Zustand der preußischen Gesellschaft ausdrücken! Die
einzige Antwort der Landesvertretung darauf kann nur die sein, daß dies
System dem normalen Zustand der preußischen Gesellschaft nicht entspricht.
Da es ihr aber nicht ziemt einer Negierung. der ergeben zu sein sie sonst al¬
len Grund hat, eine blos negative Antwort zu geben, und da es ihr ebenso
wenig zukommt in die Details der Militärordnung, die eine Sache des Kriegs¬
herrn sind, näher einzugehn, so muß sie sich an den Kern der Sache halten.
Das eine Princip des Entwurfs, die gesammte Jugend in Dienst zu ziehen,
ist richtig, und darum ist die Verstärkung der jährlichen Aushebung von 40,000
zu 63,000 zu bewilligen; dagegen ist als Ersatz vom Kriegsminister zu ver¬
langen, daß er die militärische Ausbildung der Ausgehobenen in zwei Jahren
statt in drei Jahres vollendet. Daß es möglich ist, haben sehr gewichtige
militärische Autoritäten nachgewiesen, und was die Hauptsache ist: es muß
möglich sein, denn der Staat ist nicht des Drittens wegen, sondern das
Dritten ist des Staats wegen da. Ueber alle andern Punkte wird eine Eini¬
gung eher zu erzielen sein; wenn aber in diesem Punkt die Landesvertretung
nachgibt, so wird der Begriff „neue Aera," den man so gern anwendet, in der
Geschichte etwas ganz anderes bezeichnen, als man gemeint hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/456>, abgerufen am 25.08.2024.